II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 11

mime als Kunstgattung zurückhaltend gegenüberstehen; zurf
Abwechslung ist sie im Svielplan eines Operntheaters zu¬
weilen sehr willkommen. Das zeigte vor Jahren der immer¬
hin ansehnliche Erfolg von Wormsers entzückendem Entant
prodigus. Daß freilich ein berühmter Mann allein ein
solches Wert nicht zu halten vermag, mußten Mottl und
Vierbaum mit ihrem Pan im Busch erfahren. Die neueste
Pantomime kam ganz österreichisch, um nicht zu sagen wie¬
nerisch. Wie Arthur Schnitzler, der Wiener Dichter,
dazu gekommen ist, sein groß angelegtes, poesieumflossenes
Renaissancedrama, das ein Kritiker wie Hermann Bahr
seinerzeit für Schnitzlers schönste und reifste Schöpfung
erklärt hat, zu einer Pantomime auszuziehen, ist hier
gleichgültig. Jedenfalls verleugnet auch Schnitzler in der
Pautomime nicht die Grundzüge seiner Kunst, jene eigen¬
tümliche Mischung von Naturalismus und Wienertum, von
Liebelei und Sterbelei. Die Anatolszenen sind in die
Pierrotwelt versetzt. Die Beatrice Nardi von Bologna ist
als Pierrette nach Alt=Wien übergesiedelt. Pierrette mag
den alten griesgrämigen Arlekino nicht heiraten und kommt
zu ihrem geliebten Pierrot, um gemeinsam mit ihm vor der
Hochzeit zu sterben. Pierrot trinkt das Gist allein, stirbt.
Pierrette kehrt zu den Hochzeitsfeierlichkeiten zurück.
Arlekino vermißt den Schleier an ihr, den sie in Pierrots
Zimmer gelassen hat, und ist darob erstaunt. Pierrette
kommt mit Arlekino zu Pierrot; in teuflischer Grausamkeit
nun zecht der Bräutigam mit dem toten Liebhaber und sperrt
schließlich seine Braut mit dem Leichnam zusammen in
Zimmer ein. Wahnsinn befällt die gute Pierrette, und in
einem salomeartigen Tanz verhaucht sie ihr Leben. Dies
die Handlung der Pantomime, die dem Zuschauer beim
Sehen ziemlich, wenn auch ohne Zuhilfenahme eines Text¬
buches oder Klavierauszuges (bei Doblinger zu Leipzig ver¬
legt nicht ganz restlos klar und offenbar wird. Manch
feine Züge, wie die Erscheinung Pierrots als steinerner
Gast, geben dem Märlein etwas Phantastisch=Romantisches.
Ernst v. Dohnänyi, der österreichische, so schnell zu An¬
sehen gelangte Pianist und Professor an der Berliner Hoch¬
schule, hat schon mit mehreren größeren Werken von sich
reden gemacht. Zwei Sinfonien und zahlreiche Kammer¬
musikwerke sind von ihm bekannt geworden. Auch dieses
neue Werk, wohl Dohnänyis erste Bühnenschöpfung und
Vorstudie zu einer Oper, ist die Probe eines verheißungs¬
vollen Talentes. Es ist ein gutes Zeichen, daß Dohnänni
bei der musikalischen Bearbeitung auf Kosten der äußer¬
lichen Illustration sein Hauptgewicht auf die Schilderung
der Seelenzustände legt. Obwohl ja gegen eine etwas äußer¬
liche Behandlung der Musik bei einer Pantomime vom
ästhetischen Standpunkt aus nichts zu sagen wäre, weil die
Musik hier doch auch wesentlich zur Verdeutlichung und
Verständlichmachung der Handlung mitzuhelfen hat.
Dohnänni schürft aber, wie gesagt, tiefer und beleuchtet
auch das Innenleben seiner Pierrotwelt. Die Musik von
romantischer Herkunft zeigt in der Ausorheitung großen¬
Ernst, in den Einzelheiten beträchtliches Können; im Auf¬
bau offenbart sie Temperament, in der Instrumentation
Geschmack. Mehr als in harmonischer Beziehung weist
Dohnänyis Musik
in melodischer mitunter eine
gewisse Abhängigkeit von nicht unbekannten Vorbildern
(am stärksten von der Walküre) auf. Der Most gärt eben
noch; er hat sich noch nicht zum reinen Wein mit kostbarer
eigenartiger Blume geklärt, was aber sicher zu hoffen stehr.
Denn die Bestimmtheit der Dohnänyischen Tonsprache, ihr
zielbewußter Aufbau, der sich in dem großen Walzer
äußernde Schwung sprechen unzweideutig dafür, daß
von Dohnänyi noch manches Schöne zu erwarten steht.
Ernst v. Schuch, ebenfalls Oesterreicher, hatte das
Werl dem Orchester aufs hingebendste einstudiert und die
Vorstellung mit einem hinreißenden Schwunge dirigiert,
wie er eben nur ihm eigen ist. Mit den Bühnenbildern
und der Inszenierung hat Ballettmeister Berger viel Ge¬
schmück und Geschick bewiesen. Die Wiedergabe auf der
Bühne war der instrumentalen Leistung nahezu, wenn
auch nicht ganz ebenbürtig. Was um so mehr anzuerkennen
ist, als fast alle Hauptrollen in den Händen von Opernsängern
lagen. Frl. Tervani stellte eine Pierrette von geschmei¬
digster Erscheinung und lebhaftester Gebärdensprache. An
Geschicklichkeit und vor allem an Grazie der Bewegungen
erfüllte sie freilich nicht den letzten Wunsch. Ihr Schlu߬
tanz ließ aber doch den Wunsch rege werden, sie einmal als
Salome zu sehen. Trefflich in Figur und Spiel waren
auch die Herren Soot und Trede. Die anderen Mit¬
wirkenden mögen sich mit einem Gesamtlob begnügen. Nur
sollte aber streng darauf gehalten werden, daß die Dar¬
steller in der Pantomime nicht so vielfach den Mund wie
zum Sprechen bewegen, daß man sie reden sieht, aber nicht
reden hört. Sobald dies geschieht, wird die Pantomime
ein stilistisches Unding und widersteht.
Der vierte Oesterreicher, der diesem österreichischen
Abend mit zum Erfolge verhalf, soll ebenfalls nicht vergessen
sein — Professor Fanto, der geradezu bezaubernde
Kostüme zusammengestellt hat. — Der Beifall war ungemein
lebhaft; Dohnänni und später auch Schuch wurden oft ge¬
rusen. Arthur Schnitzler war ebenfalls im Parkett an¬
wesend, zeigte sich dagegen nicht. Als stilgerechte Vervoll¬
ständiaung des Abends folgte dem Biedermeierstiel Altwiens
das Biedermeierspiel einer Kleinstadt „Versiegelt“ in
der betannten Besetzung.
Dr. Hugo Daffner.
Telephen 12.291.
„UDSERTER
1. öeterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Aussohaltee
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianta,
Oent, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapoltz
-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockbolm. St. Petese¬
burg, Toronto.

lamburger Nachrichten
Ausschnitt aus
Hamburg
vom:
S
F. A. G. I„,Der Schleier der Pierrette“.] Aus Dresden wird
uns geschrieben: Am Sonnabend fand die Uraufführung der Vanto=L#
mime „Der Schleierder Pierrette“ von Schnitzler und
Dohnanyi im hiesigen Kgl. Opernhause statt. einen
sehr beträchtlichen Erfolg. Wenn der Beifall nur von einem Teile
des Publikums ausging, während der andere Teil Zurückhaltung be¬
wahrte, so liegt dies wohl an dem grausigen Stoffe, der an nerven¬
peitschender Gruseligkeit selbst „Salome“ überbietet. Arthur:
Schnitzler, der sonst so feinsinnige Wiener Poet, hat offenbar
die Absicht gehabt, durch diese Pantomime sich den Modekomponisten
als Textverfasser sensationell=perverser Opern zu empfehlen und
mutet demgemäß den Zuschauern allzuviel zu. Die Handlung ist
etwa folgende: Pierrette ist dem jungen Pierrot untreu geworden
und hat sich mit Arlekino verheiratet. Pierrot erduldet, vor dem
Bilde seiner Angebeteten sitzend, alle Qualen verschmähter Liebe,
da kommt Pierrette im vollen Hochzeitsstaat, mit Brautkranz und
Schleier zu ihm. Es entspinnt sich eine heiße Liebesszene, die in
ein tleines Mahl zu Zweien übergeht. Da macht der verzweifelte
Pierrot der Geliebten den Vorschlag, mit ihm vereint in den Tod
zu gehen. Er schenkt zwei Gläser voll Gifttrank, doch sie weigert sich;
endlich scheint sie nach langem Zureden einzuwilligen. Pierrot leert
den Becher und sinkt bald tot zu Boden, nachdem er noch mit brechen¬
dem Auge hat sehen müssen, daß Pierrette das Glas mit dem Gift¬
trank von sich geworfen hat Entsetzt flieht sie aus dem Gemach des
Toten und eilt wieder in ihr elterliches Haus, wo der Hochzeitstanz
im vollen Zuge ist. Die dringenden Fragen des eifersüchtigen
Gatten nach ihrem Verbleiben beantwortet sie zunächst mit Aus¬
flüchten, auf einmal erblickt sic den toten Pierrot, der ihr gespenstisch
entgegentritt mit dem Schleier in der Hand, den Pierrette im Zim¬
mer des Toten bei ihrer wilden Flucht zurückließ. Arlekino, der das
Fehlen des Schleiers bemerkt, entreißt der Gepeinigten schließlich
das Geständnis, wo sie ihn hat liegen lassen. Arlekino begleitet
Pierrette in das Zimmer, in dem der arme Pierrot tot und starr
am Boden liegt. Arlekino sieht das Bild Pierrettens, den Leichnam
und die Reste des Mahles und begreift, was vorgefallen. Seine
Rache ist grausig. Er schleppt den Toten zum Sofa und setzt ihr
dort halb aufrecht an den Platz, den er einst beim Tete=a=teie mit
Pierrette eingenommen hat. Dann trinkt er dem Leichnam höhnisch
zu und zwingt Pierrette ein Gleiches zu tun. Nach diesem Gelage
mit dem Toten verläßt Arlekino seine ungetreue Braut, die sich nun
mit der Leiche eingeschlossen sieht. Das Grausen raubt ihr den
Verstand und im Wahnsinne kokettiert sie mit dem toten Liebhaber
und tanzt vor ihm einen verlockend wilden Tanz, um endlich tot
neben Pierrot zusammenzubrechen. Daß die Musik, die Ernst
von Dohnanyi zu dieser Handlung geschrieben hat, für den
entsetzlichen dritten Akt nicht ausreicht, halte ich für einen erfreu¬
lichen Beweis dafür, daß sein Talent noch nicht überreizt ist. Hier
ruft man ordentlich nach Richard Strauß, der vielleicht einzig dieser
grimmigen Verhöhnung der Majestat des Todes hätte musikalisch bei¬
kommen können. Im übrigen aber offenbart die Musik des noch
jungen Komponisten nicht nur frische Melodik und aparte Rhythmik,
sondern auch dramatischen Schwung und klangliches Ausdrucksver¬
mögen. Die Instrumentation ist außerordentlich klug berechnet und
zahlreiche eigenartige Klangeffekte entsprechen den Höhepunkten der
Handlung. Die Aufführung war vom Hofballettmeister Berger
mit großer Sorgfalt vorbereitet. Die Hauptpartien waren mit
Opernkräften besetzt. Eine glänzende Kostümierung im Altwiener
Schnitt sorgte für farbenschöne Bilder. Am Dirigentenpulte saß
Ernst v. Schuch, der den musikalischen Leil des Werkes vorzüglich
herausarbeitete und deshalb stürmischer gefeiert wurde als der
komponist, der mit den Hauptdarstellern zahlreichen Hervorrufen
folge leisten durfte.