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23. Der Schleiender-Pierrette
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zur Hölle zu fahren. Statt dessen bewundert man nur die
Regungslosigkeit des Darstellers, dessen Aufgabe weder leicht noch
angenehm ist. Diese nüchterne Erwägung verscheucht das Gruseln
und aus dem schauerlichen Erlebnis wird der wenig erfreuliche
Eindruck eines sehr flüchtigen, gleichsam improvisierten Theater¬
stückes, das allerdings dringend der Musik bedarf, um ein künst¬
lerisches Aussehen zu gewinnen.
Die Musik vermag viel: sie kann den nichtigsten Vorgängen
inneren Gehalt geben; sie kann das Peinliche und Ungesunde
des Stoffes mildern und verklären; sie könnte auch die Toten¬
starre Pierrots mit unheimlichem Leben erfüllen; sie könnte und
müßte aus den schreckhaften Vorgängen und dem gemütlich¬
heiteren Milieu mit den Typen der „Commedia dell'arte“ und
Alt=Wiener Tänzen einen unfehlbar wirksamen Kontrast schaffen.
Und es bedürfte dazu keines großen Musikers: nur eben das
Milieu müßte getroffen sein, wofür beispielsweise Oskar Straus
der rechte Mann wäre, und die Handlung müßte sich im musi¬
kalischen Rythmus widerspiegeln, wie es die Gattung der
Pantomime erheischt und wie es André Wormser — auch kein
Großer — in seinem „Verlorenen Sohn“ mustergiltig gezeigt hat.
Ernst v. Dohnänyi enttäuscht nach beiden Richtungen in einem
Maße, das förmlich Verblüffung hervorruft und bei dem die un¬
glaubliche Erfindungsarmut seiner Partitur kaum mehr ins Ge¬
wicht fällt. Mit dankbaren Kammermusikwerken und einer wohl¬
geratenen, so manchen selbständigen Zug aufweisenden Symphonie
hat sich der begabte junge Klavierspieler vor mehreren Jahren
auch als schaffender Künstler bei uns ganz verheißungsvoll ein¬
geführt. Dann kamen Klavierstücke, denen auch sein eigener Vor¬
trag keinen Reiz entlockte. Die Pantomime beweist, daß es ihm
tatsächlich an wahrer Schöpferkraft, an wirklichem Talent durchaus
gebricht, daß sein Eklektizismus, sein von keiner Originalität be¬
lebtes bloßes Nachahmungstalent mit der zunehmenden Reife seiner
Jahre und der auffallenden Verschlechterung seines Klavierspieles
gleichfalls in befremdender Weise zugenommen hat; ja, daß ihm
der abwägende Kunstverstand und jene äußere Geschicklichkeit
fehlen, die gerade der Eklektiker braucht. Schnitzler schreibt aus¬
drücklich Alt=Wien als Ort und Zeit der Handlung vor. Aber
nicht ein Takt der Partitur hat etwas Alt=Wienerisches, Bieder¬
meierisches, Großväterliches an sich und nicht ein Takt atmet die
zierliche Anmut, die verbuhlte Eleganz des Rokoko, mit dem die
Gestalten des Pierrot und des Arlechino in unserem Geiste ver¬
knüpft sind. Eine aufgedonnerte Tragik, die mit wortwörtlichen
Zitaten aus „Lohengrin“, „Walküre“, „Tristan“, „Meistersinger“.
arbeitet, entstellt die Zeichnung des Schnitzlerischen Entwurfes durch
ihre schreienden Farben; die Walzer sind zum Teil derb und
lärmend, das Menuett steif und ausdruckslos, die meisten Rythmen
eintönig, die Themen, die nicht Wagner=Zitate sind, ohne jede
Physiognomie.
23. Der Schleiender-Pierrette
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zur Hölle zu fahren. Statt dessen bewundert man nur die
Regungslosigkeit des Darstellers, dessen Aufgabe weder leicht noch
angenehm ist. Diese nüchterne Erwägung verscheucht das Gruseln
und aus dem schauerlichen Erlebnis wird der wenig erfreuliche
Eindruck eines sehr flüchtigen, gleichsam improvisierten Theater¬
stückes, das allerdings dringend der Musik bedarf, um ein künst¬
lerisches Aussehen zu gewinnen.
Die Musik vermag viel: sie kann den nichtigsten Vorgängen
inneren Gehalt geben; sie kann das Peinliche und Ungesunde
des Stoffes mildern und verklären; sie könnte auch die Toten¬
starre Pierrots mit unheimlichem Leben erfüllen; sie könnte und
müßte aus den schreckhaften Vorgängen und dem gemütlich¬
heiteren Milieu mit den Typen der „Commedia dell'arte“ und
Alt=Wiener Tänzen einen unfehlbar wirksamen Kontrast schaffen.
Und es bedürfte dazu keines großen Musikers: nur eben das
Milieu müßte getroffen sein, wofür beispielsweise Oskar Straus
der rechte Mann wäre, und die Handlung müßte sich im musi¬
kalischen Rythmus widerspiegeln, wie es die Gattung der
Pantomime erheischt und wie es André Wormser — auch kein
Großer — in seinem „Verlorenen Sohn“ mustergiltig gezeigt hat.
Ernst v. Dohnänyi enttäuscht nach beiden Richtungen in einem
Maße, das förmlich Verblüffung hervorruft und bei dem die un¬
glaubliche Erfindungsarmut seiner Partitur kaum mehr ins Ge¬
wicht fällt. Mit dankbaren Kammermusikwerken und einer wohl¬
geratenen, so manchen selbständigen Zug aufweisenden Symphonie
hat sich der begabte junge Klavierspieler vor mehreren Jahren
auch als schaffender Künstler bei uns ganz verheißungsvoll ein¬
geführt. Dann kamen Klavierstücke, denen auch sein eigener Vor¬
trag keinen Reiz entlockte. Die Pantomime beweist, daß es ihm
tatsächlich an wahrer Schöpferkraft, an wirklichem Talent durchaus
gebricht, daß sein Eklektizismus, sein von keiner Originalität be¬
lebtes bloßes Nachahmungstalent mit der zunehmenden Reife seiner
Jahre und der auffallenden Verschlechterung seines Klavierspieles
gleichfalls in befremdender Weise zugenommen hat; ja, daß ihm
der abwägende Kunstverstand und jene äußere Geschicklichkeit
fehlen, die gerade der Eklektiker braucht. Schnitzler schreibt aus¬
drücklich Alt=Wien als Ort und Zeit der Handlung vor. Aber
nicht ein Takt der Partitur hat etwas Alt=Wienerisches, Bieder¬
meierisches, Großväterliches an sich und nicht ein Takt atmet die
zierliche Anmut, die verbuhlte Eleganz des Rokoko, mit dem die
Gestalten des Pierrot und des Arlechino in unserem Geiste ver¬
knüpft sind. Eine aufgedonnerte Tragik, die mit wortwörtlichen
Zitaten aus „Lohengrin“, „Walküre“, „Tristan“, „Meistersinger“.
arbeitet, entstellt die Zeichnung des Schnitzlerischen Entwurfes durch
ihre schreienden Farben; die Walzer sind zum Teil derb und
lärmend, das Menuett steif und ausdruckslos, die meisten Rythmen
eintönig, die Themen, die nicht Wagner=Zitate sind, ohne jede
Physiognomie.