23. Der Schleien der Pierrette
—
(Quellenangabe ohne Gewähr.),
Berliner Börsen Courier, Berlin
usschnitt aus:
Morgenausgabe
10 4 1913
om:
Thealer und Iusih,
Dahnänyi=Première.
MU##sches Opernhaus.
Endlich ist der „Schleier der Pierrette“ hierher¬
gekommen. Das ist eine reizende, ja erschütternde
Pantomime. Schnitzler hat seine Beatrice in eine
Pierrette verwandelt und der grausige Reiz dieses
Abenteuers steht wortlos, aber voller Musik vor unse¬
ren Augen. Wierrette tanzt ihren Todestanz vor dem
toten Pierrot, der es nicht erträgt, daß sie den anderen
heiratet, der immer ein Harlekin ist. Den Schleier
hat sie bei ihm gelassen, den Brautschleier und hat
das Herkersmahl mit ihm genommen, ohne den Mut,
das Gift mit ihm zu teilen. Drüben bei der Hochzeit
tanzen sie Walzer des Lebens. Doch Pierrot ruft sie
zurück und im Tode tanzt sie ihm endlich nach. Tod
und Liebe sind die besten Motoren einer Pantomime.
Sie sind stumm. Alles spricht die Musik. Dohnänyi
hat sie beredt geschrieben. Er hat das Organ für
das Illustrierende und Plastische, er enthüllt Milieus,
zaubert Stimmungen und läßt die Dinge singen, alle
Komik und Tragik des Lebens ineinander. Er kennt
die Kontraste und weiß Licht und Schatten zu ver¬
teilen, daß die Mimik in den Instrumenten leibhaftig
wird. Viel Geistreichtum ist darin, doch kein über¬
heizter, ein bewußter Witz und eine feurige Laune,
sich hingebend und frei fließend auf dem immer durch¬
sichtigen Fond guter akademischer Schule und bürger¬
licher Ueberlieferung. Er leitete selbst das Orchester,
das seiner Intelligenz und dem malerischen Sinn für
das charakteristische Detail ausgezeichnet folgte. Die
Galafrés mimt die Pierrette, temperamentvoll und
dabei exakt, darstellend und dabei den Tanz in den
Gliedern. Pierrot ist Herr Linden, Arlechino Herr
Heyer das Ensemble gut gestellt und bewegt, die
Dekorationen passend. Die Geistererscheinung Pierrots
ging nicht ganz auf — aber das ist auch ein Ritar¬
dando in der Dichtung und schwer in das Sichtbare
und Suggestive zu übersetzen.
Vorher gab es einen kleinen Einakter desselben
Komponisten „Tante Simona“ Er ist harm¬
los. Zuerst sitzt ein junges Liebespaar auf der Bank,
das sich nicht kriegen soll, dann ein altes. Zuletzt
singen sie alle ein Sextett. Es ist ziemlich blöde. Die
Musik ein wenig zu gut dafür, da sie immerhin
einige lyrische Ideen enthält, die besserer Liebespaare
würdig war. Dramatisch ist nicht viel zu holen
und das Ganze wirkt vielleicht etwas geziert, künstlich
aufgeschminkt, wie diese pompösen Obstblütenbäume,
die auf der Szene standen. Herr Krasselt diri¬
gierte, die Damen Marck Painter, Fink
sangen nach Möglichkeit, aber die Herren Lehmann
und Waschmann nach Unmöglichkeit — der letz¬
tere ist ein Irrtum.
Das Publikum applaudierte beide Stücke sehr
animiert und rief Darsteller und Autor immer wieder
heraus. Die Pautemime ist eine schöne Bereicherung,
Bie,“
box 28/1
Mailand, Minneapolis, New-Vort.
Paris. Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Geellensagsbe #hse Gewfhr).
iner Börsen Zeitung, Berli
Ausschnitt aus:
Vorgenausgabe
10 4 1913
vom:
Kgnst und Wissenschaft.
Das Deuische Operzihaus arbeitet ange¬
streugt au dem Ausbau seines Repertoires. Im
Zeitraum von zwei Wochen zwei Premièren mit
drei Nopktäten, ist immerhin eine Leistung. Nach
Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen",
da“ am 28. März seine Erstaufführung erlebte,
hat man gestern dort gleich zwei Novitäten auf ein¬
herausgebracht, das einaktige Singspiel
mal
„Tanke Simona“ und die dreiaktige Panto¬
mime „Der Schleier der Pierrette". Beide Werte
Es ist der
haben den Komponisten gemeinsam.
hier wohlbekannte treffliche Klaviervirtnose Ernst
v. Dohnänyi, dem der Librettist des Singspiels „Tante
Simona“ leider einen recht schwächlichen Text ge¬
liefert hat. Dieser Text, dessen nichtssagende, blutleere ###
Handiung in ihrer steifleinenen Ernsthaftigkeit
absolnt kein Interesse wecken kann, würde auch
durch eine charaktervollere Musik, als sie Herr
Dohnänyi hier zustande gebracht hat, nicht;
gehoben werden können. Es ist eine Musik,
die mit der frischen in echtem Lustspielton ge¬
haltenen Ouverture sehr verheißungsvoll beginnt,
aber hinterher absolut nicht hält, was sie am
Anfang versprochen hat, sondern zumeist in breiter
(Geschwätzigkeit neben der Handlung herläuft und
ferst ganz am Schlusse, in einem leider nur kurzen
Sextett, eine eigene Note aufweist. Von den Damen
Murck, Painter, Fink und den Herren Lehmann und
Waschmann recht brav gesungen, fand der Einakter
trotz alledem eine freundliche Aufnahme.
Elwas besser als um die lederne „Tante Simona“
steht es um die dreiaklige Pantomime „Der Schleier
der Pierrette“, deren Stoff Arthur Schnitzler
aus seinem bekannten Schanspiel „Der Schleier der
Beatrice" gezogen hat. Allerdings ist die Handlung sehr
vereinfacht, das Milieu ein ganz anderes geworden.
Der Bologneser Herzog des Schauspiels hat sich
hier zum Arlechino gewandelt, der Dichter Filippo
zum Pierrot und Beatrice selbst zur Pierrette,
die sich von der Hochzeitstafel zu ihrem
geliebten Pierrot fortstiehlt, um mit ihm zu
isterben, aber im letzten Moment, während er
schon den Gisttrank genommen hat und iot nieder¬
gesunken ist, vor dem Tode zurückschreckt und wieder
zur Hochzeitsgesellschaft zurückeilt. Hier hat Arlechino,
der Bräutigam, ihr Verschwinden längst bemerkt, und
fals sie jetzt erscheint — ohne Brautschleier, den sie
in Pierrots Wohnung zurückgelassen hat — schöpft er
nicht ganz unerklärlicher Weise Verdacht und zwingt
sie, den Schleier mit ihm suchen zu gehen. In
Pierrots Wohnung angekommen, erblickt Arlechino
neben Pierrettens Schleier die Leiche Pierrots.
Jetzt ist ihm alles klar und in grimmer Wut schließt
er die Treulose mit dem Leichnam zusammen ein,
worauf die zu Tode geängstigte Pierrette in Wahnsinn
verfällt und schließlich neben Pierrots Leiche tot zu
Boden sinkt.
Trotz ihrer düsteren Grundstimmung gibt diese
Handlung doch dem Komponisten, wenigstens in den
beiden ersten Akten, mehrfach Gelegenheit zu graziösen
Musiknummern. Herr Dohnänyi hat diese Ge¬
legenheit auch nach Möglichkeit ausgenutzt, und man
darf sagen, daß sich seine feine und pikant instrumen¬
tierte Musik in ihrer leichten Anmut hier angenehm
ins Ohr schmeichelt. In den dramatischen Momenten
aber, ganz besonders im dritten Akt, wo die Handlung
sich ins Hochtragische wendet, versagt dem Kompo¬
nisten die Kraft vollständig. Er beschränkt sich
auf nichtssagende Phrasen und abgebrauchte Floskeln,
daß hier die Handlung lediglich durch
so
sich selbst zu wirken hat. Durch sich selbst
und durch die drei Hauptdarsteller, die denn
auch gestern den Erfolg der Pantomime mit ent¬
scheiden halsen. In erster Linie Elsa Galafrés, die
als Pierrette eine nicht gewöhnliche pantomimistische
Kunst entfaltete und darin von den Herren Linden
(Pierrot) und Heyer (Arlechino) wirksam unterstützt
wurde.
Dazu hatte die Regie wieder für einen sehr ge¬
schmackvollen szeuischen Nahmen gesorgt und be¬
sonders in den Biedermeier=Tänzen des zweiten
Aktes ungemein ansprechende Bilder entrollt. So kam
es schließlich auch hier zu einem sehr freundlichen
Erfolg, der nach dem Schlusse der Pautomime dem
zugleich als Dirigenten fungierenden Komponisten zu
wiederholtem Erscheinen auf der Bühne Veranlassung.
gab.
—.
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(Quellenangabe ohne Gewähr.),
Berliner Börsen Courier, Berlin
usschnitt aus:
Morgenausgabe
10 4 1913
om:
Thealer und Iusih,
Dahnänyi=Première.
MU##sches Opernhaus.
Endlich ist der „Schleier der Pierrette“ hierher¬
gekommen. Das ist eine reizende, ja erschütternde
Pantomime. Schnitzler hat seine Beatrice in eine
Pierrette verwandelt und der grausige Reiz dieses
Abenteuers steht wortlos, aber voller Musik vor unse¬
ren Augen. Wierrette tanzt ihren Todestanz vor dem
toten Pierrot, der es nicht erträgt, daß sie den anderen
heiratet, der immer ein Harlekin ist. Den Schleier
hat sie bei ihm gelassen, den Brautschleier und hat
das Herkersmahl mit ihm genommen, ohne den Mut,
das Gift mit ihm zu teilen. Drüben bei der Hochzeit
tanzen sie Walzer des Lebens. Doch Pierrot ruft sie
zurück und im Tode tanzt sie ihm endlich nach. Tod
und Liebe sind die besten Motoren einer Pantomime.
Sie sind stumm. Alles spricht die Musik. Dohnänyi
hat sie beredt geschrieben. Er hat das Organ für
das Illustrierende und Plastische, er enthüllt Milieus,
zaubert Stimmungen und läßt die Dinge singen, alle
Komik und Tragik des Lebens ineinander. Er kennt
die Kontraste und weiß Licht und Schatten zu ver¬
teilen, daß die Mimik in den Instrumenten leibhaftig
wird. Viel Geistreichtum ist darin, doch kein über¬
heizter, ein bewußter Witz und eine feurige Laune,
sich hingebend und frei fließend auf dem immer durch¬
sichtigen Fond guter akademischer Schule und bürger¬
licher Ueberlieferung. Er leitete selbst das Orchester,
das seiner Intelligenz und dem malerischen Sinn für
das charakteristische Detail ausgezeichnet folgte. Die
Galafrés mimt die Pierrette, temperamentvoll und
dabei exakt, darstellend und dabei den Tanz in den
Gliedern. Pierrot ist Herr Linden, Arlechino Herr
Heyer das Ensemble gut gestellt und bewegt, die
Dekorationen passend. Die Geistererscheinung Pierrots
ging nicht ganz auf — aber das ist auch ein Ritar¬
dando in der Dichtung und schwer in das Sichtbare
und Suggestive zu übersetzen.
Vorher gab es einen kleinen Einakter desselben
Komponisten „Tante Simona“ Er ist harm¬
los. Zuerst sitzt ein junges Liebespaar auf der Bank,
das sich nicht kriegen soll, dann ein altes. Zuletzt
singen sie alle ein Sextett. Es ist ziemlich blöde. Die
Musik ein wenig zu gut dafür, da sie immerhin
einige lyrische Ideen enthält, die besserer Liebespaare
würdig war. Dramatisch ist nicht viel zu holen
und das Ganze wirkt vielleicht etwas geziert, künstlich
aufgeschminkt, wie diese pompösen Obstblütenbäume,
die auf der Szene standen. Herr Krasselt diri¬
gierte, die Damen Marck Painter, Fink
sangen nach Möglichkeit, aber die Herren Lehmann
und Waschmann nach Unmöglichkeit — der letz¬
tere ist ein Irrtum.
Das Publikum applaudierte beide Stücke sehr
animiert und rief Darsteller und Autor immer wieder
heraus. Die Pautemime ist eine schöne Bereicherung,
Bie,“
box 28/1
Mailand, Minneapolis, New-Vort.
Paris. Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Geellensagsbe #hse Gewfhr).
iner Börsen Zeitung, Berli
Ausschnitt aus:
Vorgenausgabe
10 4 1913
vom:
Kgnst und Wissenschaft.
Das Deuische Operzihaus arbeitet ange¬
streugt au dem Ausbau seines Repertoires. Im
Zeitraum von zwei Wochen zwei Premièren mit
drei Nopktäten, ist immerhin eine Leistung. Nach
Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen",
da“ am 28. März seine Erstaufführung erlebte,
hat man gestern dort gleich zwei Novitäten auf ein¬
herausgebracht, das einaktige Singspiel
mal
„Tanke Simona“ und die dreiaktige Panto¬
mime „Der Schleier der Pierrette". Beide Werte
Es ist der
haben den Komponisten gemeinsam.
hier wohlbekannte treffliche Klaviervirtnose Ernst
v. Dohnänyi, dem der Librettist des Singspiels „Tante
Simona“ leider einen recht schwächlichen Text ge¬
liefert hat. Dieser Text, dessen nichtssagende, blutleere ###
Handiung in ihrer steifleinenen Ernsthaftigkeit
absolnt kein Interesse wecken kann, würde auch
durch eine charaktervollere Musik, als sie Herr
Dohnänyi hier zustande gebracht hat, nicht;
gehoben werden können. Es ist eine Musik,
die mit der frischen in echtem Lustspielton ge¬
haltenen Ouverture sehr verheißungsvoll beginnt,
aber hinterher absolut nicht hält, was sie am
Anfang versprochen hat, sondern zumeist in breiter
(Geschwätzigkeit neben der Handlung herläuft und
ferst ganz am Schlusse, in einem leider nur kurzen
Sextett, eine eigene Note aufweist. Von den Damen
Murck, Painter, Fink und den Herren Lehmann und
Waschmann recht brav gesungen, fand der Einakter
trotz alledem eine freundliche Aufnahme.
Elwas besser als um die lederne „Tante Simona“
steht es um die dreiaklige Pantomime „Der Schleier
der Pierrette“, deren Stoff Arthur Schnitzler
aus seinem bekannten Schanspiel „Der Schleier der
Beatrice" gezogen hat. Allerdings ist die Handlung sehr
vereinfacht, das Milieu ein ganz anderes geworden.
Der Bologneser Herzog des Schauspiels hat sich
hier zum Arlechino gewandelt, der Dichter Filippo
zum Pierrot und Beatrice selbst zur Pierrette,
die sich von der Hochzeitstafel zu ihrem
geliebten Pierrot fortstiehlt, um mit ihm zu
isterben, aber im letzten Moment, während er
schon den Gisttrank genommen hat und iot nieder¬
gesunken ist, vor dem Tode zurückschreckt und wieder
zur Hochzeitsgesellschaft zurückeilt. Hier hat Arlechino,
der Bräutigam, ihr Verschwinden längst bemerkt, und
fals sie jetzt erscheint — ohne Brautschleier, den sie
in Pierrots Wohnung zurückgelassen hat — schöpft er
nicht ganz unerklärlicher Weise Verdacht und zwingt
sie, den Schleier mit ihm suchen zu gehen. In
Pierrots Wohnung angekommen, erblickt Arlechino
neben Pierrettens Schleier die Leiche Pierrots.
Jetzt ist ihm alles klar und in grimmer Wut schließt
er die Treulose mit dem Leichnam zusammen ein,
worauf die zu Tode geängstigte Pierrette in Wahnsinn
verfällt und schließlich neben Pierrots Leiche tot zu
Boden sinkt.
Trotz ihrer düsteren Grundstimmung gibt diese
Handlung doch dem Komponisten, wenigstens in den
beiden ersten Akten, mehrfach Gelegenheit zu graziösen
Musiknummern. Herr Dohnänyi hat diese Ge¬
legenheit auch nach Möglichkeit ausgenutzt, und man
darf sagen, daß sich seine feine und pikant instrumen¬
tierte Musik in ihrer leichten Anmut hier angenehm
ins Ohr schmeichelt. In den dramatischen Momenten
aber, ganz besonders im dritten Akt, wo die Handlung
sich ins Hochtragische wendet, versagt dem Kompo¬
nisten die Kraft vollständig. Er beschränkt sich
auf nichtssagende Phrasen und abgebrauchte Floskeln,
daß hier die Handlung lediglich durch
so
sich selbst zu wirken hat. Durch sich selbst
und durch die drei Hauptdarsteller, die denn
auch gestern den Erfolg der Pantomime mit ent¬
scheiden halsen. In erster Linie Elsa Galafrés, die
als Pierrette eine nicht gewöhnliche pantomimistische
Kunst entfaltete und darin von den Herren Linden
(Pierrot) und Heyer (Arlechino) wirksam unterstützt
wurde.
Dazu hatte die Regie wieder für einen sehr ge¬
schmackvollen szeuischen Nahmen gesorgt und be¬
sonders in den Biedermeier=Tänzen des zweiten
Aktes ungemein ansprechende Bilder entrollt. So kam
es schließlich auch hier zu einem sehr freundlichen
Erfolg, der nach dem Schlusse der Pautomime dem
zugleich als Dirigenten fungierenden Komponisten zu
wiederholtem Erscheinen auf der Bühne Veranlassung.
gab.
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