II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 251

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verräterisch dürftig und nichtssagend wird,
hat Dohnanyi derart versagt als in diesem letzten
wenn sie, bloß vom Willen und vom Verstand
Bild, in dem das dämonische, furchtbare Spiel
gelenkt, dem ihr nicht Gemäßen tönende Ge¬
in seinen Kontrasten von Hochzeit und Tod,
staltung geben soll. Man wird Dohnanyi gern
von Lieben und Verraten, von Grausamkeit
wiederbegegnen, am liebsten Arm in Arm mit
und Wahnsinn duren Töne überzeugen könnte,
Arthur Schniteler; sei es wieder mit einer
die einer fieberischen Phantasie entsprungen, als
— was noch schöner wäre —
Pantomine, sei es —
klingende Sinnbilder eines entsetzlichen Trau¬
mit einer Komödie: aber dann wirklich mit
mes einer angstgeschüttelten Seele abgerungen
einer, in der Wien steckt, seine Plätze und
worden sind, widerwillig empfangen, zur Selbst¬
Brunnen, seine lächelnden schönen Frauen,
befreiung aufs Papier gebannt, geisterhafte,
galante lünglinge, eine bestrickende Atmosphäre
aufpeitschende, die Kehle zusammenschnürende
von Sinnlichkeit und nonchalanter Sentimen¬
Klänge von schauerlicher, aber gebieterischer
Kichard Specht.
talität
Gewalt. Während hier nur kühle Verstandes¬
technik waltet, nirgends ein impulsiver Laut
Deutsches Volkstheater.
erklingt, nur die Geschicklichkeit eines witzigen
Kopfes, ohne innere Erschütterung, fast gleich¬
Anathema.
giltig in ihrem Aufruhr, absichtlich in ihrer Dar¬
„Ein Spiel zwischen Himmel und Erde“.
stellung des Irrsinns (der Wahnsinnstanz Pier¬
Aber keines für die Bühne. Gleichsam ein drama¬
rettens ist aus zweiter Hand und dem originären
tischer Versuch am untauglichen Objekt (würde
genialen Einfall der sprunghaften unsinnigen
ein lurist sagen). Problematische Auseinander¬
Tonfolgen der Herodesmotive in „Salome“ ge¬
setzungen über Gott und die Welt, Ewigkeit
wandt nachgebildet) — vor allem aber gänzlich
und Erkenntnis als Bausteine zu einem Theater¬
leer und nichtssagend in all ihrem Tumult und
stück .— welch ein Riesengebäude müßte das
ihrer kalten Raserei. Ganz anders der wirklich
werden! Und kann es auch. Beweis der Goethe¬
geistreiche erste Akt, dem leider nur das Alt¬
sche Faust oder Byrons „Kain“ oder Madachs
wienerische in der Musik völlig mangelt, der
„Tragödie des Menschen“. Andrejet gibt nur
aber, ohne wirkliche Eigenart der Erfindung,
die Basis und baut mit porösem Material. Auch
doch auf das witzigste und charmanteste die
der Kitt ist schlecht. Kein Monumentalbau
Vorgänge illustriert, in Einzelnheiten (wie in
aere perennius. Mehr Ankersteinbaukasten...
dem unheimlichen Marsch beim Abschiedsfest, in

der Liebesszene) und in dem musikalisch und
Wedekind über den Dichter: „Mit Gott und
dramatisch vortrefflichem Umbilden und Ver¬
Weltall spielt er kühne Spiele — der Dichter
weben der Motive wirklich fein gearbeitet ist
wird longleur...“ Auch Andrejew jongliert.
und den ernsthaft zu wertenden Musiker zeigt,
Aber die Virtuosität fehlt. Hundert Probleme
dem auch in der (allerdings sichtlich den Klavier¬
schleudert er in die Cuft; aber die empfangs¬
künstler und nicht den orchestral Denkenden
bereiten Hände des longleurs fangen sie nicht
Verratenden) Instrumentation viele überraschend
wieder. Eines nach dem andern fällt zu Boden.
feine Gourmandisen gelingen.Bedenklicher wirkt
Man ermüdet im Zusehen ob der steten Ent¬
der Hochzeitswalzer im zweiten Akt, der nur derb
täuschung und ist froh, daß er wenigstens jenes
und auf robuste Wirkung angelegt ist; ein
wieder fing, mit dem er dies Spiel zwischen
zierliches Nenuett in G-Dur bringt endlich den
Himmel und Erde begann.
altväterischen Ton — nur zu kurz, wie denn
überhaupt helle, freundliche Kontraste, die in

der Hochzeitsszene nützlich gewesen wären,
Symbole. Anathema, der gefallene Engel,
allzu sehr vermieden sind. Ein paar hübsche
dem die letzten Erkenntnisse versagt sind, der
Züge: die Verbindung der Motive, wenn der
Empörer wider Gott, David Ceiser, der von ihm
tote Pierrot mit dem Schleier erscheint, die
zur Unsterblichkeitsgloriole hinaufgeschleuderte
variierten Themen bei den analogen Situationen
arme Mensch, der Wächter des Tores (nenn ihn
des ersten und dritten Aktes, die (an sich sehr
Gott selbst, Naturwalten, oder Erzengel mit
nibelungenhafte) Erfindung des Pierrotmotivs,
dem flammenden Schwert des Himmelshüters).
in dem ein Teil des Pierrettenthemas wie ein
Vorspiel: Anathema fieht den Wächter an, einen
Herz schlägt. Daß ihm viele sehr sicher kontu¬
Blick in den Spalt tun zu dürfen, der zwischen
rierte kleine Tonbilder gelingen, braucht bei
den Felsen klafft, die irdische Wissensendlichkeit
einer Begabung seines Ranges nicht erst gesagt
von göttlicher Unendlichkeit scheiden. Verzweifelt
zu werden. Und eigentlich spricht es für die
über seine Ausschließung von den letzten Er¬
Geradheit dieser durchaus heilen, freundlichen
kenntnissen will er einen vernichtenden Streich
Begabung, daß sie sich nicht zum Ausdruck des
gegen die göttliche Überhebung führen und
ihr Abseitsliegenden zwingen läßt und sofort
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