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23. De Schlde Pierrete
374
„DAS FORUM“
V. Jahrg.
beiden Namen vereint ein andermal auf dem Theater¬
ventiovelle nicht hinaus und die Regie, auf die doch
zettel der Hofoper wiederzulinden.
jetzt in der Oper so viel Wert gelegt wird, tat nichts
Der Theaterplanderer des „Fremdenblatt“ wusste
zür Milderung des Grotesken. Das dritte Bild namentlich
zu berichten, dass die Anregung zum „Schleier der
hätte einer solchen dringend bedurft. Wenn man die
Pierette“ indirekt vom Direktor des Wiedner Theaters,
ganze Szene bei dem toten Pierrot hinter Schleiern auf
Wilhelm Karczag, ausging, der für Girardi eine
die rückwärtige Bühne des zweiten Bildes verlegt und
seiner würdige Aufgabe brauchte. Die Idee, Schnitzler
die Hochzeitsgäste zu Zeugen dieser bizarren Vorgänge
als Textdichter für eine Wiener Operette zu gewinnen,
gemacht hätte, wäre vielleicht eine grössere, jedenfalls
war sicherlich genial. Sie scheint auch dem Dichter
aber eine künstlerischere Wirkung erzielt worden.
nicht unsyirpathisch gewesen zu sein. Drei Einakter
Dohnanyi hat den ersten Schritt auf die Bretter
wollte oder sollte er liefern. Er sandte den „Schleier der
gemacht. Mir will scheinen, dass der Schleier der
Pieretle“ und den „Tapferen Kassian“, das Buch für eine
Pierette sein Genie noch verhällt; geniale Blitze aus
„Altwiener Operette“ blieb er schuldig. Dolmnanyi kom¬
feurigem Auge dringen allerdings durch die feinen
ponierte die Pantomime, Oskar Strauss den „Kassian“,
Maschen des Gewebes hervor, das auch die edle Linie
die Wiener Operetle blieb leider ungesebrieben.
geradezu klassischer Formen verrät. Hoffentlich zeigt
Die Kenntnis dieser Vorpeschichte der nunmehr
sich sein Genie bald unverhüllt im strahlenden Glanze
aufgeführten Pantomime scheint mir nicht unwichtig
einer Oper. Er bedürste hiezu, glaube ich, nur eines
für die Beurteilung dieses Werkes, Im Rahmen des
guten Buches — etwa von Artur Schnitzler.
geplanten Einakterabends hätte der „Schleier der
E. P.
Pierette“ vielleicht anders gewirkt, als in der Hofoper.
Eine volle Aufklärung dafür, wie Schnitzler dazu kam,
eine Groteske dieser Art zu schreiben, enthält allerdings
auch diese Vorgeschichte nicht. Es scheint, als wäre die
Pantomime der Entwurf des späteren Versdramas „Der
Schleier der Beatrice“ gewresen. Wäre doch eine Oper
daraus geworden! Wer wäre berufener, ein Libretto zu
schreiben als der so eminent musikalische Schnilzler?
Die Pantomime als Veredelung des Balletts beden¬
tet einen Fortschritt, als selbständige Kunstlorm ist sie
ein Rückschritt der Oper, die aus der Pantomime her¬
vorgegangen ist. Das Sprechen mit Händen und
Gebärcen ist für die Dauer einfach unerträglich. Seelische
Emotionen können mimisch verdolmetscht werden,
tragische, dramatische Konllikte nicht. Darum versagt
die Wirkung des „Schleiers der Pierette“, die sich bei
der Lektüre des Buches einstellt, auf der Bühne voll¬
ständig. Vielleicht wäre einer Duse dasjenige gelungen,
worum sich Fräulein Jamrich mit so viel anerkennens¬
wertem Fleisse vergeblich bemühte, vielleicht hätte uns
die Kunst Girardi’s den Pierrot menschlich näher¬
gebracht? — Ich sah einmal in einem französischen
Kinotheater geschickt zusammengestellte Szenen aus
„Macbeth“, von den grössten französischen Künstlern
dargestellt. Die Sache wirkte wie ein dramalisierter
Kolportageroman ärgster Sorte. Achnlich wirkt die
Pantomime Schnitzlers, von der nur das Grauenhafte,
Bizarre und Abstossende der Handlung augenfällig wird,
auf der Bühne, während man bei der Lektüre unschwer
die mannigfachsten Beziehungen zum Anatol-Dichter findet.
Die Musik hinwiederum kann die Handlung nur
untermalen und Stimmungen erzeugen, wenn sie des
Wortes entraten muss. Für die heitere Pantomime
genügt das, für die tragische nicht. Dohnanyi ist ein
Musiker von Esprit und Intelligenz, man kennt ihn in
Wien als -warmfühlenden, temperamentvollen Pianisten
und als ernsten Symphioniker von beachtenswertem
Können. All diese Eigenschaften zeigt auch die Musik
zur Pantomime. Am besten gelingen die graziösen
Szenen mit den archaistischen Tänzen. Nur der Walzer,
der zum zweiten Bilde hinüberführt, fällt aus dem
Hämentlich im Menziett so glänzend getroffenen Stile.
Der Wahinsinnswalzer am Schlusse des dritten Bildes
zeigt ungewöhnliche Charakterisierungkunst, der man
übrigens auf jeder Seite der Partitur, wenn auch nicht
immer in gleicher Vollendung begegnet. Dass Dohnanyi
im tragischen Ausdruck nicht ganz frei ist, ab und zu
in ein ausgefahrenes Geleise gerät, wer wollte das an
einem dramatischen Erstlingswerke tadeln? Ich möchte
ihm auch eine gelegentliche Reminiszenz an Wagner
oder Bizet nicht so stark ankreiden, als es die Beck¬
messer der Wiener Kritik getan. Sonderbar! Diejenigen,
die sich der Talentprobe Dohnanyis gegenüber so
frostig verhielten, sind dieselben, welche sich für den
„Schneemann“ des kleinen Korngold so sehr erhitzten.
Die Aufführung der Pantomime hat mich nicht
betriedigt. Die Hauptdarsteller kamen über das Kon¬
23. De Schlde Pierrete
374
„DAS FORUM“
V. Jahrg.
beiden Namen vereint ein andermal auf dem Theater¬
ventiovelle nicht hinaus und die Regie, auf die doch
zettel der Hofoper wiederzulinden.
jetzt in der Oper so viel Wert gelegt wird, tat nichts
Der Theaterplanderer des „Fremdenblatt“ wusste
zür Milderung des Grotesken. Das dritte Bild namentlich
zu berichten, dass die Anregung zum „Schleier der
hätte einer solchen dringend bedurft. Wenn man die
Pierette“ indirekt vom Direktor des Wiedner Theaters,
ganze Szene bei dem toten Pierrot hinter Schleiern auf
Wilhelm Karczag, ausging, der für Girardi eine
die rückwärtige Bühne des zweiten Bildes verlegt und
seiner würdige Aufgabe brauchte. Die Idee, Schnitzler
die Hochzeitsgäste zu Zeugen dieser bizarren Vorgänge
als Textdichter für eine Wiener Operette zu gewinnen,
gemacht hätte, wäre vielleicht eine grössere, jedenfalls
war sicherlich genial. Sie scheint auch dem Dichter
aber eine künstlerischere Wirkung erzielt worden.
nicht unsyirpathisch gewesen zu sein. Drei Einakter
Dohnanyi hat den ersten Schritt auf die Bretter
wollte oder sollte er liefern. Er sandte den „Schleier der
gemacht. Mir will scheinen, dass der Schleier der
Pieretle“ und den „Tapferen Kassian“, das Buch für eine
Pierette sein Genie noch verhällt; geniale Blitze aus
„Altwiener Operette“ blieb er schuldig. Dolmnanyi kom¬
feurigem Auge dringen allerdings durch die feinen
ponierte die Pantomime, Oskar Strauss den „Kassian“,
Maschen des Gewebes hervor, das auch die edle Linie
die Wiener Operetle blieb leider ungesebrieben.
geradezu klassischer Formen verrät. Hoffentlich zeigt
Die Kenntnis dieser Vorpeschichte der nunmehr
sich sein Genie bald unverhüllt im strahlenden Glanze
aufgeführten Pantomime scheint mir nicht unwichtig
einer Oper. Er bedürste hiezu, glaube ich, nur eines
für die Beurteilung dieses Werkes, Im Rahmen des
guten Buches — etwa von Artur Schnitzler.
geplanten Einakterabends hätte der „Schleier der
E. P.
Pierette“ vielleicht anders gewirkt, als in der Hofoper.
Eine volle Aufklärung dafür, wie Schnitzler dazu kam,
eine Groteske dieser Art zu schreiben, enthält allerdings
auch diese Vorgeschichte nicht. Es scheint, als wäre die
Pantomime der Entwurf des späteren Versdramas „Der
Schleier der Beatrice“ gewresen. Wäre doch eine Oper
daraus geworden! Wer wäre berufener, ein Libretto zu
schreiben als der so eminent musikalische Schnilzler?
Die Pantomime als Veredelung des Balletts beden¬
tet einen Fortschritt, als selbständige Kunstlorm ist sie
ein Rückschritt der Oper, die aus der Pantomime her¬
vorgegangen ist. Das Sprechen mit Händen und
Gebärcen ist für die Dauer einfach unerträglich. Seelische
Emotionen können mimisch verdolmetscht werden,
tragische, dramatische Konllikte nicht. Darum versagt
die Wirkung des „Schleiers der Pierette“, die sich bei
der Lektüre des Buches einstellt, auf der Bühne voll¬
ständig. Vielleicht wäre einer Duse dasjenige gelungen,
worum sich Fräulein Jamrich mit so viel anerkennens¬
wertem Fleisse vergeblich bemühte, vielleicht hätte uns
die Kunst Girardi’s den Pierrot menschlich näher¬
gebracht? — Ich sah einmal in einem französischen
Kinotheater geschickt zusammengestellte Szenen aus
„Macbeth“, von den grössten französischen Künstlern
dargestellt. Die Sache wirkte wie ein dramalisierter
Kolportageroman ärgster Sorte. Achnlich wirkt die
Pantomime Schnitzlers, von der nur das Grauenhafte,
Bizarre und Abstossende der Handlung augenfällig wird,
auf der Bühne, während man bei der Lektüre unschwer
die mannigfachsten Beziehungen zum Anatol-Dichter findet.
Die Musik hinwiederum kann die Handlung nur
untermalen und Stimmungen erzeugen, wenn sie des
Wortes entraten muss. Für die heitere Pantomime
genügt das, für die tragische nicht. Dohnanyi ist ein
Musiker von Esprit und Intelligenz, man kennt ihn in
Wien als -warmfühlenden, temperamentvollen Pianisten
und als ernsten Symphioniker von beachtenswertem
Können. All diese Eigenschaften zeigt auch die Musik
zur Pantomime. Am besten gelingen die graziösen
Szenen mit den archaistischen Tänzen. Nur der Walzer,
der zum zweiten Bilde hinüberführt, fällt aus dem
Hämentlich im Menziett so glänzend getroffenen Stile.
Der Wahinsinnswalzer am Schlusse des dritten Bildes
zeigt ungewöhnliche Charakterisierungkunst, der man
übrigens auf jeder Seite der Partitur, wenn auch nicht
immer in gleicher Vollendung begegnet. Dass Dohnanyi
im tragischen Ausdruck nicht ganz frei ist, ab und zu
in ein ausgefahrenes Geleise gerät, wer wollte das an
einem dramatischen Erstlingswerke tadeln? Ich möchte
ihm auch eine gelegentliche Reminiszenz an Wagner
oder Bizet nicht so stark ankreiden, als es die Beck¬
messer der Wiener Kritik getan. Sonderbar! Diejenigen,
die sich der Talentprobe Dohnanyis gegenüber so
frostig verhielten, sind dieselben, welche sich für den
„Schneemann“ des kleinen Korngold so sehr erhitzten.
Die Aufführung der Pantomime hat mich nicht
betriedigt. Die Hauptdarsteller kamen über das Kon¬