II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 36

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23. Der Schleien der Bierrette
plastisch sprechen da die Leitmotive, die im gegebenen Moment mit
einer nicht allzu häufigen kontrapunktischen Kunst einander gegenüber¬
gestellt sind. Die Steigerung in diesem Akt ist atembeklemmend, und
was für den Musiker Dohnanyi am meisten spricht: sie ist nicht mit
äußerlichen Mitteln erzielt. Dohnanyis Motive behalten nie die ur¬
sprüngliche Form bei, sondern sie verändern sich, wie es das psycho¬
logische Moment befiehlt. So bietet die Musik in dieser Pantomime
den Ersatz für das gesprochene Wort. Auch dort, wo sie als selb¬
ständiger Faktor auftritt, ist sie bemerkenswert, besonders in einem
hinreißenden symphonischen Walzer, die die ersten beiden Bilder mit¬
einander verbindet.
Die Vermittler des pantomimischen Teils sind in Dresden Opern¬
sänger. Im Verlauf der Wiederholungen haben sie eine staunens¬
werte Sicherheit im Ausdruck gewonnen und spielen mit einer Vir¬
tuosität, die kaum vermuten läßt, daß ihre Kunst auf ganz anderm
Gebiete liegt. Pierrette ist Irma Tervani, von Haus aus Altistin,
eine Schwester der berühmten Aino Ackté. Ernst von Schuch dirigiert
in seiner unnachahmlichen Art. Kein Zweifel, der „Schleier der Pier¬
rette wird seinen Weg machen.
Berliner Zukunftsmusik
IV
Paul Stefan
Ich will nur von der Großen Oper am Kurfürstendamm],
sprechen. Und da glaube ich nun, daß dieses Unternehmen berechtigt“
ist und für unsre dramatische Musik und ihr Publikum Bedeutung
gewinnen kann. Wir brauchen eine Stätte, an der man aus dem
Vollen schöpft, um Neues zutage zu fördern, wir brauchen Geld für
vollendete Leistungen, die mit der Tradition brechen können und
wollen. Wir brauchen eine Fortsetzung dessen, was Mahler in Wien
gewollt und versucht hat, um so mehr, da auch Hagemann die Opern¬
bühne verläßt, deren Hoffnung er war. Es ist für uns, selbst wenn
uns kein einziges großes Werk hinzugeschenkt würde, unendlich viel zu
tun. Wagner wird frei, und wenn es auch verfehlt wäre, die Hörer
nun plötzlich mit seinem Werk wahllos zu überschütten, weil man
eben Tantiemen spart, so ist doch häufigen zyklischen Aufführungen
noch manche ungeahnte Wirkung vorbehalten. In Wagners (und Mah¬
lers) Sinn ist dann zu zeigen, wie das Musikdrama seit Gluck heran¬
reift. Mozart ist eine ewige Quelle neuer Erkenntnisse und Freuden.
„Fidelio“ ist unerhörter szenischer Steigerungen fähig. Weber harrt
neben Lortzing und Marschner der Wiedergeburt aus dem Geist unsrer
drängenden Sehnsucht. Die neue deutsche und französische Oper wir¬
belt tausend bunte Probleme auf. Zum Vergleich sei die echte italie¬
nische willkommen, und alles, alles sei groß bedacht und würdig aus¬
geführt! Ein solches Haus fehlt uns heute.
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