II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 37

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23. Der Schleiender Pierrette
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sive Amsel. Ihr Antagonismus tritt vom ersten
Tag erwacht, der Morgen siegt, die Höhen der
Wortwechsel an deutlich hervor, ihre Charak¬
Berge erglühen im Morgengold, Mond und
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tere stehen sich gegenüber. Die Amsel ist der
Sterne erbleichen, das Silber der Bäche erglänzt
Skeptiker, der Idealverneiner, das Fasanenhuhn
und tausend Stimmen der Natur erwachen.
ist das „ewig Weibliche“, mit den verlockenden
Wir stehen hier vor einer unvergleichlichen
Reizen, seiner Anmut, seiner Falschheit, seiner
Szene durch die ein Hauch großer Poesie zicht.
Eitelkeit, der Pfau stellt den eingebildeten
Doch die Feinde brüten Unheil, er muß sich
Gecken dar, geschwollen von seiner eigenen
schlagen und seine Henne erkämpfen und er
Wichtigkeit. Die Cule ist der schleichende Rei¬
siegt. Bewundernd blickt sie zu ihm hinauf
der, gierig seinen Groll zu sättigen, das Perl¬
und folgt ihm in den Wald auf die Hochzeits¬
huhn ist die Weltdame, eitel und schwatzsüch¬
reise. Er hört die Nachtigall und beginnt an
tig, der Hund ist der brave Mann, edel und
sich zu zweifeln. Doch sie zicht ihn liebkosend
empfänglich, aber zum Haustier geworden.
unter ihre Flügel und schläfert ihn ein. Grä߬
Der erste Akt stellt das Innere eines Bau¬
lich ist das Erwachen. Die Sonne steht am
ernhofes dar. Die geflügelten Einwohner suchen
Himmel, der Tag ist erwacht und Leben und
Körnchen und plaudern lustig miteinander. Da
Schaffen, ohne auf seinen Ruf gewartet zu
erscheint der Herr, der Hahn, Chantecler, dessen
haben. Seine Träume und Mllusionen sind zer¬
Umrisse sich stolz vom Horizont abheben.
stört. In die Seele getroffen stürzt der Hahn
Alles schweigt, jeder neigt sich. Sie wissen er
zu Boden. Auch die Henne ist enttäuscht, doch
ruft die Sonne hervor und verkündet den Tag.
sie liebt den armen, geprüften Künstler. Sie
Es entspinnt sich dann eine Liebelei zwischen
erkennt sich als die Ursache seines falles und
dem Hahn und dem Fasanenhuhn, Er verbirgt
will die Wunde heilen, die er so stolz und
seine Reigung nicht, sie dagegen leugnet ihre
männlich trägt.
Gefühle, denn sie ist kokett. Die Nacht senkt
Dies ist in großen Zügen der Inhalt des
sich hernieder und wilde, runde Rugen leuchten
Stückes. Die Handlung ist sehr einfach und
unheilvoll durch das Dunkel. Die Nachtvögel,
glänzt durch die großartige lprische Entwick¬
welche die Finsterlinge, den Reid, die Übel¬
lung und die symbolischen Gedanken, die sie
woller Symbolisieren, glauben an ihre Macht
zum Ausdruck bringt. Die Leistungen und Büh¬
und trachten Chantecler nach dem Leben.
nenwirkungen sind erstklassig. Mr. Guitry
Da beginnt das Fasanenweibchen ihn zu
als Chantecler, Mmne. Simone als Fasanen¬
lieben, weil er verfolgt und gehaßt ist. Die
huhn und Mr. Galipanx als Amsel verdienen
Feinde liegen im Hinterhalt, doch er ist auf
besonderes Lob. Wie schade, daß das Schicksal
der Hut und mit einem Mark und Bein durch¬
Coquelin Riné, für den Chantecler eigentlich
dringenden Schrei „Kikeriki“ erweckt er den
geschrieben wurde, so grausam von uns ge¬
Tag. Er vertraut dem Fasanenweibchen sein
rissen hat, ehe er noch diese forbeeren in den
Geheimnis an, erklärt ihr die eigentümliche
Kranz seiner Unsterblichkeit flechten konnte.
Macht seines Rufes. Und siehe, wirklich der
L. 6.
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Der Schleier der Pierrette.
Pantomime von Artur Schnißler, Musik von Ernst von Dohnanpi.
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Dresden. Mit der Pantomé„Der Schleier
flieht Pierrette in Schleier und Kranz zu ihrem
der Pierretie“ die in der Dresdner Hofoper
Dierrot, um gemeinsam mit ihm zu sterben.
die Uraufführung erlebte, ist Ernst von Doh¬
Sie feiern ein letztes Beisammensein. Doch
nanyi zum erstenmal als Bühnenkomponist
Dierrette bringt den Gifttrank nicht über die
vor die Offentlichkeit getreten und hat einen
Lippen und als sie den entschlosseneren Dierrot
großen und wohlberechtigten Erfolg errungen.
tot sicht, eilt sie schaudernd zurück zum feste.
Man wird nicht anstehen, Dohnanvi nach dieser
Man hat sie vermißt. Der argwöhnische
starken Talentprobe zu den Hoffnungen unserer
Bräutigam merkt bald, daß ihr der Schleier
musikalischen Bühne zu rechnen. Das Buch
fehlt. Sie aber glaubt überall den Schatten
der Pantomime, deren drei Bilder ohne Pause
des toten Geliebten zu erblicken und halb be¬
in nicht ganz anderthalb Stunden vorüberziehen,
wußtlos eilt sie dem Bilde nach. Arlechino
hat Artur Schnitzler nach Motiven seines
folgt ihr. In Pierrots Wohnung angekommen,
„Schleier der Beatrice“ hergestellt. Aus dem
findet er den Schleier und den Toten und be¬
Bologna der Renaissance ist die Handlung ins
ginnt nun, von rasender Wut gepackt, ein teuf¬
alte Wien der Biedermeierzeit verpflanzt worden.
lisches Spiel. Er setzt den Leichnam aufrecht
Von ihrer Hochzeit mit dem finsteren Arlechino
an den Tisch, trinkt ihm höhnisch zu und
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