II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 191

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23. Der Schleier der Pierrette
###. Budapest, Cincago, Cleveland, Christiana
#agen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
erk, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
Operette zu liefern, eines Einatters, dessen Komponist erst nach
(Oaellenangabe ohne Gewähr.)
Fertigstellung des Buches bestimmt werden sollte. Leider blieb diese
Ausschnitt aus
Schnitzler=Operette ungeschrieben. Der Dichter suchte und suchte; er fand
17. SEP 1911
amdenblatt. n
etwas, begann den Stoff zu gestalten = aber er zerfloß ihm wieder
vom:
zwischen den Fingern. Kurzum, Schnitzler erklärte schließlich der Direktion
des Theaters an der Wien, aus seiner Altwiener Operette könne nichts
werden, denn er finde kein passendes Sujet.
So fiel der ganze Schnitzler=Girardi=Abend¬
welch' interessante wienerische Mischung — den die Direktoren des
Aus der Theaterwelt.
Theaters an der Wien schon so schön auf dem Popier zusammengestellt
(Zur bevorstehenden Erstaufführung von Schnitzler=Dohnanys
hatten, in den Brunnen. Dohnany umschwebte auf den Flügeln seines
Pantomime „Der Schleier der Pierrette“ im Hofopern¬
Klaviers ganz Europa und schob seine kompositorische Arbeit immer
theater. — Warum Alexander Girardi in dieser Pantomime nicht
wieder hinaus. Herr v. Zemlinsky hinwieder konnte sich mit dem Buch
aufgetreten ist. — Das schnelle Dresden und das langsame Wien. —
Reminiszenzen an Weingartner. — Eine kleine Einführung in die
„Der tapfere Kassian“ auch nicht befreunden. Und so fiel die Aufgabe,
Grusligkeiten des „Schleier der Pierrette“.)
diese satirische Operette zu komponieren, an Oskar Straus, der sie
auch mit der ihm eigenen Energie in kurzer Zeit durchführte. Das Werk
Wie merkwürdig doch die Schicksale der Pantomimenbücher sind!
ist bekanntlich von Weingariner für das Hofoperntheater erworben
Viel interessanter als die der gewöhnlichen Bücher, von denen schon der
worden. Freilich ist das auch schon wieder zwei Jahre her. Was nun damit
Spruch des alten Römers handelt. In einigen Tagen — am kommenden
geschehen wird? Nichts gewisses weiß man nicht ...
Mittwoch, dem ersten Auftreten Carusos bei seinem diesjährigen Gast¬
Von der Pantomime „Der Schleier der Pierrette“ war es aber in
spiel — wird im Hofoperntheater die Pantomime „Der
ler,
jenen Jahren so lange stikle geblieben, daß ihr eigener Vater, Artur
Schleier der Pierrette“, Buch von Artur Schni##
Schnitzler, schon ihrer vergessen hatte. Es hätte ja auch wenig Zweck
Musik von Ernst v. Dohnany, zum ersten Male in¬
gehabt, an sie zu denken. Girardi war längst aus dem Theater an der
Darau wird niemand etwas Verwunderliches finden. Ein Dichter vom
Wien geschieden, umschmeichelt von der Wiener Operette, die wieder ihr
Range Schnitzlers, der isich mit einem Künstler von der musikglischen
Haupt siegreich erhoben hatte — der Künstler dachte gewiß nicht mehr
Vornehmheit Dohnanys zu einem „dramatischen Werk ohne Worte“
an das verzerrte Antlitz Pierrots und an dessen geisterhafte Spazier¬
warum sollen sich ihm nicht
verbindet, wie es das vorliegende ist
gänge, die ihre Puderspuren zurücklassen. . .. Da fuhr eines Abends ein
sofort die Tore des Hofoperntheaters angelweit öffnen, um aufzu¬
„fremder Herr“ vor der Villa Schnitzler vor, der bat, dem „Herrn
nehmen, was dem Publikum schon vermöge der Namen der
etwas auf dem Klavier vorspielen zu dürsen“. Der Hausherr tritt ins
Schöpfer als eine nicht gewöhnliche Darbietung erscheinen würde?
Vorzimmer und erblickt Dohnany, der sich endlich doch zu der Arbeit
Und doch: Es hat Jahre gedauext, bis die Dichtung Ein¬
entschlossen und sie fertiggestellt hatte.
gang in die Operngasse gefunden hat. Zunächst hatte die
Der Komponist spielte seinem Librettisten die Hauptszehen vor —
gute Sache deshalb so viel Weile gebraucht, weil sie gar nicht für das
und dieser war entzückt und dankte vielmals. Und die beiden Autoren
Hofinstitut bestimmt war, sondern für ein böses Konkurrenztheater. Die
brschlossen, das Werk möglichst bald an einer Opernbühne unterzu¬
erste männliche Hauptpartie der Novität, der Pierrot, der so tragisch ist,
bringen. Schnitzler hatte, wie schon erwähnt, Dohnanyi persönlich nicht
wie es in der commedia dell' arte vielleicht noch, gar nicht dagewesen
gekannt, ehe er mit ihm durch die erwähnte Pantomime in Beziehung
(obgleich sich der Mann gerade in den letzten Jabren oft das Leben ge¬
getreten war. Aber der Dichter hatte ihn als Musiker schätzen gelernt.
nommen hat), der Pierrot, den in der Hofopernpremiere am 20. d. M.
Nicht nur als Pianisten, sondern auch als Symphoniker. Und Artur
Herr Czadill spielen wird, er war ursprünglich dazu bestimmt,
Schnitzler kann auf sein Urteil in solchen Dingen einigermaßen ver¬
Alexander Girardi vor eine neue große schauspielerische Aufgabe zu
trauen. Denn er ist Musiker durch und durch und verdankt diesem seinem
stellen, wie er selbst sie sich gewünscht bat! Girardi freute sich darauf
Können die größten Freuden des Genießens.
wie ein Anfänger, der die erste lobende Kritik schwarz auf weiß gedruckt
Durch das Urteil Schnitzlers ermutigt, glaubte nun Dohnany, das
vor sich sieht. Er wollte jenen unglücklichen, verlassenen Pierrot spielen,
Weik leicht am Hosoperntheater placieren zu können. Verband ihn doch
daß allen Leuten die Tränen aus den Augen rollen, daß es ihnen —
langjährige Freundschaft mit dem alten pianistischen Kollegen Felix von
wenn der Tote fast durch zwei Akte als strafendes Gespenst die Bahnen
Weingartner. Allein — so liebenswärdig der verflossene Direktor unserer
der flatterhaften, leichtsinnigen Pierrette kreuzt, kalt über den Rücken
Hofoper im amtlichen und außeramtlichen Verkehr mit Sängern und
läuft
Sängerinnen, und mit den vielen wirklichen und vermeintlichen Inter¬
Doch es ist nichts draus geworden aus dem schönen Plane. Wie
essenten war, die auf solch einen armen Operndirektor einstürmen, so
denn überhaupt der Großteil alles Schönen, Großen, Sensationellen,
charmant er Ja zu sagen wußte: Bei der Annahme von Werken kam das
das in den Tbeaterkanzleien in Stunden einer besseren, zum Höheren
vielsagende Wörtchen nur schwer von seinen Lippen! Es dauerte näm¬
strebenden Eingebung geplant wird, auf dem Papier eintrocknet und in
lich immer so lange, ehe sich der Direktor zum Klavier setzte, um die
der Schreibtischlade vermodert. An welcher Stätte Girardi den beklagens¬
neuen Sachen, die ihm da zuströmten, durchzuspielen oder wenigstens
werten Pierrot hätte spielen sollen? Im Theater an der Wien.
abzulesen. Man wird meinen, die Komponisten hätten es dem Direktor
Denn der Direktor dieser Bühne, Wilhelm Karczag, ist sozusagen der
leichter machen können, indem sie ihm ihre eingereichten Opern oder
Urheber, der Anreger der nächsten Hofopernpremière gewesen.
Ballette selbst vorspielen. Aber dazu gebören doch zwei, drei Stunden
Es sind schon Jahre her. Damals fuhren Karczag und sein
vielleicht ein halber Tag. Und diese Zeit muß man doch bewilligt
Kollege Wallner vor der Villa Schnitzlers im Döblinger Kottageviertel
erhalten. Und dann hatte Direktor Weinzariner für Komponisten —
vor, umsihm eine neue Idee vorzutragen.„ Die Direktion des Theaters an
selbst für solche, die so ausgezeichnet spielen wie der Konzertlöwe Ernst
der Wien wollte damals — es war in der Zeit vor Lehar, Fall und
v. Dohnany — eine stereotype Antwort, die nur darum nie beleidigte,
Straus — etwas tun, was dringend nötig war, um das Interesse des
weil sie der Direktor so schelmenhaft, so unschuldig schmunzelnd von
Publikums an der Operette wieder zu heben. Zunächst sollte das Genre
den Lippen zu bringen wußte. Herr v. Weingartner pflegte nämlich
der Operette selbst wieder auf eine Höhe gebracht werden, die an ver¬
„vorspielen=wollenden Komponisten“ oder deren fürsprechenden Freunden
gangene große Zeiten anknüpft. Und da stieg die Idee auf, einen
die Antwort zu geben: „Einige Leute, zu denen ich Vertrauen habe,
Dichter wie Schnitzler der leichten Muse zu gewinnen — natürlich nur
sagen mir, ich könne leidlich Klavior spielen. Wenigstens hab' ich es
vorübergehend, denn auf ein „dauerndes Verhältnis“ hätte sich der ernste
gelernt. Also — glauben Sie mir — ich brauch' keinen Vorspieler!“
Mann gewiß nicht eingelassen. Direktor Karczag wollte zunächt für
So hätte sich die Sache vielleicht noch Jahre hingezogen, hätte sich
Girardi einige neue, seine schauspielerische Kraft und Vielseitigkeit
der Komponist der Pantomime nach einer ergebnislosen Wiener Kon¬
förmlich aufpeitschende Aufgaben gewinnen; denn er war und
ferenz, die er mit hiesigen Freunden gehalten, nicht entschlossen, nach
der Ansicht,
ist — gleich vielen Kennern dieses Künstlers
Dresden zu Herrn v. Sthuch zu fahren. Er kam hin, spielte dem
daß Girardi immer noch mehr kann, als man von ihm
Generalmusildirektor vor, und schon am nächsten Tage konnte Dohnanyi
weiß und gesehen hat. Das alles trug der Direktor dem Dichter vor
seinen Wiener Freunden telegraphieren: „Schleier der Pierrette von der
und Artur Schnitzler antwortete, er werde sich die Sache ernstlich
Dresdner königlichen Oper angenommen!“ Das war eine prompte
überlegen. Und er kramte unter seinen alten Entwürfen und fand bald,
Erledigung! Nachdem das Werk von einer so geschätzten Bühne ange¬
was er gesucht. Drei einaktige Werle Artur Schnitzlers sollten den
nommen war, öffneten sich ihm bald auch (die anderen großen Hof¬
Rahmen eines Abends bilden, der wohl nicht ohne Einfluß auf die
theater, und Wien ließ nicht mehr lange auf sich warten. Das heißt:
Gestaltung des Kunstlebens an den Wiener Vorstadtbühnen geblieben