II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 133

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23. Der Schleier der pierrette

Enrico Golisciani, Deutsch von Max Kalbeck,
mäßigen mit viel Eigenart getroffen. Instrumentalen
Tod zu geben, den Pierrot schon getrunken. Mit
Musik von Ermanno Wolf=Ferrari, dem
Farbenreiz bieten die sehr gelungenen Tanzszenen:
gellendem Lachen schleudert er ihr, die sich ihm kurz
Schöpfer der vor einigen Tagen gehörten „Vita
der durchgehende D-dur=Walzer, das feine Menuett
vorher in seligem Liebestaumel hingegeben, das Glas
nnova“. Die harmlose Geschichte spielt in dem
und die an die Altwiener Bilder der Meister Tan¬
aus der Hand und stürzt tot vor ihrem Bilde nieder.
jetzigen Niemont. Graf Gil ist Nichtraucher.
hauser und Waldmüller erinnernde kurze Quadrille
Zur festlichen Hochzeitsgesellschaft (2. Aufzug) zu¬
Die junge Gräfin ist, laut Textbuch), 20 Jahre
a la cour, wie auch die große Walzer=Ueberleitung
rückgekehrt, bemerkt der eifersüchtig verschlossene
olt, singt Sogran und raucht ebenso verstohlen
zum zweiten Aufzug zu den besten Momenten der
Arlechino den fehlenden Schleier. „Du wirst jetzt
als leidenschaftlich gerne Zigaretten. Der Herr
Partitur gehört. Im Schlußbild gebricht es der
mit mir vereint den verlorenen Schleier wieder
Graf riecht den Tabak, wird auf einen vermut¬
Musik an dramatischer Kraft, wenn auch die Szen¬
herbeischaffen!“ Im Morgengrauen (3. Aufzug) er¬
lichen Nebenbuhler eifersüchtig, fängt einen fürch¬
selbst hier freilich für sich spricht. Hier wären
reichen beide Pierrots Zimmer. Arlechino findet
m Ersatz für das
terlichen Streit an und entdeckt schließlich das
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einige Kürzungen am Platze
den Toten, entdeckt den Verrat und übt nun teuflische
harmlose „segreto di Susanna“, die — Sigaretta!
gesungene Wort müssen die Sänger die kleinste mu¬
Rache. Pierrette muß in dem verschlossenen Zim¬
In dem üblichen Schlußduett fällt sich das junge
sikalische Zeichnung im genauen Gebärdespiel auf¬
mer ihrem Geliebten Gesellschaft leisten. Mit dem
Paar in die Arme und gerührt über so viel
nehmen. Auch bei uns wurde dadurch die Partien¬
Leichnam allein gelassen, verfällt sie dem Wahnsinn
Liebe fällt der Vorhang. Nett das Librekto,
besetzung zu einer schwierigen Frage; verfügt doch
und sinkt tot zu Pierrots Füßen nieder. So finden
hübsch die Musik. So in der prickelnden Ouver¬
nicht jede Bühne über eine so rassig temperament¬
Pierrots Freunde und ihre Dämchen das entfeelte
türe, den reizend instrumentierten Kantilenen und
volle Pierrette, wie Dresden in Irma Tervani. So
Liebesvaar... Die unheimliche Grausigkeit des
dem Orchesterzwischen,piel, der niedlichen Ziga¬
bot auch Fräulein Sellin deren große Begabung
irrsinnig wild verlockenden Tanzes der Pierrette vor
rettenszene Von kosenden Lüften umsäuselt", und
auf einem völlig anderen Gebiete liegt. in den bei¬
der wächsern im Sessel hängenden Leiche ist ein
deu ersten Aufzügen ungleich Besseres als in der
dem Schlußduett. Daß sich alles das in dem
Stück sensationell widerlicher Bühnenkunst, gegen
flüssigeren italienischen Original besser anhören
Schlußszene, deren Gestaltung eine reife große
das Salomes Schleiertanz um den Kopf des
Schauspielerin verlangt, wie es für derartige Sze¬
würde, bedarf keiner Frage. Die Partie der
Jochanaan fast als Kinderszene anmutet. Hier
nen etwa die Sarah Bernhardt der achtziger Jahre
Susanne hatte, da Frau Gentner=Fischer wegen
feiern die düsteren Nachtstücke des „tollen“ E. T. A.
war. Trotz allem gab sich aber unsere treffliche
Erkrankung diese Rolle abgab, Fräulein Franz
Hoffmann, die schauerlichen Geschichten eines Edgar
junge Künstlerin mit der ihr gestellten Aufgabe so
in wenigen Tagen rasch studieren müssen. Hätte
Allan Poë eine seltsame Wiedergeburt. Jene
viel Mühe, daß ihr auch hier die größte Anerken¬
doch der schon früher angesetzte Premieren=Abend
Schlußszene konnte Barbey d'Aurevilly in seinem
nung nicht versagt werden kann. Nebenbei hemerkt,
nochmals verschoben werden müssen. In Anbe¬
„Diaboliques“ entworfen und ein Felicien Rops
wüßten wir in der Reihe der jüngeren Kräfte un¬
tracht dieser schnellen und dankenswerten Ueber¬
gezeichnet haben.
seres Ensembles wirklich niemanden, der dieser
nahme darf man mit dieser gesanglich nicht gerade
Ernst von Dohnänyi (geb. 1877 in Pre߬
schwierigen Rolle viel besser gerecht geworden wäre.
idealen Besetzung nicht zu streng in's Gericht
burg), der als Professor an der Berliner Hochschule
Sehr gut war Herr Wirl als Pierrot, wie auch
gehen. Große musikalische Sicherheit und mun¬
für Musik wirkende Komponist, ist unserem musi¬
die Herren Brinkmann als Arlechino und
teres Spiel ersetzten hier das Fehlende. Neben
ikalischen Publikum kein Fremder mehr. Im Mu¬
Hauck als Gigolo wirksam in die Situation ein¬
Herrn Brinkmann, der, gesanglich gut, den
seum lernte man ihn wiederholt als Pianisten ken¬
griffen. Ad vocem Sellin verlautete übrigens neu¬
Kavalier hätte etwas feiner zeichnen dürfen, gab
inen, wie auch als Komponisten der D=moll=Sympho¬
lich auch schon öffentlich, man wolle die Dame hier!
Herr Hauck die stummen Episoden des Dieners
mie, der von H. Becker eingeführten Cellosonate und
leichthin ziehen lassen. Bei einer doch anzunehmen¬
— Um die Auf¬
Sante mit wirksamer Komik.
zweier Streichquartette. Mit dieser Pantomime hat
den Autorität von drei Kapellmeistern und dem
führung und Vorbereitung der beiden Neuheiten
Dohnänyi — ein Schülex von Hans Kößler in Bu¬
Oberregisseur, die alle die Verwendbarkeit der
hatten sich in musikalischer und szenischer Hinsicht
dapest, als Pianist dort von Thoman und von
Künstlerin (unserer ausgezeichneten Melisande. Mi¬
die Herren Dr. Rottenberg und Krähmer
zum erstenmale den Boden
Leschetitzky in Wien
mi — Carusos treffliche Partnerin — „Liebelei“
sehr anerkennenswerte Verdienste erworben. War
der lockenden Bühne betreten. Ist es nicht merk¬
u. g) kennen und für ihre Qualitäten energisch ein¬
die musikalische Charakteristik bei Dohnänyi scharf
würdig, daß aue die großen Pianisten nicht
neten müßten, können wir dieses Gerücht un¬
hervorgehoben, so würde uuch die Leichtflüssigkeit
sondern ungleich
Virtnosenkarrière
in der
möglich glauben und verweisen es vorläufig in das
im Orchester von Wolf=Ferrari lebendig getroffen.
znehr auf kompositorischem Gebiete die innere Be¬
üppig wuchernde Feld der mehr oder weniger ab¬
Eine sichtlich große, aber auch erfolgreiche Arbeit
friedigung und den künstlerischen Erfolg suchen und
sichtsvollen Theaterklatscherei.
zeigte die Regie in der Geste um Geste und Ton
ffinden wollen? Von Liszt und Rubinstein an bis
für Ton peinlichen Einstudierung der Pantomine,
Den gestrigen Novitäten=Abend leitete eine
zu d'Al eri Friedheim B###crewsty Busoni und
der eine elenso stilvolle Ausstattung (z. B. in
kurze dramatische Musiquette ein, die nach der
un auch Dohnänyi — immer das gleiche Bild.
zweiten Aufzug) gegeben wurde, wie dem ersten
Münchener Uraufführung (Anfang Dezember vor.
Auch der Komponist unserer Pantomime sucht zwar
Intermezzo. Alles in allem ein Abend, der in
Jahrgs) ebenfalls schon über viele Bühnen ge¬
noch eigene Wege. hat aber gerade den sein diffe¬
In= vielfacher Hinsicht recht interessant zeigte, welche
ztenzierten Charakter der Handlung Schnitzlers nach gangen ist: „Susannens Geheimnis“
termezzo in einem Akt nach dem Französischen von Wege unsere Bühnenkunst jetzt einschlägt. Auf der)
der leichteren Seite und des mehr Lyrisch-Gefühls¬
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