II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 195

23. Der Schleien der Pierrette

Ausschnitt aus:
95
Seruseig
REIEILAPCeT, WIEN
vom
Theater, Kunst, Musik.
Hofoper. Dem mit Spannung erwarteten
ersten Caruso=Gastspiel ging eine Balletnovität;
(„Der Schleier der Pierette“, Pantomime von
Artur Schnitzler, Musik von Ernst v. Dohnanyi,
Porans
geistreiche Komponist Dohnanyi, der
Schöpfer so mancher interessanter Kammermusikwerke und
Solistenkonzerte und zugleich berühmter Pianist, seine
musikalische Kraft gerade auf einen solchen tragischen Stoff
verschwendet hat, ist uns nicht recht begreiflich. Pierette.
die Tochter eines vornehmen Bürgerhauses aus Altwien,
zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, soll den ebenfalls
vornehmen Bürgerssohn Arlechino heiraten, liebt aber im
geheimen den armen Maler Pierrot; vor ihrer Hochzeit
besucht sie diesen in seinem einfach eingerichteten Zimmer
und beredet ihn, wegen der Aussichtslösigkeit ihrer Verbin¬
dung, mit ihm gemeinsam zu sterben. Sie reicht ihm das
Gift im Glase, das er widerstrebend nimmt und darauf
tot zusammensinkt, sie selbst kann sich nicht zum Selbst¬
worde entschließen und als sie angesichts des sterbenden
Geliebten das Gift doch nehmen will, hat Pierrot vorher
ihr Glas zerschlagen. Sie erscheint nun doch im zweiten
Bilde bei dem Hochzeitsfest im Ballsaale, erregt durch ihr
verspätetes Eintreffen den Verdacht des Bräutigams, wird
durch das Auftreten des toten Pierrot als Gespenst furcht¬
bar erschreckt; dieser hält den in seinem Zimmer zurück¬
gelassenen Schleier der Braut in der Hand, wie durch eine
unsichtbare Macht gezwungen, folgt Pierette und der wut¬
schnaubende Arlechino dem Scheinbilde und gelangen un¬
bewußt in das Zimmer des ersten Bildes, wo
wieder der Tote hingestreckt liegt.
Dort liegt
der Schleier, der Verräter an Pierettes Treubruch.
Der Bräutigam schließt sie im Zimmer ein; diese poltert
an allen Turen, gebärdet sich wie eine Tolle,
hat sie
der Wahnsinn überfallen und im Wahnsinn fällt sie vor
den Augen des wieder erschienenen Bräutigams und etlicher
Freunde und Freundinnen des toten Malers regungslos
zusammen. — Also eine Reihe von ungemein svannenden
und tragisch austlingenden Szenen, die nur einigermaßen
durch die anheimelnden Dekorationen im wienerischen
Bürgerstile, durch die schönen Kostüme der Darsteller und
die heiteren Züge des Ballfestes gemildert werden. Zu
diesem abschreckenden Vorwurf
hat Dohnanyi
eine alle Momente des Stückes
trefflich charakterisierende
Musik geschrieben, fesselnd in ihren Einzelheiten,
hochtragisch in den Todesmotiven, manchmal an die Nibe¬
lungenmotive Richard Wagners erinuernd, aber auch lieblich
und prickelnd in den Tanzrhythmen, eine Musik, die zu¬
gleich mit Kunst und Geschick orchestriert ist und durchwegs
den seinsinnigen, von Natur aus hochbegabten Musiker
verrät. Selbstverständlich ist es, daß diese Pantomime von
den hervorragenden Mimikern unseres Balletts, den Damen
Jamrich, Schimanek und den Herren Czadill,
Fränzl, Godlewski und v. Hamme (als Tanz¬
arrangeur Gigolo) in charatterinischer, fesseinder, die an¬
mutigen Züge des Ballets jedoch nie verläugnender Weise
dargestellt wurde.
Die Novität wurde mit anhaltendem freundlichen Beifall
aufgenommen und die Mitwirkenden erschienen mehrmals
vor der Rampe, leider ohne den Komponisten Dohnanyi,
der lebhaft gerufen wurde: Hofopernkapellmeister Schalk
dirigierte mit größter Präzision das Orchester. — Nun kam
erst
Caruso an die Reihe. Schon gleich in seiner An¬
trittsarie entwickelte er in der Schlußkantilene eine be¬
zaubernde Schönheit seiner blühenden Stimme; die große
Schlußarie jedoch, die bei uns von allen bedeutenden
Sängern schon durch die ihr selbst innewohnende
dramatische Kraft eine mächtige Wirkung auslöst,
erhielt durch den großen Künstler eine Steigerung,
eine dramatische Kraft des Ausdrucks, Leidenschaft, Wut
und Schmerz in einem großen Zuge, die hinreißend wirkte,
ebenso hinreißend sein Spiel in den einzelnen Szenen. Er
erschien nach dem ersten Akte etwa zehnmal, und am
Schlusse unzähligemale, aber im Vereine mit den übrigen
Künstlern, Frau Kiurina und den Herren Schwarz,
der den Prolog sehr schön sang, Preuß und Ritt=
mann, welche sich des großen Künstlers würdig zeigten,
Dirigent dieser Oper war Walter.
v. B.—
box 23

Prazesses die Lösung vorbereiten; jeder Ueberschwang ses, daß der Landtag unter
könnte ebenso schaden, wie auch unbeugsamer Pessimis= Rede stand, die die Liebe
mus als Meltau wirken müßte.
der Treue und Anhänglichk
Hätte der Befähigungsnachweis auch für Politiker schöne Harmonie brachte.
Kraft und Geltung, so müßte er, wenn er in diesem
Am gestrigen Tage wa
Falle und bei dieser Persönlichkeit erst nötig wäre, dem
schwierig, den Landtag zu
Fürsten Thun als Ausgleichsstatthalter nach seiner
tuung, daß es gelungen war
segung des Nomans „Vergeholz Söhne“ von
Schleier=de# Pierrette“, so
Dora Duncker Se#e=44 hom 21, Sepkember 1911.1
zu leiden gehabdehätte,
Stimme Carusos der We
wäre, der alle Gespenster b
Feuilleton.
keiten erschlichener Tragik

„Um Liebe stirbst du!
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Hofoperntheater.
demona. Auch Schnitzlers
„Der Schleier der Pierrette“, Pantomime von Artur ch
ber nicht so einfach und
Musik von Ernst v. Dohnanyt. — Enrito Caruso all Bästhzo.
des Brabantio. Die Pan
Als gestern im Orchester der Hofoper die Bässe
haben eine anrüchige Vergan
mit einem Leitmotiv aus Wagners „Walküre“ ein¬
Vorgeschichte. Pierrette h
setzten, glaubten viele, die darin „das Wälsungen¬
ihr Schleier, den sie dem
geschlecht und sein Liebesleid“ erkennen wollten,
Unterpfand zurückläßt, weh
Caruso werde anstatt des Bajazzo den Siegmund
gedankenvollen Versen geschr
singen. Sie irrten sich. Jenes Motiv kündigte die
spiel des Dichters, das
männliche Hauptperson der neuen Pantomime an,
Bentivoglio im Bologna des
welche dem Auftreten des brühmten Gastes voran¬
spielt. „Der Schleier der ##
ging: ein Urenkel Wotans und ein Hanswurst dazu,
wenn auch kein gutes St
wenn auch kein singender, sondern ein springender.
Pierrette“ ein gutes, aber
Auf die Gefahr hin, es mit unsern Lesern zu Dort tändelt die Geliebte de
verderben, die gewiß, ebenso ungeduldig wie das
mit Träumen von Glanz un
Mittwochpublikum der Hofoper, auf Caruso brennen,
mord zur schwarzen Folie h
müssen wir dem dort gegebenen bösen Beispiele folgen
mählte Arlechinos, eines ei
und der getanzten Tragödie den Vortritt lassen. Artur
sohnes von Anno dazumal,
Schnitzler und Ernst v. Dohnanyi waren
ihren verlassenen Geliebten,
schlecht placiert mit ihrem „Schleier der Pierrette“.
zu sterben. In beiden Fällen
Die antizipierte Häufung schauriger Harlekinaden,
Liebhaber allein um, währen
welche die heiteren Masken der Commedia del¬
Todes den Mut verliert un
l’arte als kontrastierendes Effektmittel für höhere
trinkt — die psychologische
poetische Gegenstände benützen, ist als ein Mißgriff für das umgekehrte Verhal
des Programms zu betrachten, unter dem die Panto=drüben erweist der bei der
mime wie das Musikdramg, also nicht nur „Der durch den Ehebruch vor