II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 7

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23. Der Schleiender „errette
ADGLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SG. 16, RUNGE-STRASSE 25/27.
Zeitung: Dresdener Anzeiger
Adresse: Dresden
24.JAK 181
Datum:
Kunst und Wissenschaft
hat Dohnanyi nicht jeden Schritt gezeichnet, aber überall. reich bei uns importier
wores galt, Gefühlsmäßiges zu untermalen, Seelisches zu swollen. Was erleben wir
* Königliches Opgknhaus. Uraufführung: Der
offenbaren, erreicht seine Musik den gewollten Effekt. Im
Schleier der Pieprette. Pantomime in drei Bildern
zeitsabend dem Bräutigan
großen und ganzen stützt er sich auf den Wagner des Nibe¬
Wohnung des Geliebten, d
von Arthur Schnitzlen Musik von Ernst v. Dohnänyi.
lungenringes und des Tristan. Doch ist die Abhängigkeit sterben können. Doch nu
Mit genlschten Gefühlen hat uns die Aufführung dieses
nicht sklavisch, sondern mehr eine feste Grundlage zu eigenem
schaudert noch im letzten
Stückes Vrfüllt. Def Freude, ein musikalisch werlvolles
Bau. Selbständig gibt er sich in einigen Tänzen, die als
Werk gehört zu haben, gesellte sich die Abneigung vor den
fällt tot hin, sie läuft wie
Umrahmung der schauerlichen Handlung anzusehen sind.
Vorgängen der Büßnh zu. Die Frage, was überwiegt, wird
Schleier bei dem Toten zu
Der Zwischenakts=Walzer vor dem zweiten Bild ist ein
ihr der Tote. Um den S
erst öfteres Sehen des Stückes entscheiden können. Es muf:
Stück voll außergewöhnlicher Lebenslust und weist präch¬
ihm folgen. Der Bräutiga
sich zeigen, ob die Musik so viel Kraft hat, um die Herrschaft
tige Erfindung und vorzügliche Arbeit auf. Er hat alle
über die Szene zu efringen. Wir haben ja an der Opern¬
kommen in die Wohnung
Anwartschaft darauf, in populären Konzerten eine Rolle
Bräutigam den Leichnam
bühne schon manchen für unser Gefühl schrecklichen Vor¬
zu spielen. Weniger erfindungsreich ein Menuett im
dem Toten gegenüberzusir
gang mit angesehen. Wir sahen die Qualen einer Frau, die
zweiten Bild. Am meisten von aller weusik fallen die Töne
schließt sie mit der Leiche
das Grab ihres noch lebenden Mannes zu graben ge¬
zu den gräusigen Vorgängen auf. Die schauerliche Höllen¬
arme Weib wird darob i
zwungen war, wir hörten Geständnisse von einer Frau da¬
musik isie ist als Schnellpolka bezeichnet) im zweiten Bild,
Tanze bricht sie vor der L#
durch erpressen, daß man sie die Schmerzensschreie ihres ge¬
die scheinbar die Musiker auf der Bühne mit ihren zer¬
sind nur auf brutalen Effe
solterten Geliebten vernehmen ließ, wir sahen die Salome
trümmerten Instrumenten spielen und die meisterliche Be¬
begreifen, zu entschuldigen
das Haupt des Johannes tüssen — aber überall hat uns
herrschung neuzeitlicher Chromaik verrät, geht an Wir¬
die Hauptpersönen Harle
die Musik von der stofflichen Roheit der Vorgänge abgelenkt
kungsfähigkeit weit über alle Höllen= und Gespenstertöne,
Sache schlimmer, statt sie zu
und hat uns den Hauch der Kunst spüren lassen. Beethoven,
die nach Berlioz geschrieben wurden. Und was an¬
sich von den anderen, die
Puccini und Strauß sind nun größere Talente als
zuerkennen ist: nicht der Instrumentator, sondern der
als besondere Typen ab u
Dohnänyi, aber ganz ohne Kunst, das heißt ganz ohne jede
Musiker hat die Farbe dazu geliefert. Wenn bei diesem
größert, vergröbernd.
Versöhnung mit dem grauenhaften Stoff sind wir auch dies¬
Tanz der Geist des Pierrot erscheint und zu der wirren
Pantomime ist, daß, wer d
mal nicht entlassen worden. Das spricht für Dohnänyi.
Hast des Zweiviertel=Rhythmus das schwer dröhnende, einst
hat. am Anfang nicht weiß,
Was uns von Pantomimen der Jetztzeit bekannt wurde,
wehmutsvolle, jetzt wuchtige Motiv des toten Liebhabers
Hauptperson nicht auf der
stammt aus Frankreich. In Dresden haben wir als Kom¬
kontrapunktiert ist, so werden wir im Tiefsten erschüttert.
dieser Hauptperson (Pierr
ponisten solcher Werke nur Wormser und Adolf David
Das zweite Bild bedeutet den musitalischen Höhepunkt.
Veranlagung Irma Terp
kennen gelernt. Von den Werken dieser Komponisten
Eine Steigerung weist das dritte Bild nicht auf. Im Gegen¬
tion der Rolle löste ein reich
scheidet sich Der Schleier der Pierrette weit ab. Dort haben
teil. Der Tanz der wahnsinnig gewordenen Pierrette vor
zuviel; zumal beim Augen
wir ein Spiel, hier die Tragik. Dort tändelt die Musik
der Leiche des Geliebten ist zu lang und schwächt die künst¬
schwunden. Sympathie mit
leichtfüßig dahin, tippt nur an den Gefühlen, unterstreicht
lerische Emipfänglichkeit ab, sodaß das Stoffliche allzu sehr
möglich. Sehr viel Tempe
die äußere Situation sehr stark, ist also im wesentlichen An¬
hervortritt. Und da dies der künstlerischen Durchdringung
und ungeheure Willensan
schauungsmusik, hier erhalten wir eine Art von Musik¬
entbehrt, so bleibt der qualvolle Eindruck des Schlusses.
nur noch zwei Rollen in
drama ohne Worte. Und während uns dort die Worte nicht
Eine Kürzung des Tanzes könnte Milderung schaffen. —
(Pierrot) und Trede (Arl
sehlen, vermissen wir sie hier. Ich habe im Vorbericht schon
Die Handlung selbst ist aus dem Schauspiel Der Schleier
hielten Maß in der Bew
darauf hingewiesen, daß Der Schleier der Pierrette in erster
der Beatriee gewonnen, jedoch mit Zutaten versehen
weniger tiefe Eindrücke.
Linie als Talentprobe zu werten ist. Ich glaube, wir
worden, die das menschlich Begreifliche des ehemaligen
eigenen Temperament auch
dürfen auf Dohnänyi als Opernkomponisten Hoffnung
Vorganges völlig aufheben. „Der starb um dich? Und den
tung. Bühne und Kostüme
setzen. Er bringt viel dazu mit. Er hat großen musita#verrietest du? Und mich um ihn? Und wied'rum ihn um
gestimmt. Nur ein etwas
lischen Sinn, versteht seine Töne gut zu formen, beherrscht
mich? Was bist du für ein Wesen, Beatrice?“ heißt es im Dekoration des zweiten Bil
die musikalischen Ausdrucksmittel und hat Blick für die
Schauspiel. Alles Seelische, das diese Worte andeuten, ist
Bühne. Dieses spezisische Bühnentalent, das so manchem
ausgelöscht. Es scheint beinahe, als hätte Schnitzler, als er
sonst hoch talentierten Komponisten abgeht, tritt in der vor- vor sechs Jahren die Pantomime entwarf, den sensationeller
liegenden Pantomime im allgemeinen glücklich hervor. Zwar Nervenstücken, die vor ungefähr acht Jahren aus Freur¬