II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 242

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23. Der Schleiender Pierrette
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hat Dohnanpi derart versagt als in diesem letzten
verräterisch dürftig und nichtssagend wird,
Bild, in dem das dämonische, furchtbare Spiel
wenn sie, bloß vom Willen und vom Verstand
in seinen Kontrasten von Hochzeit und Tod,
gelenkt, dem ihr nicht Gemäßen tönende Ge¬
von Lieben und Verraten, von Grausamkeit
staliung geben soll. Man wird Dohnanyi gern
und Wahnsinn durch Töne überzeugen könnte,
wiederbegegnen, am liebsten Arm in Arm mit
die einer fieberischen Phantasie entsprungen, als
Arthur Schniteler; sei es wieder mit einer
klingende Sinnbilder eines entsetslichen Trau¬
Pantomine, sei es — was noch schöner wäre —
mes einer angstgeschüttelten Seele abgerungen
mit einer Komödie: aber dann wirklich mit
worden sind, widerwillig empfangen, zur Selbst¬
einer, in der Wien steckt, seine Plätze und
befreiung aufs Papier gebannt, geisterhafte,
Brunnen, seine lächelnden schönen Frauen,
aufpeitschende, die Kehle zusammenschnürende
galante lünglinge, eine bestrickende Atmosphäre
Klänge von schauerlicher, aber gebieterischer
von Sinnlichkeit und nonchalanter Sentimen¬
Gewalt. Während hier nur kühle Verstandes¬
talität
Richard Specht.
technik waltet, nirgends ein impulsiver Laut
erklingt, nur die Geschicklichkeit eines witzigen
Deutsches Volkstheater.
Kopfes, ohne innere Erschütterung, fast gleich¬
Anathema.
giltig in ihrem Aufruhr, absichtlich in ihrer Dar¬
stellung des Irrsinns (der Wahnsinnstanz Pier¬
„Ein Spiel zwischen Himmel und Erde“.
rettens ist aus zweiter Hand und dem originären
Aber keines für die Bühne. Gleichsam ein drama¬
genialen Einfall der sprunghaften unsinnigen
tischer Versuch am untauglichen Objekt (würde
Tonfolgen der Herodesmotive in „Salome“ ge¬
ein Jurist sagen). Problematische Auseinander¬
wandt nachgebildet) — vor allem aber gänzlich
setzungen über Gott und die Welt, Ewigkeit
leer und nichtssagend in all ihrem Tumult und
und Erkenntnis als Bausteine zu einem Theater¬
ihrer kalten Raserei. Ganz anders der wirklich
stück — weich ein Riesengebäude müßte das
geistreiche erste Akt, dem leider nur das Alt¬
werden! Und kann es auch. Beweis der Goethe¬
wienerische in der Musik völlig mangelt, der
sche Faust oder Byrons „Kain“ oder Madachs
aber, ohne wirkliche Eigenart der Erfindung,
„Tragödie des Menschen“. Andrejeto gibt nur
doch auf das witzigste und charmanteste die
die Basis und baut mit porösem Material. Auch
Vorgänge illustriert, in Einzelnheiten (wie in
der Kitt ist schlecht. Kein Monumentalbau
dem unheimlichen Marsch beim Abschiedsfest, in
aere perennius. Mehr Ankersteinbaukasten.
der Liebesszene) und in dem musikalisch und

dramatisch vortrefflichem Umbilden und Ver¬
Wedekind über den Dichter: „Mit Gott und
weben der Motive wirklich fein gearbeitet ist
Weltall spielt er kühne Spiele — der Dichter
und den ernsthaft zu wertenden Musiker zeigt,
wird longler ...“ Auch Andrejeto jongliert.
dem auch in der (allerdings sichtlich den Klavier¬
Aber die Virtuosität fehlt. Hundert Probleme
künstler und nicht den orchestral Denkenden
schleudert er in die Luft; aber die empfangs¬
verratenden) Instrumentation viele überraschend
bereiten Hände des Tongleurs fangen sie nicht
feine Gourmandisen gelingen. Bedenklicher wirkt
wieder. Eines nach dem andern fällt zu Boden.
der Hochzeitswalzer im zweiten Akt, der nur derb
Man ermüdet im Zusehen ob der steten Ent¬
und auf robuste Wirkung angelegt ist; ein
täuschung und ist froh, daß er wenigstens jenes
zierliches Nenuett in G-Dur bringt endlich den
wieder fing, mit dem er dies Spiel zwischen
altväterischen Ton — nur zu kurz, wie denn
Himmel und Erde begann.
überhaupt helle, freundliche Kontraste, die in
der Hochzeitsszene nütelich gewesen wären,

allzu sehr vermieden sind. Ein paar hübsche
Symbole. Anathema, der gefallene Engel,
Züge: die Verbindung der Motive, wenn der
dem die letzten Erkenntnisse versagt sind, der
tote Pierrot mit dem Schleier erscheint, die
Empörer wider Gott, David Ceiser, der von ihm
variierten Themen bei den analogen Situationen
zur Unsterblichkeitsgloriole hinaufgeschleuderte
des ersten und dritten Aktes, die (an sich sehr
arme Mensch, der Wächter des Tores (nenn ihn
nibelungenhafte) Erfindung des Pierrotmotivs,
Gott selbst, Naturwalten, oder Erzengel mit
in dem ein Teil des Pierrettenthemas wie ein
dem flammenden Schwert des Himmelshüters).
Herz schlägt. Daß ihm viele sehr sicher kontu¬
Vorspiel: Anathema ficht den Wächter an, einen
rierte kleine Tonbilder gelingen, braucht bei
Blick in den Spalt tun zu dürfen, der zwischen
einer Begabung seines Ranges nicht erst gesagt
den Felsen klafft, die irdische Wissensendlichkeit
zu werden. Und eigentlich spricht es für die
von göttlicher Unendlichkeit scheiden. Verzweifelt
Geradheit dieser durchaus hellen, freundlichen
über seine Ausschließung von den letaten Er¬
Begabung, daß sie sich nicht zum Ausdruck des
kenntnissen will er einen vernichtenden Streich
ihr Abseitsliegenden zwingen läßt und sofort
gegen die göttliche Überhebung führen und
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