II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 201

23. Der Schleiender Pierrette
I De.
Genf, Kopenhagen, Lunhn.
heapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt an
21 Seufsches Vollsblatt Wier
vom:
Theater, Kunst und Literatur.
Hofoper, Mt die Premiere der Pantomime „Der
[Schleierdex Pierkerte“,über die wir in unserem
heutigen Feuilleton ausführlich berichten, schloß sich gestern
die Sensation des „Abendsan, daslersta Gastspiel Carusos
als Canio Cin „Der Bagazzo“: Der berühmte
Reklameheld bewies, daß seine schon öfter verloren gesagte
Stimme sich tadellos erhalten hakund daß keine „amerikanischen
Staubkörner“ seiner Kehle gefährlich geworden sind. Sein
Canio hat uns unter den Partien, die er bisher hier ge¬
sungen hat, am besten gefallen und er zeigte sich in dieser
Rolle auch als gewandter Darsteller. Das „Ride pagliaco“
schmetterte er mit wohl berechneter Effektsteigerung
in das Haus und erzielte damit brausenden Beifall.
Die minutenlang andauernden Bis =Rufe quittierie
er nur mit oftmaligem Verneigen, entschoß sich
aber nicht zu einer Wiederholung. Im zweiten Akte legte er
in dem Duelle mit Nedda tüchtig los und stellte sich mit
stimmlichen Höhen ein, die sehr anerkennenswert waren,
mit dem Gipfel seiner übertriebenen Honorarforderungen
jedoch nicht in Einklang gebracht werden konnten. Zum
Schlusse selbstverständlich unzählige Hervorrufe und
Ueberreichung von drei Lorbeerkränzen mit Schleifen
in
den Farben Oesterreichs, Ungarns (?) und
Amerikas. Wozu wieder dieser amerikanische Aufputz? —
Neben Caruso behauptete sich Frau Kiurina als reizende
Nedda in vorzüglicher Weise. Ihre jugendliche Erscheinung,
ihr blühendes Organ und ihr diskretes Spiel lassen sie
für diese Partie wie geschaffen erscheinen. Den Toniv sang
Herr Schwarz gut, doch den Schatten Demuths konnte er
nicht aus dem Hause verbannen. Die Herren Preuß und
Rittmann wirkten in den Partien des Harlequin und
des Silvio verdienstlich. Die Oper dirigierte Herr Walter.
Das Haus war bis auf eine Loge ausverkauft und zeigte
den Persönlichkeitenkreis und die Toilettenpracht der
Sensationsvorstellungen. — In den Hoflogen waren Erz¬
herzog Franz Ferdinand mit Gemahlin Herzogin
Hohenberg, Erzherzog Lcopold Salvator mit
Gemahlin und drei Töchtern, Prinz Elias von Parma
und Gattin anwesend. Die Vorstellung fand zugunsten des
Pensionsinstitutes der Hofoper statt.
Sch—r.
00 (.
box 28/1
Gus
ZISPS11
vom:
Arheiter Zeitung, Wien
Hofoper. „Der Schleier der Pierette“, Pantomime von
Arthur Scchnitzler, Musik von Ernst v. Dohnanyi.
Von sernher Rlchtet die Erinnerung auf an des Dichters
Dichtung „Der Schleier der Beatrice“. Das war ein.
Renaissancedrama, voll Glut, voll psychologischer Feinheiten —
hier ist ein ähnliches Motiv zu einer Pantomime verdünnt, im
Altwiener Kostüm, doch nach der neufranzösischen Mode des
tragischen Pierrot abgeändert. Auch hier sind die Szenen geschickt
genug geführt, um dem Zuschauer selbst ohne Worte verständlich
zu bleiben; die der tieferen Begründung beraubte, nun in kahler
Grausamkeit erstarrte Handlung soll Musik umblühen. Dohnanyi
ist ein vortrefflicher Musiker, was er schreibt, hat Hand und Fuß.
Indes, bei allem Fluß, bei aller Kunst ist die Musik der Panto¬
mime ohne rechte Tiefe, die der Bühnenhandlung gäbe, was ihr
geraubt worden ist. Unverkennbar scheint uns die dramatische
Begabung des Komponisten, sein Sinn für die Momente
und die Wendepunkte der Handlung. Die einzelnen Personen
sind musikalisch recht gut charakterisiert, ohne daß ihre Zeichnung
geradezu typisch würde; nicht ohne Grund schleichen gelegentlich
Wagner=Erinnerungen ein. Sehr hübsch ist der kleine erste
Walzer, dem wir vor dem großen Ballwalzer den Vorzug
geben, weil er der vornehmen Natur des Komponisten entspricht,
nicht auf erobernde Banalität ausgeht, um dann im letzten
Augenblick doch davor zurückzuschrecken. Durchaus vornehm ist
auch das Menuett gehalten. Die stärkste künstlerische Absicht hat
der Komponist in den „Wahnsinnswalzer“ des Schlusses zu¬
sammengeballt, ein Stück von unleugbarer Wirkung, zumal da
das hochbegabte Fräulein Jamrich (Pierette) ihrer Aufgabe
vollkommen gerecht wird. Auch Herrn Godlewski
(Arlechino) gebührt besonderes Lob. Die Inszenierung ist
mäßig; für die Geistererscheinung gibt es bessere bühnentechnische
Mittel, als in der Hofoper angewendet werden. Das Orchester
unter Herrn Schalk wurde der Partitur vollkommen gerecht.
Die Pantomime wurde recht unfreundlich ausgenommen; man
ließ gerade so viel Beifall durch, als nötig war, um die Mit¬
wirkenden, besonders Fräulein Jamrich, auszuzeichnen. Es war
auch kein sonderlich glücklicher Einfall, mit der Pantomime die
Erwartung eines Publikums zu spannen, das nichts wollte,
als Caruso hören. Hören — wenn sie nur Ohren
hätten, wenn sie wirklich empfindlich wären für die
große Künstlerschaft, die da vor ihnen sich verschwendete.
Es ist ja wahr, nach dem berühmten „Lache, Bajazzo“
rasten sie und wollten die Geschichte zweimal haben, als
wäre der Künstler eine Grammophonplatte, die man beliebig
ablaufen lassen kann. Caruso singt den Bajazzo nicht bloß, er
stellt ihn dar, durchlebt ihn; jeder Ton, jede Geste ist dem
Zwecke der vollendeten Gestaltung dienstbar gemacht. Er sang
nicht einmal korte, obwohl oder gerade weil das auch minder¬
bemittelte Tenöre sich leisten können, und das Publikum, das
für sein Geld auch ein bestimmtes Quantum Geschmetter
das wird nämlich für italienische Art gehalten —
verlangt, war richtig ein wenig verdutzt: empfängliche
Gemüter begeisterte dieser Bajazzo. Der hilflose Tanz in der
Komödie, dieses vergebliche Bemühen, wieder Komödiant zu sein,
wo alle Menschenqual in ihm lebendig wird, die Schlußworte:
„Die Komödie ist aus“, all dies, so gesungen und so gespielt,
daß es eine unauflösliche künstlerische Einheit ward — wen das
nicht ergriff, für den hat Caruso diesmal nicht gesungen. Der
mächtige Eindruck ließ zum Schluß vor dem Beifall eine
Ergriffenheitspause entstehen, dann erst konnte man seinen Dank
bezeigen.
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