II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 256

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23. Der Schleier der Pierreite
Er nehme den Ausdruck meiner Bewunderung noch
und sperrt sie ängstlich von allen Männern ab. „Er“
Teen
Carl Krebs.
nachträglich entgegen.
weiß sich ihr aber doch zu nähern, und zwar ist der
übergab er doch kostbare Vermächtnisse
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Rolle eines taubstummen Gärtners (mir scheint, von
sogar auch die Befugnis, die Gesamtaus
einem angeblich taubstummen Gärtner habe ich schon
Werken einzurichten und (nicht bloß
bei Boccaccio gelesen), die Tante überrascht das Pärchen
Der gesiebte Riemer.
korrigieren. Einen Freund, der Herz un
bei Umarmung und Küssen, muß aber ihr Grollen auf¬
befriedigte, besaß der ältere und alte Go
Den Zeitgenossen Goethes, die in frühesten Publikationen
geben, als sie selbst in den Armen des reuig zurück¬
trautes Verhältnis zu Riemer, einem
von seinem Leben und Weben Zeugenschaft abgelegt haben,
gekehrten Ungetreuen betroffen wird. Zu der Unschuld
lieb hatte, läßt uns Goethes Einsamkeit
geht es in der Nachwelt sonderbar. Einzelne ihrer Sätze ver¬
dieser Vorgänge steht nun die Musik in einem starken
hatte wenigstens zu bieten, daß er Goe
erben sich in der Goethe=Literatur von Buch zu Buch, aber
Mißverhältnis, denn sie arbeitet mit ganz großem
klar und ohne subjektive Banalisierung
ihre Schriften werden kaum mehr gelesen. (Mit Ausnahmen
Orchester und mit allen Raffinements moderner Technik.
mochte. Und so zeichnete er sie auf.
natürlich.) Es trifft zu bei Johannes Falk, es trifft zu bei
Das Orchester, das Herr Krasselt leitete, trägt zudem
Von dieser Erkenntnis bestimmt, hat
Friedrich Wilhelm Riemer. Das meiste, was Riemer in den
häufig so stark auf, daß es die Singstimmen zudeckt. Es
Karl Georg Wendriner den Riemersche
zwei dicken Bänden, auf den 1200 Seiten seiner „Mit¬
ist das bei neueren Opern so häufige Spatzenschießen
Staub gelehrte# Bibliotheken hervorgeho
teilungen über Goethe“ zu sagen hatte, ist von der einund¬
mit Kanonen, es ist, als wenn eine kleine Silhouette in
Schriften sich neben den neuen und neuest
achtzigjährigen Forschung seit Goethes Tod ergänzt, vertieft,
einen schweren Barockrahmen gefaßt wird. Und die
Leben erfüllt sind, nützlich und lebendig
zum Teil auch überholt worden. In einem hohen, fast un¬
Hauptsache: die Erfindung, die den Komponisten in der
notwendig, sie von vielem toten
geheuren Bau stecken Riemers Bausteine, verloren neben
Pantomime so reich beglückt, hat sich ihm hier spröde
Wendriner hat mit Glück alles ausge
ungezählten anderen. Die große Gemeinde nimmt an, daß
versagt, man gewinnt den Eindruck, daß diese Oper
zeitgerecht gewesen, und so ziemlich alles,
alles Wichtige, was Riemer zu sagen hatte, von den Späteren
invita Minerva geschaffen wurde. Die Darsteller, die
sondern Riemers Physiognomie zeigte.
absorbiert worden sei. Die engere Gemeinde der Goethe¬
Damen Marck und Painter, die Herren Waschmann und
Faktotums, als Fortsetzung von „Dicht
Sucher hingegen weiß den Wert der Unmittelbarkeit der
Lehmann, gaben sich alle Mühe und ernteten auch
Goethes Biographie vom Beginn der W
Riemerschen Aufzeichnungen zu würdigen; sie verschmäht
starken Beifall, jedoch — nun, wir wollen's ab¬
bis zu Schillers Tod (1805) zu schreiben,
es nicht, diese Quelle immer wieder aufzusuchen, in
warten.
wertet. Riemers Polemiken gegen Wol
der sich viel von Goethes geistiger Persönlichkeit spie¬
Ich will die Gelegenheit benutzen, um eine Unter¬
Börne sind mit den Angriffen der Goen
gelt. Vom Jahre 1803, von dem Zeitpunkt an, da Riemer
lassungssünde gutzumachen. Bei der Besprechung der
worden — und geradeso erledigt sind die
als Lehrer von Goethes Sohn in Goethes Haus kam, bis zu
Walkürenaufführung im Königlichen Opernhause habe
eifersüchtigen Mannes gegen Falk und
Goethes Tod hat der Meister kaum zu einem anderen so
ich vergessen, gerade den Künstler zu nennen, der eigent¬
viele kluge Dinge gesagt wie zu dem späteren Geheimen Hof=] hat Wendriner die von Riemer belauf
lich die beste Leistung bot: Paul Knüpfer als Hunding.