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schen Helden über die Bühne führt, sondern aus
wahrer Volkstümlichkeit hervorholt, mit seinen ersten
Tönen, in denen nicht nur was wir gemeinhin Musik
nennen, sondern eine ganze Persönlichkeit zum Vollen
kommt, wurde sofort ein Strom von Gefühlen ins
Publikum geleitet. Allein ein Darsteller, der, wie Ca¬
ruso, über den reichsten künstlerischen Besitz gebietet,
kann diese freie, kaum mit einem Augenzwinkern an¬
gedeutete Heiterkeit auf dem Karren des Bajazzo so
unbefangen und natürlich, kann diesen Zorn und
Jammer in solcher Wahrheit äußern, die kleinlicher
Hilfen nicht bedarf. Allein ein Sänger, der die Voll¬
endung ist, kann mit solcher Selbstverständlichkeit,
welche die technische Arbeit kaum ahnen läßt, die künst¬
lerische Überlegenheit seines Stammes, seiner Schule,
seiner Individualität offenbaren. Man müßte ein
deutscher Tenor sein, um die Kunst Carusos mit dem
rings um Caruso üblichen Hervorstoßen und Aus¬
pressen von Tönen auch nur in Vergleich zu stellen.
Wo jeder Ton, jede Tonreihe für sich ein ganzes
Kunstgebiet repräsentiert, kann schließlich die Härerschaft.
auch bloß durch ein paar Szenen zur Bewunderun
seltener Phänomene der Stimme und der Technik hir
gerissen werden. So ist es gestern auch geschehen....
Artur Schnitzlers „Schleier der Pierrette“ ist m
seinem Renaissance=Schauspiel „Der Schleier de
Beatrice“ verwandt. Für das liebe Alt=Wien, durch da
die Pantomime den verhängnisvollen Schleier wehe
läßt, ist die Handlung wohl zu grausig. Pierrette be
sucht, nach Sitte Anatols, kurz vor dem Hochzeitsfes
das sie mit Arlechino vereinigen soll, noch einmal de
geliebten Pierrot, den sie zu Gunsten der gut bürge
lichen Ehe verlassen hatte. Pierrette ist im Brautkleid,
mit Myrte und Schleier. Ein Doppelselbstmord, wie
ihn die Lokalchronik öfters zu erzählen hat, wird in¬
szeniert. Bei dem Abschiedssouper trinkt Pierrot ein
Gift, das Pierrette mitgebracht hat. Pierrette findet den
Mut nicht, das Gleiche zu tun. Er sinkt tot um — sie
flieht zurück in das Leben, zum Hochzeitsfest, läßt
aber den Schleier bei der Leiche zurück. Die Hochzeits¬
gäste und der Bräutigam Arlechino haben Pierrette
im Saale vermißt. Endlich erscheint sie, verstört, von
Wahnbildern geängstigt. Der Geist des toten Pierrot
verfolgt sie und lockt sie mit dem Schleier hinweg.
Arlechino stürzt ihr nach. Beide eilen in Pierrots
Zimmer. Da liegt der Schleier, weiß schimmernd, im
dunklen Zimmer. Der eifersüchtige Arlechino stößt auf
Pierrot, den er für betrunken hält. Wie er aber ge¬
wahr wird, daß ein Toter auf dem Boden liegt, kommt
er auf einen tückischen Einfall. Er legt den toten Pierrot
in einen Sessel, zwingt mit teuflischem Lächeln Pierrette
herbei; sie muß mit ihm und mit dem Toten sich zu
Tische setzen. Arlechino trinkt ihr und der Leiche zu.
Dann verläßt er die Armste mit der mimischen Ver¬
sicherung: „Du bist ja in guter Gesellschaft!" Pierrette
will Arlechino nacheilen — er hat aber die Tür ver¬
sperrt. Pierrette wird vom Wahn Ba# führt einen
Irrsinnstanz auf und sinkt tot um. . .. Trotzdem Frl.
Jamrich als Pierrette, die Herren Czadill und
Godlewski für die Dichtung ihre Kräfte eifer¬
voll einsetzten, schien das Publikum von der schaurigen
Angelegenheit nicht berührt. Die Inszenierung war
dem Werk auch keine Hilfe. Die Geistererscheinungen,
welche die lebensvolle Hochzeitsfeier beschleichen sollten,
waren in der primitivsten Weise hergestellt. Auf dem
Höhepunkt der pantomimischen Tragödie wurde so die
Absicht des Dichters vereitelt. Auch die Musik
Dohnänyis wirkt der Darstellung entgegen. Sie
demonstrie# thematische Verwicklungen, ein Wirrnis von
Leitmotiven, sucht in das Musikdrama zu wachsen und,
hält die Vorgänge durch allerlei Tonoperationen unge¬
bührlich auf. Dohnanyi ist ein belesener, gebildeter
Musiker, dem es nur leider an quellender Erfindung
mangelt. Seine Musik ist unpersönlich oder eigentlich
Musik vieler Personen, unter denen er Richard Wagner
am hartnäckigsten an sich gezogen hat.
B
schen Helden über die Bühne führt, sondern aus
wahrer Volkstümlichkeit hervorholt, mit seinen ersten
Tönen, in denen nicht nur was wir gemeinhin Musik
nennen, sondern eine ganze Persönlichkeit zum Vollen
kommt, wurde sofort ein Strom von Gefühlen ins
Publikum geleitet. Allein ein Darsteller, der, wie Ca¬
ruso, über den reichsten künstlerischen Besitz gebietet,
kann diese freie, kaum mit einem Augenzwinkern an¬
gedeutete Heiterkeit auf dem Karren des Bajazzo so
unbefangen und natürlich, kann diesen Zorn und
Jammer in solcher Wahrheit äußern, die kleinlicher
Hilfen nicht bedarf. Allein ein Sänger, der die Voll¬
endung ist, kann mit solcher Selbstverständlichkeit,
welche die technische Arbeit kaum ahnen läßt, die künst¬
lerische Überlegenheit seines Stammes, seiner Schule,
seiner Individualität offenbaren. Man müßte ein
deutscher Tenor sein, um die Kunst Carusos mit dem
rings um Caruso üblichen Hervorstoßen und Aus¬
pressen von Tönen auch nur in Vergleich zu stellen.
Wo jeder Ton, jede Tonreihe für sich ein ganzes
Kunstgebiet repräsentiert, kann schließlich die Härerschaft.
auch bloß durch ein paar Szenen zur Bewunderun
seltener Phänomene der Stimme und der Technik hir
gerissen werden. So ist es gestern auch geschehen....
Artur Schnitzlers „Schleier der Pierrette“ ist m
seinem Renaissance=Schauspiel „Der Schleier de
Beatrice“ verwandt. Für das liebe Alt=Wien, durch da
die Pantomime den verhängnisvollen Schleier wehe
läßt, ist die Handlung wohl zu grausig. Pierrette be
sucht, nach Sitte Anatols, kurz vor dem Hochzeitsfes
das sie mit Arlechino vereinigen soll, noch einmal de
geliebten Pierrot, den sie zu Gunsten der gut bürge
lichen Ehe verlassen hatte. Pierrette ist im Brautkleid,
mit Myrte und Schleier. Ein Doppelselbstmord, wie
ihn die Lokalchronik öfters zu erzählen hat, wird in¬
szeniert. Bei dem Abschiedssouper trinkt Pierrot ein
Gift, das Pierrette mitgebracht hat. Pierrette findet den
Mut nicht, das Gleiche zu tun. Er sinkt tot um — sie
flieht zurück in das Leben, zum Hochzeitsfest, läßt
aber den Schleier bei der Leiche zurück. Die Hochzeits¬
gäste und der Bräutigam Arlechino haben Pierrette
im Saale vermißt. Endlich erscheint sie, verstört, von
Wahnbildern geängstigt. Der Geist des toten Pierrot
verfolgt sie und lockt sie mit dem Schleier hinweg.
Arlechino stürzt ihr nach. Beide eilen in Pierrots
Zimmer. Da liegt der Schleier, weiß schimmernd, im
dunklen Zimmer. Der eifersüchtige Arlechino stößt auf
Pierrot, den er für betrunken hält. Wie er aber ge¬
wahr wird, daß ein Toter auf dem Boden liegt, kommt
er auf einen tückischen Einfall. Er legt den toten Pierrot
in einen Sessel, zwingt mit teuflischem Lächeln Pierrette
herbei; sie muß mit ihm und mit dem Toten sich zu
Tische setzen. Arlechino trinkt ihr und der Leiche zu.
Dann verläßt er die Armste mit der mimischen Ver¬
sicherung: „Du bist ja in guter Gesellschaft!" Pierrette
will Arlechino nacheilen — er hat aber die Tür ver¬
sperrt. Pierrette wird vom Wahn Ba# führt einen
Irrsinnstanz auf und sinkt tot um. . .. Trotzdem Frl.
Jamrich als Pierrette, die Herren Czadill und
Godlewski für die Dichtung ihre Kräfte eifer¬
voll einsetzten, schien das Publikum von der schaurigen
Angelegenheit nicht berührt. Die Inszenierung war
dem Werk auch keine Hilfe. Die Geistererscheinungen,
welche die lebensvolle Hochzeitsfeier beschleichen sollten,
waren in der primitivsten Weise hergestellt. Auf dem
Höhepunkt der pantomimischen Tragödie wurde so die
Absicht des Dichters vereitelt. Auch die Musik
Dohnänyis wirkt der Darstellung entgegen. Sie
demonstrie# thematische Verwicklungen, ein Wirrnis von
Leitmotiven, sucht in das Musikdrama zu wachsen und,
hält die Vorgänge durch allerlei Tonoperationen unge¬
bührlich auf. Dohnanyi ist ein belesener, gebildeter
Musiker, dem es nur leider an quellender Erfindung
mangelt. Seine Musik ist unpersönlich oder eigentlich
Musik vieler Personen, unter denen er Richard Wagner
am hartnäckigsten an sich gezogen hat.
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