II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 57

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23. Der Schleiender pierrefte

Sentordiaplatz 4.
Vertrefungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe. ohne Gewähr).
Ausschnitt dügnes Tagblatt, Stuttgssert
25 4 1910
vom:
sae dn

Lebendigkeit. Albin Swohoda stellte den Bürger¬
R. Hoftheater zu Stuttgart.
meister mit gravitätisch verhaltener Verliebtheit und
„Versiegelt“.
drolligem Ausdruck der Schrankängste dar. Lisa
Heinefetter und Wolfgang Kanzow waren
Komische Oper in einem Akt nach Raupach von Richard
als Elsa und Vertel in Gesang und Spiel ein rechtes
Batka und Pordes=Milo. Musik von Leo Blech.
biedermeierlich sentimentales und neckisches Liebespaar.
Johanna Schönberger traf als Frau Willmers
„Der Schleier der Pierrette“.
den kleinbürgerlichen Ton in Haltung und Gesang aus¬
Pantomime in drei Bildern von Arthur Schnitzler.
1gezeichnet und Luowig Wiedemann war ein pol¬
Musik von Ernst v. Dohnanyi.—
ternder, amtseifriger und wichtigtuender Ratsdiener
Von einem Pol musikdramatischer Kunst zum ande¬
Lampe. Die Vertreter der kleineren Partien und der
ren weisen die beiden neuen Werke. Im ersten behag¬
Chor vervollständigten das nette, frische Bild mit Leben¬
digkeit und musikalischer Sicherheit.
lichste Lebensfreude, harmloser, biedermeierlicher Humor
und etwas Sentimentalität mit glatter musikalischer Ge¬
Die Pantomime von Schnitzler=Dohnanyi zeigt den
sprächigkeit; das alles weist auf das Musiklustspiel, das
tragischen Liebestod von Pierrot und Pierrette. Wäh¬
Schaffende und Opernfreunde sich als Gegengewicht gegen
rend Arlechino und die Hochzeitsgesellschaft auf das Er¬
die Schwere des großen Musikdramas ersehnen. Das an¬
scheinen der Braut warten, hat diese mit Pierrot in
dere will mit schärfsten Mitteln von Bildwirkung, Be¬
dessen Zimmer ein Zusammentreffen. Pierrot überredet
wegung und instrumentalem Ton erschüttern. Das
sie, in seinem Liebesschmerz mit ihr zu sterben. Mit
Schaudern, der Menschheit bestes Teil, soll erregt werden
Grauen weist sie immer wieder den Gifttrank zurück,
und die Autoren gehen dabei bis zur äußersten Grenze
und als sie ihn endlich nimmt, trinkt Pierrot. Im Todes¬
des Aesthetischen. Die harmlose Handlung von „Ver¬
schmerz schlägt er ihr das Glas noch aus der Hand und
siegelt“ ist schnell erzählt. Eine junge lebenslustige
stirbt. Von Entsetzen gepackt, flieht sie und läßt ihren
Witwe, die nach neuer, solid gegründeter Liebe, nach der
Schleier bei ihm zurück. Sie erscheint bei der Hochzeits¬
Würde der Frau Birgermeisterin strebt, nimmt einen
gesellschaft. Der eifersüchtige Bräutigam bestürmt sie
Schrank einer Nachbarin, dem Pfändung wegen Steuer¬
mit Fragen und Vorwürfen wegen ihres Ausbleibens.
schuld droht, in ihrem Hause auf, und in diesem versteckt] Sie beschwichtigt ihn und tanzt mit ihm, doch immer
sie den verliebten Bürgermeister, als der amtseifrigwieder erscheint ihr das Bild des Toten. Arlechino ver¬
spionierende Ratsdiener die beiden im zärtlichen Bei¬
mißt ihren Schleier und zwingt sie, mit ihm zu geben.
sammensein stört. Der Schrank wird versiegelt und der
ihn zu holen. Er findet ihn bei den. toten Pierrot, den
eingesperrte Bürgermeister kann sich nur befreien, indem
er vor Pierrette aufrecht an den Tisch setzt, dann ver¬
er seinen Widerstand gegen die Heirat seiner Tochter
läßt er mit Hohnlachen das Zimmer und schließt sie mit
mit dem Sohn der verschuldeten Nachbarin aufgibt. dem Toten ein. Das Entsetzen treibt das Mädchen in
Seinen Platz im Schrank nimmt nun das glückliche junge! Wahnsinn und in einem grauenhaft wilden Tanz stürzt
Paar ein; die verletzten Siegel werden erneuert, und als sie tot nieder. Diese schauerlichen Bilder, besonders
Frau Gertrud mit der ganzen Nachbarschaft erscheint, das letzte, wirken mit ihrer brutalen Realistik fast un¬
um das gefangene Stadtoberhaupt im Schrank zu hänselnerträglich und abstoßend. Vielleicht ließ sich das Grauen¬
und ihn zum offenen Bekenntnis seines zärtlichen Ver¬ hafte etwas mildern und zu künstlerischer Wirkung er¬
hältnisses zu der schönen Witwe zu zwingen, öffnet der heben, wenn das Ganze etwas verschleierter und weiter
Bürgermeister selbst den Schrank. Die bürgermeisterliche abgerückt vom grellen Rampenlicht und etwas gekürzt
Reputation ist geretiet und die Liebe der beiden Paare dargestellt würde. Die Musik von Dohnanyi ist stim¬
wird, wie üblich, am Schluß mit Küssen besiegelt. Leo
mungskräftig und symphonisch gehaltvoll. Die Einzel¬
Blech hat zu diesem niedlichen Vorgang eine melodisch
leistungen der Darsteller, anter denen vor allem Elsa
fließende, reizvolle Musik gegeben, die sich ganz im Ein¬
[Hötzel als Pierretie und Arne von Erpeeum
klang mit der freundlichen Harmlosigkeit des Textes be¬
als Pierrot durch „sprechenden“ Ausdruck in Bewegun¬
findet und der Eindruck des ganzen Werkes ist ein durch¬
gen und Mienenspiel hervorragten, waren durchweg aus¬
aus erfreulicher und harmonischer. Die Aufführung, gezeichnet. Das Zusammenwirken zeigte das künstterisch
unter Leitung von Maithäus Pitterofflseinste Verständnis der Leitung, Emil Gerhäuser und
und Emil Gerhäuser, verlief auch in
jeder Anna Steinwender, für solche neue bedeutungsvolle Auf¬
Beziehung äußerst anregend und zeigte in szentschergaben. Max Schillings brachte mit dem Orchester
Aufmachung und musikalischer Gestaltung feine künst=die Musik farbenreich und rhythmisch energisch zur Er¬
lerische Abrundung. Anna Sutter war als Frau
scheinung.
Gertrud ganz auf der Höhe;ihrer liebenswürdigen Dar¬
Oscar Schröter.
stellungskunft und sang und spielte mit entzückender