II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 58

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DerSchlefender- Pierrette
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(Quellenangabe obue Gewähr).
Ausschnitt aus
Der Beobachter, Stuttgart
gun: 23 4 1910
— —
Theater, Kunst, Ziteratur, Wissenschaft.
K. Hoftheater. „Versiegelt“. Komi¬
sche Oper in einem Akt nach Raupach von Batka
und Pordes=Milo. Musik von Leo Blech. Mit
vereinten Kräften haben hier wieder einmal zwei
Librettisten einen Stoff nicht selbst erfunden, son¬
dern haben das einem Dritten überlassen. Ihr
Textbuch ragt immerhin über das, was auf Lieb¬
haberbühnen geboten wird, noch hinaus; an Un¬
möglichkeiten wird einem nicht mehr, als man er¬
tragen kann, zugemutet. Die Witwe Willmers
(Joh. Schönberger) bringt einen von der
Pfändung bedrohten Schrank in Gewahrsam bei
der jungen Witwe Gertrud (Anna Sutter),
die in demselben ihren Liebhaber, den Bürger¬
meister (A. Swoboda), vor dem eintretenden
Ratsdiener (L. Wiedemann) versteckt. War¬
um geht denn der Bürgermeister, da ja zwei Aus¬
gänge vorhanden sind, nicht einfach wieder zu der
Tür hinaus, zu der er hereingekommen ist?! Diese
ungute Frage kann vermieden werden, sobald nur
eine Türe zum Auftritt benützt wird.) Der Schrank
wird versiegelt, wird aber troßdem zum Tauben¬
schlag für fast alle, die nachher ein Paar werden
wollen. Diese Szenen sind nun wirklich ganz hübsch
aufgebaut und geben viel zu lachen. Die Musik von
Leo Blech (musikal. Leitung M. Pitteroff) be¬
deutet keine allzugroße Verschwendung an geistrei¬
chen Einfällen, ist aber von guter Wirkung. Das
Liebesduett zwischen Elsa (L. Heinefetter)
und Bertel (W. Kanzow), die einzige lyrische
Oase, erhebt sich zu wirklicher Schönheit. Der Chor
ist recht gut an seinem Platz zur Steigerung des
Schlußeffektes. Gespielt wurde sehr munter und
frisch, und der lebhafte Beifall war ein wohlver¬
dientor.
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e
„Der Schleier der Pierrette.“ Pan= wirkten auch die Soloinstrume
tomime in drei Bildern von ##
Kürzungen würden dem Ganz
Schuitler. Musik
kommen. Vielleicht könnte sich d
von E. v. Dohnanyi. — I. B (A.
entschließen, bei ähnlichen Stück
van Erpecum) ist in seinem ärmlichen Zimmer
dem Theaterzettel eine kurze
allein mit seinem Schmerz, daß seine Geliebte Pier¬
rette (Elsa Hötzel) jetzt eben Hochzeit macht mit
Gang der Handlung zu geben,
Arlechino (A. Swoboda). Die Freunde be¬
sischen Theatern allgemein übl
mühen sich vergeblich, Pierrot zum Hochzeitsfest
S
abzuholen. Da erscheint bei ihm Pierrette im
Brautschleier, der ihr entsinkt. Das Liebespaar
hält einen Abschiedstrunk, bevor es gemeinsam
in den Tod gehen will. Pierrot trinkt das Gift;
als er aber sieht, daß sie zögert, schlägt er
ihr den Becher aus der Hand und stirbt. —
2. Bild. Im festlichen Saal die Hochzeits¬
gesellschaft bei Wein und Tanz. Arlechino hat die
Abwesenheit seiner Braut bemerkt, er gerät in wilde
Wut, läßt sich aber durch ihr Erscheinen wieder
besänftigen. Der fehlende Schleier aber und die
verstörten Mienen Pierrettens, die eine Vision von
ihrem toten Freund hat, stacheln seine Wut aufs
neue an.
3. Bild. In Pierrots Zimmer.
Hieher ist Pierrette wieder geeilt, verfolgt von Ar¬
lechino, der das Geheimnis der beiden nun ent¬
rätselt. Er rächt sich, indem er Pierrette mit dem
toten Geliebten ins Zimmer einschließt. In wil¬
dem Wahnsinn tanzt sie, bis sie tot niedersinkt. —
Der Komponist hat zu dieser tiefangelegten Hand¬
lung eine hervorragend schöne, melodie= und far¬
benreiche Musik geschrieben, die unter Schil¬
lings Leitung im Verein mit der vorzüglichen
Darstellung einen tiefen Eindruck hinterließ. Doh¬
nanyi versteht es, vortrefflich zu charakterisieren;
wunderbar in der Orchestrierung war die Liebes¬
szene im 1. Bild, die Wahnsinnsszene, das Rüt¬
teln Pierrettens an der Tür und noch eine Menge
prächtiger Einzelheiten. Ueberaus verdienstlich