box 27/5
23. Der Schleier der Pierrette
" Son 12.301.
„ODSEITEN
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertrefungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Kom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quslienangsbe ehne Gewähr).
Ausschnitt aus:
24 1 1910 Dresdner Nachrichten:
vom:
Kunst und Wissenschaft.
Der Schleier der Pierrette.
Pantomime in drei Bildern von Arthur Schnitzler.
Musik von Ernst v. Dohnänn
Uraufführung im Dresdner Opernhats am 22. Jannar 1910.
Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen. Diesem
Grundsatz der hiesigen Opernleitung ist die Uraufführung
einer großen tragisch=phantastischen Pantomime zwischen
mancherlei Opernnenheiten zu danken. Aus verschiedenen
Gründen mag man der schauspielerisch getanzten Panto¬
mime als Kunstgattung zurückhaltend gegenüberstehen; zurs
Abwechslung ist sie im Svielplan eines Operntheaters zu¬
weilen sehr willkommen. Das zeigte vor Jahren der immer¬
hin ansehnliche Erfolg von Wormsers entzückendem Enfant
prodigue. Daß freilich ein berühmter Mann allein ein
solches Wert nicht zu halten vermag, mußten Mottl und
Vierbaum mit ihrem Pan im Busch erfahren. Die neueste
Pantomime kam ganz österreichisch, um nicht zu sagen wie¬
nerisch. Wie Arthur Schnitzler, der Wiener Dichter,
dazu gekommen ist, sein groß angelegtes, poesieumflossenes
Renaissancedrama, das ein Kritiker wie Hermann Bahr
seinerzeit für Schnitzlers schönste und reifste Schöpfung
erklärt hat, zu einer Pantomime auszuziehen, ist hier
gleichgültig. Jedenfalls verleugnet auch Schnitzler in der
Pautomime nicht die Grundzüge seiner Kunst, jene eigen¬
tümliche Mischung von Naturalismus und Wienertum, von
Liebelei und Sterbelei. Die Anatolszenen sind in die
Pierrotwelt versetzt. Die Beatrice Nardi von Bologna ist
als Pierrette nach Alt=Wien übergesiedelt. Pierrette mag
den alten griesgrämigen Arlekino nicht heiraten und kommt
zu ihrem geliebten Pierrot, um gemeinsam mit ihm vor der
Hochzeit zu sterben. Pierrot trinkt das Gift allein, stirbt.
Pierrette kehrt zu
den Hochzeitsfeierlichkeiten zurück.
Arlekino vermißt den Schleier an ihr, den sie in Pierrots
Zimmer gelassen hat, und ist darob erstannt. Pierrette
kommt mit Arlekino zu Pierrot; in teuflischer Grausamkeit
nun zecht der Bräutigam mit dem toten Liebhaber und sperrt
schließlich seine Braut mit dem Leichnam zusammen im
Zimmer ein. Wahnsinn befällt die gute Pierrette, und in
einem salomeartigen Tanz verhaucht sie ihr Leben. Dies
die Handlung der Pantomime, die dem Zuschauer beim
Sehen ziemlich, wenn auch ohne Zuhilfenahme eines Text¬
buches oder Klavierauszuges (bei Doblinger zu Leipzig ver¬
legt nicht ganz restlos klar und offenbar wird. Manch
seine Züge, wie die Erscheinung Pierrots als steinerner
Gast, geben dem Märlein etwas Phantastisch=Romantisches.
Ernst v. Dohnänyi, der österreichische, so schnell zu An¬
sehen gelangte Pianist und Professor an der Berliner Hoch¬
schule, hat schon mit mehreren größeren Werken von sich
reden gemacht. Zwei Sinfonien und zahlreiche Kammer¬
musikwerke sind von ihm bekannt geworden. Auch dieses.
neue Werk, wohl Dohnännis erste Bühnenschöpfung und
Vorstudie zu einer Oper, ist die Probe eines verheißungs¬
vollen Talentes. Es ist ein gutes Zeichen, daß Dohnänyi
bei der musitalischen Bearbeitung auf Kosten der äußer¬
lichen Illustration sein Hauptgewicht auf die Schilderung
der Seelenzustände legt. Obwohl ja gegen eine etwas äußer¬
liche Behandlung der Musik bei einer Pantomime vom
ästhetischen Standpunkt aus nichts zu sagen wäre, weil die
Musik hier doch auch wesentlich zur Verdeutlichung und
Verständlichmachung der Handlung mitzuhelfen hal.
Dohnänni schürft aber, wie gesagt, tiefer und beleuchtet
auch das Innenleben seiner Pierrotwelt. Die Musik von
romantischer Herkunft zeigt in der Anserheitung greßeng
Ernst, in den Einzelheiten beträchtliches Können; im Auf¬
bau offenbart sie Temperament, in der Instrumentation
Geschmack. Mehr als in harmonischer Beziehung weist
Dohnänyis Musik
in melodischer
mitunter eine
gewisse Abhängigkeit von nicht unbekannten Vorbildern
23. Der Schleier der Pierrette
" Son 12.301.
„ODSEITEN
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertrefungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Kom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quslienangsbe ehne Gewähr).
Ausschnitt aus:
24 1 1910 Dresdner Nachrichten:
vom:
Kunst und Wissenschaft.
Der Schleier der Pierrette.
Pantomime in drei Bildern von Arthur Schnitzler.
Musik von Ernst v. Dohnänn
Uraufführung im Dresdner Opernhats am 22. Jannar 1910.
Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen. Diesem
Grundsatz der hiesigen Opernleitung ist die Uraufführung
einer großen tragisch=phantastischen Pantomime zwischen
mancherlei Opernnenheiten zu danken. Aus verschiedenen
Gründen mag man der schauspielerisch getanzten Panto¬
mime als Kunstgattung zurückhaltend gegenüberstehen; zurs
Abwechslung ist sie im Svielplan eines Operntheaters zu¬
weilen sehr willkommen. Das zeigte vor Jahren der immer¬
hin ansehnliche Erfolg von Wormsers entzückendem Enfant
prodigue. Daß freilich ein berühmter Mann allein ein
solches Wert nicht zu halten vermag, mußten Mottl und
Vierbaum mit ihrem Pan im Busch erfahren. Die neueste
Pantomime kam ganz österreichisch, um nicht zu sagen wie¬
nerisch. Wie Arthur Schnitzler, der Wiener Dichter,
dazu gekommen ist, sein groß angelegtes, poesieumflossenes
Renaissancedrama, das ein Kritiker wie Hermann Bahr
seinerzeit für Schnitzlers schönste und reifste Schöpfung
erklärt hat, zu einer Pantomime auszuziehen, ist hier
gleichgültig. Jedenfalls verleugnet auch Schnitzler in der
Pautomime nicht die Grundzüge seiner Kunst, jene eigen¬
tümliche Mischung von Naturalismus und Wienertum, von
Liebelei und Sterbelei. Die Anatolszenen sind in die
Pierrotwelt versetzt. Die Beatrice Nardi von Bologna ist
als Pierrette nach Alt=Wien übergesiedelt. Pierrette mag
den alten griesgrämigen Arlekino nicht heiraten und kommt
zu ihrem geliebten Pierrot, um gemeinsam mit ihm vor der
Hochzeit zu sterben. Pierrot trinkt das Gift allein, stirbt.
Pierrette kehrt zu
den Hochzeitsfeierlichkeiten zurück.
Arlekino vermißt den Schleier an ihr, den sie in Pierrots
Zimmer gelassen hat, und ist darob erstannt. Pierrette
kommt mit Arlekino zu Pierrot; in teuflischer Grausamkeit
nun zecht der Bräutigam mit dem toten Liebhaber und sperrt
schließlich seine Braut mit dem Leichnam zusammen im
Zimmer ein. Wahnsinn befällt die gute Pierrette, und in
einem salomeartigen Tanz verhaucht sie ihr Leben. Dies
die Handlung der Pantomime, die dem Zuschauer beim
Sehen ziemlich, wenn auch ohne Zuhilfenahme eines Text¬
buches oder Klavierauszuges (bei Doblinger zu Leipzig ver¬
legt nicht ganz restlos klar und offenbar wird. Manch
seine Züge, wie die Erscheinung Pierrots als steinerner
Gast, geben dem Märlein etwas Phantastisch=Romantisches.
Ernst v. Dohnänyi, der österreichische, so schnell zu An¬
sehen gelangte Pianist und Professor an der Berliner Hoch¬
schule, hat schon mit mehreren größeren Werken von sich
reden gemacht. Zwei Sinfonien und zahlreiche Kammer¬
musikwerke sind von ihm bekannt geworden. Auch dieses.
neue Werk, wohl Dohnännis erste Bühnenschöpfung und
Vorstudie zu einer Oper, ist die Probe eines verheißungs¬
vollen Talentes. Es ist ein gutes Zeichen, daß Dohnänyi
bei der musitalischen Bearbeitung auf Kosten der äußer¬
lichen Illustration sein Hauptgewicht auf die Schilderung
der Seelenzustände legt. Obwohl ja gegen eine etwas äußer¬
liche Behandlung der Musik bei einer Pantomime vom
ästhetischen Standpunkt aus nichts zu sagen wäre, weil die
Musik hier doch auch wesentlich zur Verdeutlichung und
Verständlichmachung der Handlung mitzuhelfen hal.
Dohnänni schürft aber, wie gesagt, tiefer und beleuchtet
auch das Innenleben seiner Pierrotwelt. Die Musik von
romantischer Herkunft zeigt in der Anserheitung greßeng
Ernst, in den Einzelheiten beträchtliches Können; im Auf¬
bau offenbart sie Temperament, in der Instrumentation
Geschmack. Mehr als in harmonischer Beziehung weist
Dohnänyis Musik
in melodischer
mitunter eine
gewisse Abhängigkeit von nicht unbekannten Vorbildern