II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 849

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Stücke der vertraute verständige Freund der Hauptperson ist, ungefähr wie
der Dr. Mauer in dem neuen, und während er dort ein fähiger Psychologe
und ganz witziger Mensch, ja derart gestaltet ist, daß man in ihm am
ehesten eine scherzhaft hingeworfene Selbstskizze Schnitzlers vermuten möchte,
ist in dem weiten Land der Dichter Rhon trotz seines guten Kopfs komisch,
durch Taktlosigkeit, Selbstgefälligkeit, Eigenliebe komisch, und seine kleine
Frau Marie hat sich zu einer Gans ausgewachsen, auch sie komisch durch
eine Verliebtheit in den Herrn Gemahl, die sich selbst in Gegenwart anderer
Menschen kaum zu beherrschen vermag.
Ein Vergleich zwischen dem „Zwischenspiel“ und dem „Weiten Land“
zeigt, welchen Weg Schnitzler im Verlauf von nicht mehr als)fünf Jahren“.
zurückzulegen vermochte. Er gibt das volle Gefühl der Meistersphaft, zu der
er sich nun aufgeschwungen hat.
HERMANN
BANG T
Kennt ihr die Nocturne von Grieg? Diese
gendes Gefühl lebt, ziehen ihn immer wieder an.
weiche, müde Traurigkeit, die irgendwo im Dun¬
Die falsch Gepaarten möchte man sagen. Drei
kel kauert und ganz leise weint. In sich versun¬
solche schmerzensreiche Frauenseelen gehen
ken, verhalten, fast wie ein Stummer. Und die
nahe verwandt durch seine Welt: Katinka Bai
dann losspringt, seufzend, schluchzend, sich in
an der Seite des schmatzenden Gefühlstölpels
schreienden Schmerz wandelt. Und das Ende
(„Am Wege“), Stella Höck, das Kindweib, zu
wieder ruhige Traurigkeit, Melancholie, die
beinahe weh tut.
frostiger Gemeinschaft dem verdorrten Höck
angetraut, die den welken Sohn William gebar
Diese Nocturne könnte das Motto sein aller
in den „Hoffnungslosen Geschlechtern“ und Tora,
Bangschen Werke. Ihre Stimmung singt in
die Frau des stummen, in sich gekehrten Pfarrers,
ihnen allen. Einst ging er mitleidsvoll durch die
in der tausend Knospen drängen und Liebeslieder
Welt, sah auf die Armen und Gedrückten, wollte
schlummern. Die sich nach Licht sehnt und einer
Qual lindern. Dann aber wurde sein Blick
Sonne, die nie nie kommen wird. So setzt sie
starrer und herber und hinter den gehen Ge¬
sich ans Klavier und spielt ein altes Lied:
stalten sah er Raubtiere, die auf hr Opfer
„Long, long ago..!“ Eine alte, ewig unerfüllte
lauern. Eine Schicksalspantomime ist ihm das
Sehnsucht und die Melancholie seiner Mutter
Leben. Und sie zu dichten ist ihm wie eine süße
mochte in Hermann Bang solche Frauen ge¬
Rache, er empfindet die Genugtuung dabei, dem
dichtet haben. Die Sehnsucht der Freu, deren
Leben ein Spottlied zu pfeifen. Seine Bilder
Seele leicht und jung und leidenschaftlich ge¬
gehen über das Karikaturistische hinaus, un¬
blieben ist und die an der Seite des Mannes lebt,
heimlich, fast gespenstisch wirken sie gleich den
dessen Wünschen tot ist und der ihr nichts geben
spuckhaften Todesblättern des Visionenmalers
kann als Ruhe. Gedichte in Prosa sind die Stim¬
Eduard Munch. Hinter den Bildern tiefgründige
Perspektiven.
mungen, die in voller Lebendigkeit nebeneinander
stehen. Bang zeigt uns das Innere der Menschen,
Und keiner kann Depression erregen wie er.
indem er ihr Außen malt, die Seele zeichnet er
Beim Lesen mancher Seite bekommt man nasse
durch ihre Außerungen. Ein impressionistischer
Augen. Und dies erreicht er keineswegs durch
Maler war er, einer der größten, tiefsten, der je
Sentimentalität. Erverdichtet sie nur künstlerisch
lebte, der mit fieberhafter Hast Bild auf Bild
Er schöpft sie lyrisch aus, mit einem Takt sonder¬
stellte aus der wirbelnden, hastenden, sinnlosen
gleichen und wird nie selbst sentimental. Keiner
Schicksalspantomine. Episoden und Szenen
hat wie Hermann Bang das Menschlich-Hilflose
kollern durcheinander, verschlingen sich, drängen,
und Jammervolle geknickter Frauen so furchtbar
stoßen mit beinahe peinigender Unruhe des De¬
restlos zum Ausdruck gebracht. Die Frauen,
tails und der Nuancen. Ein Meister dumpfer
denen die Enttäuschung Hoffnung und Lebens¬
Schicksalsstimmung.
mut genommen und in denen noch leidenschaft¬
Ein ganz Großer, ein Versteher ist gegangen.
liche Sehnsucht und unverbrauchtes, versen¬
Wir grüßen ihn und legen Blumen auf sein Grab.
Paul Czinner.
Im letzten Quartal (Hleft 20 2)) hat der „Merker“ eine der letzten Arbeiten Bangs, den sehr feinen Essay „Die
Arbeit des Künstlers“ veröffentlicht. Die Redaktion.
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