II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 132

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23. Der Schleier der pierrette
mäßigen mit viel Eigenart getroffen. Instrumentalen
Tod zu geben, den Pierrot schon getrunken. Mit
Farbenreiz bieten die sehr gelungenen Tanzszenen:
gellendem Lachen schleudert er ihr, die sich ihm kurz
der durchgehende D-dur=Walzer, das feine Menuett
Kunst und Wissenschaft.
vorher in seligem Liebestaumel hingegeben, das Glas
und die an die Altwiener Bilder der Meister Tan¬
aus der Hand und stürzt tot vor ihrem Bilde nieder.
hauser und Waldmüller erinnernde kurze Quadrille
## Novitäten in der Oper.
Zur festlichen Hochzeitsgesellschaft (2. Aufzug) zu¬
a la cour, wie auch die große Walzer=Ueberleitung
rückgekehrt, bemerkt der eifersüchtig verschlossene
Der praktische Arzt und Poet
zum zweiten Aufzug zu den besten Momenten der
Arlechino den fehlenden Schleier. „Du wirst jetzt
„ash. 15. Mai 1862 in Wien), eNel Hulgo von
Partitur gehört. Im Schlußbild gebricht es der
mit mir vereint denverlorenen Schleier wieder
öfmannsthal und Hermann Bahr einer der meist¬
Musik an dramatischer Kraft, wenn auch die Szen¬
herbeischaffen!“ Im Morgengrauen (3. Aufzug) er¬
genannten Vertreter der jetzigen Wiener Literatur¬
selbst hier freilich für sich spricht. Hier waren:
reichen beide Pierrots Zimmer. Arlechino findet
m Ersatz für das
richtung, hat mit seinem Schauspiel „Der Schleier
einige Kürzungen am Platze
den Toten, entdeckt den Verrat und übt nun teuflische
der Beatrice“ keine rechte Freude gehabt. Nun er¬
gesungene Wort müssen die Sänger die kleinste mu¬
Rache. Pierrette muß in dem verschlossenen Zim¬
lebt er die Genugtuung, daß sein Werk als Panto¬
sikalische Zeichnung im genauen Gebärdespiel auf¬
mer ihrem Geliebten Gesellschaft leisten. Mit dem
mime: „Der Schleier der Pierrette“ mit
nehmen. Auch bei uns wurde dadurch die Partien¬
Leichnam allein gelassen, verfällt sie dem Wahnsinn
der Musik (op. 18) von Ernst von Dohnänyi
besetzung zu einer schwierigen Frage; verfügt doch
und sinkt tot zu Pierrots Füßen nieder. So finden
seit der Uraufführung in Dresden (Ende Januar
nicht jede Bühne über eine so rassig temperament¬
Pierrots Freunde und ihre Dämchen das entseelte
d. J) über viele Bühnen geht. Wie Schnitzler ein¬
volle Pierrette, wie Dresden in Irma Tervani. So
Die unheimliche Grausigkeit des
Liebesvaar
mat selbst bekannte, war die erste, schon 1892 ent¬
hot auch Fräulein Sellin, deren große Begabung!
irrsinnig wild verlockenden Tanzes der Pierrette vor
standene, aber nicht veröffentlichte Fassung eine Pan¬
auf einem völlig anderen Gebiete liegt. in den bei¬
der wächsern im Sessel hängenden Leiche ist ein
tomime gewesen, die sich im Altwiener Milieu ab¬
den ersten Aufzügen ungleich Besseres als in der
Stück sensationell widerlicher Bühnenkunst, gegen
Schlußszene, deren Gestaltung eine reife, große
spielte. Der Konflikt in diesem „Atelierscherz“ löste
des
das Salomes Schleiertanz um den Kopf
Schauspielerin verlangt, wie es für derartige Sze¬
sich ohne Tragik lustspielmäßig auf. Während der
Jochanaan fast als Kinderszene anmutet. Hier
nen etwa die Sarah Bernhardt der achtziger Jahre
Umarbeitung zu einem Schauspiel, das immer
feiern die düsteren Nachtstücke des „tollen“ E. T. A.
war. Trotz allem gab sich aber unsere treffliche
noch das Gepräge des vormärzlichen Wien tragen
Hoffmann, die schauerlichen Geschichten eines Edgar
junge Künstlerin mit der ihr gestellten Aufgabe so
sollte, kam Schnitzler auf den Gedanken, die Hand¬
Allan Pos eine seltsame Wiedergeburt. Jene
viel Mühe, daß ihr auch hier die größte Anerken¬
lung nach Bologna und in die Renaissancezeit zu
Schlußszene konnte Barbey d'Aurevilly in seinem
nung nicht versagt werden kann. Nebenbei bemerkt,
berlgen. Die schöne Beatrice eilt nach ihrer Hoch¬
„Dlaboliques“ entworfen und ein Felicien Rops
wüßten wir in der Reihe der jüngeren Kräfte un¬
geit mit dem Herzog Bentivoglio zu dem Dichter
gezeichnet haben.
seres Ensembles wirklich niemanden, der dieser
Felippo Loschi und verrät sich dann dadurch, daß sie
Ernst von Dohnänyi (geb. 1877 in Pre߬
schwierigen Rolle viel besser gerecht geworden wäre.
ihren Schleier bei dem Geliebten vergessen. Die
burg), der als Professor an der Berliner Hochschule
Sehr gut war Herr Wirl als Pierrot, wie auch
Tragödie (1901 erschienen) sollte das Publikum des
für Musik wirkende Komponist, ist unserem musi¬
die Herren Brinkmann als Arlechino und
Wiener Burgtheaters nicht kennen lernen, da sich
kalischen Publikum kein Fremder mehr. Im Mu¬
Hauck als Gigolo wirksam in die Situation ein¬
Dr. Paul Schlenther entschieden weigerte, das große
seum lernte man ihn wiederholt als Pianisten ken¬
griffen. Ad vocem Sellin verlautete übrigens neu¬
fünfaltige Drama aufführen zu lassen. Dieser
inen, wie auch als Komponisten der D=moll=Sympho¬
lich auch schon öffentlich. man wolle die Dame hier
Widerstand führte bekanntlich zu der ersten Krise
nie, der von H. Becker eingeführten Cellosonate und
leichthin ziehen lassen. Bei einer doch anzunehmen¬
deren weiterer Verlauf zur Demission Schlenthers
zweier Streichquartette. Mit dieser Pantomime hat
den Autorität von drei Kapellmeistern und dem
in Wien führte. Da aber der Tragödie trotz vielen
Dohnänyi — ein Schülex von Hans Kößler in Bu¬
Oberregisseur, die alle die Verwendbarkeit der
wirllichen Schönheiten der Sprache auch bei Brahm
dapest, als Pianist dort von Thoman und von
Künstlerin (unserer ausgezeichneten Melisande. Mi¬
in Berlin kein rechter Erfolg beschieden war. st
Leschetitzky in Wien — zum erstenmale den Boden
Carusos treffliche Partnerin — „Liebelei“,
mi —
kehrte Schnitzler, den Kern der ersten Handlung
der lockenden Bühne betreten. Ist es nicht merk¬
u. g) kennen und für ihre Qualitäten energisch ein¬
bepützend, wieder zu der Pantomime zurück, jener.
würdig, daß alle die großen Pianisten nicht
deren
neten müßten können wir dieses Gerücht un¬
künstlerischen Zwitterart des Dramas auf
sondern ungleich
Virtnosenkarrière.
der
möglich glauben und verweisen es vorläufig in das
Gebiet er auch sein Puppenspiel „Der tapfere## in
mehr auf kompositorischem Gebiete die innere Be¬
üppig wuchernde Feld der mehr oder weniger ab¬
Kassian“ (komponier“ von Oskar Straus) gestellt
friedigung und den künstlerischen Erfolg suchen und
sichtsvollen Theaterklatscherei.
hatte. So entstand vor etwa sechs Jahren auf aller¬
finden wollen? Von Liszt und Rubinstein an bis
lei Umwegen Dahnänyis Pantomime „Der Schleier
Den gestrigen Novitäten=Abend leitete einel
zu ###ll eri Friedheim Pe#erewsty Busoni und
der Pierrette“ (Klavierauszug von Brandts-Buys
kurze dramatische Musiquette ein, die nach der
nun auch Dohnanyi — immer das gleiche Bild.
im Verlag von Ludwig Doblinger in Wien) die
Münchener Uraufführung (Anfang Dezember vor.
Auch der Komponist unserer Pantomime sucht zwar
wieder in das Altwiener Milien der „Liebelei“ ge¬
Jahres) ebenfalls schon über viele Bühnen ge¬
noch eigene Wege, hat aber gerade den sein diffe¬
rückt wurde. Pierrette kommt von ihrer Hochzeit mit
gangen ist: „Susannens Geheimnis“, In¬
renzierten Charakter der Händlung Schnitzlers nach
Arlechino zu Pierrot ihrem Geliebten, um vereint
termezzo in einem Akt nach dem Französischen von #
der leichteren Seite und des mehr Lyrisch=Gefühls¬
mit ihm zu sterben. Doch sie ist zu schwach, sich den
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