es an ein und demselben Abend die beiden
Bühnenwerke Ernst von Dohnanyis, näm¬
lich die einaktige Spieloper „Tante Simona“
und die Pantomime „Der Schleier der
Pierrette“ herausbrachte. Die beiden Stücke
sind derartig weit von einander verschieden, daß
man fast den gemeinsamen Komponisten darüber
vergißt.
Die Handlung zu „Tante Simona“ ist im Stil
der älteren Spieloper geschrieben. Einfach, be¬
scheiden, biedermeierlich, aber nett und manchmal
auch ganz hübsch lustig. Ein Erholungsstück nach
der Geschmacksverirrung des „Mädchens aus dem
Goldenen Westen“. Daß die durch einen frühe¬
ren Aufsitzer anti=männlich gesonnene Tante
Simona ihr Nichtchen Beatrice nicht vor der Be¬
kanntschaft mit dem Mann bewahren kann, ist
selbstverständlich. Und doß dieser Mann, natür¬
lich ein Graf, als Gärtner verkleidet, schon in
Tante Simonas Hause weilt, gehört zu den üb¬
lichen Verwicklungen der komischen Oper schon
seit der Lortzingschen Zeit. Und daß schließlich
die Beatrice ihren Grafen kriegt, und daß Tante
Simona sogar noch den Mann (natürlich auch
ein Graf) bekommt, der sie erst verließ, gehört
durchaus zur Natur der Spieloper.
Dohnanyis Musik ist hier frisch und wirklich
heiter, nicht gerade originell (das ist sie ja bisher
überhaupt nie gewesen), aber sehr fein und deli¬
lat gearbeitet. Einige hübsche musikalische
Scherze wurden vom Publikum erkannt und be¬
lacht. Warum am Schluß dieser harmlosen Sache
ein leiser Protest eintrat, ist nicht zu verstehen.
Schwerer gibt sich Dohnanyi im „Schleier
der Pierrette“ einer pantomimischen Be¬
arbeitung von Arthur Schnitzlers „Der
Schleier der Beatrice“, die der Dichter selbst
für den Komponisten gemacht hat. Das liegt
natürlich am Stoff, der eine Tragödie in der
Familie der Pierrots zum Gegenstande hat.
Pierette soll den Harlekin heiraten. Sie liebt
aber den Pierrot. Am Hochzeitsabend geht sie
zu ihm, um Abschied zu nehmen. Er will sie
verleiten, mit ihm aus dem Leben zu scheiden,
trinkt den Gifttrank und stirbt, während Pierrette
schaudernd dabei steht und nicht den Mut findet.
ebenfalls zu trinken. In Pierettes Elternhaus
wartet die Hochzeitsgesellschaft auf sie, und
Harlekin verlangt immer heftiger nach ihr. Als
sie kommt, hat sie ihren Brautschleier nicht mehr.
Sie soll ihn holen, und Harlekin geht mit. In
Pierrots Wohnung angekommen, hält er den
Toten für betrunken, will ihn erwecken und sich
rächen. Dann, als er sieht, daß sein Rivale
schon aus dem Leben geschieden ist, setzt er ihn
in einer grausigen Positur auf das Sofa. Und
schließt Pierrette mit dem Toten zusammen ein.
Sie beginnt einen immer wilder werdenden
Wahnsinnstanz und stürzt am Ende tot zu Füßen
des dahingeschiedenen Liebsten nieder. Daß
Dohnanyi hier mit seiner Musik mehr geben
möchte, als er kann, merkt man vom ersten Takt
an. Er sucht nach bedeutsamen Motiven, findet
aber nur alltägliche Phrasen, die wohl zur Hand¬
lung passen, aber in keinerlei Weise die zu¬
sammenraffende Kraft in sich bergen, wie man sie
z. B. bei Straoinskys „Feuervogel“ oder gar
„Petruschka“ wahrnehmen konnte. Immerhin
trifft Dohnanyi gewisse dramatische Akzente mit
guter Sicherheit und steigert seine Musik ge¬
legentlich ganz vortrefflich.
Die Aufführung von „Tante Simona“ war
sicherlich besser als die der Pantomime. In
der Spieloper zeichneten sich aus Eleanor
Painter als ganz reizende Nichte Beatrice,
Louise Marck als Tante und Mizzi Fink als
Föschen. Die Männer, Herren Ernst Lehmann
und Karl Waschmann, kamen mit ihren
Stimmen nicht recht gegen die Akustik des
Theaters auf. In der Pantomime vermißte man
die eigentliche Leichtigkeit, die Körperlosigkeit der
Darsteller, die unbedingt erforderlich ist bei dieser
Kunstgattung. Wenn auch Elsa Galafrés
(Pierette), Einar Linden (Pierrot) und Edwin
Heyer (Harlekin) sich sichtlich alle Mühe gaben,
leicht und graziös zu spielen, so blieb es doch
nur bei der Mühe. Man hätte Nijinsky, die
Karsavina oder die Pawlowa in den Haupt¬
rollen sehen mögen: die haben uns leider zu
In die musikalische Leitung
sehr verwöhnt!
teilten sich Kapellmeister Krasselt und der
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usdische Allgemeine Zeitung,
Berhn.
10 APRIL 19
Theater und Musik.
W. A. Am Mittwoch ist Ernst von Dohnanyi be
ins endlich und zwar im Deutschen Opernhause zu
Tharlottenburg als dramatischer Komponist zu Worte gekommen.
Dieser ungarische Tonsetzer, der 1877 geboren ist und als seinen
Theorielehrer Hans Koeßler dankbar verehrt, wirkt bekanntlich
seit 1908 an unserer Königlichen Hochschule für Musik und hat
sich nicht bloß durch sein Klavierspiel, sondern vor allem durch
eine Reihe wertvoller Kompositionen (Klarier= und Violoncell¬
konzert, Symphonie, zwei Streichquartette, Klavierquintett,
Violoncell= und Violinsonate, Klavierstücke) einen großen
Namen erworben. Zur Aufführung gelangte seine als op. 20
veröffentlichte einaktige Lustspieloper „Tante Simona“
deren Uraufführung erst am 22. Januar im Dresdener Hoftheater
stattgefunden hat, und das Mimodrama (in 3 Bildern) „Der
Schleier der Pierrette“ (op. 18), dessen Bühnen¬
wirksamkeit nach der Dresdener Uraufführung im Januar 1910
bereits von vielen Bühnen erprobt worden ist.
Die Dichtung dieses Mimodramas hat Arthur Schnitzler
bekanntlich nach seinem sehr häufig aufgeführten „Schreier der
Beatrice“ bearbeitet. Er hat die Handlung nach Alt Wien in
die Biedermeierzeit verlegt und dabei merkwürdigerweise die
Personen der „Commedia del arte“ nachgebildet. Im ersten
Bild sehen wir Pierrot in seinem großen Schmerz, weil seine
heißgeliebte Pierrette mit Harlekin vermählt werden soll. Sie
erscheint im Brautschleier bei ihm und will ihn veranlassen,
noch einmal mit ihr fröhlich zu sein und dann g
meinsam Gift zu nehmen. Er geht auch darauf ein, aber
während er das Gift trinkt und tot niederfällt, hat sie nicht
den Mut, ihm in den Tod zu folgen. Entsetzt flieht sie, läßt
aber in der Eile ihren Schleier zurück. Auf der Hochzeit wird
sie schon sehr vermißt. Harlekin ist wütend. Ihr Erscheinen
besänftigt ihn, er tanzt mit ihr. Da erscheint, nur ihr sichtbar,
zu ihrem großen Schrecken drohend der tote Pierrot. Das
Fehlen des Brautschleiers wird von Harlekin bemerkt; er
will wissen, wo er geblieben ist. Pierrette eilt nach Pierrots
Wohnung, um ihn zu holen. Harlekin geht ihr nach und
erkennt ihr Verhältnis zu dem Toten. Er schließt sie bei
diesem ein. In ihrer Angst fängt sie zu tanzen an und hört,
vom Wahnsinn ergriffen, nicht eher auf, als bis sie neben
Pierrot tot niederfällt. Die lustig hereintanzenden Freunde
Pierrots finden zu ihrem Entsetzen die Leichen.
Dieses gruselige Drama soll den Zuschauern nur durch das
Mienenspiel der Darsteller klargemacht werden. Diese dem
Ballet naheverwandte Kunstgattung des Mimodramas war bis¬
her nur durch Henri Berenyis „Die Hand" und André
Wurmsers „Der verlorene Sohn“ weiteren Kreisen bekannt ge¬
worden. Beide Tonsetzer hatten in wirksamster Weise die
Darsteller durch ihre Musik unterstützt. Auch Herrn
von Dohnanyi ist dies in hohem Grade gelungen.
Seine Musik ist in hohem Grade dramatisch,
ungemein packend, sie paßt sich jeder vom Dichter ge¬
wünschten Stimmung und Situation vortrefflich an, enthält
also auch sehr wirksame Gegensätze und ist prachtvoll instru¬
mentiert. Auch die Leitmotive, die gelegentlich etwas wagnerisch
anmuten, während das Werk sonst im allgemeinen durchaus
eine eigenartige, persönliche Note aufweist, sind brillant ver¬
arbeitet. Vor allem seien das Liebesschmerzmotiv Pierrots
und das auf seine Liebe zu Pierrette hindeutende Motiv wegen
ihrer Plastik hervorgehoben. Ein hübscher Gedanke war es,
bei der Stelle, wo das Gift genommen wird, die
entsprechende aus „Tristan und Isolde“ zu zitieren. Den:
Höhepunkt der Musik bedeuten das Erscheinen des
toten Pierrots während eines gespenstischen Galopps und der
etwas an Saint=Saëns' Totentanz erinnernde Schlußtanz der
Pierrette. Ganz reizend ist der altwienerische Ländlerwalzer der
Freunde und Freundinnen Pierrots, die ihn im ersten Bild
trösten wollen; durch Flottheit und Schneid ist der Walzer beim
Hochzeitsfest ausgezeichnet; sehr hübsch ist auch die Quadrille,
reizend das Menuett; vor allem aber interessieren die hoch¬
tragischen Momente in der Musik. Diese scheinen mir
Dohnanyis Stärke ganz besonders zu sein. Hoffentlich findet
er bald ein wirklich gutes Textbuch zu einer tragischen Oper,
die dann hervorragend ausfauen dürfte.
Daß ihm der Lustspielton bei weitem nicht so gut liegt,
in der „Tante Simona“ bewiesen.
das hat er — leider
Mir ist es direkt unbegreiflich, wie er sich zur Vertonung dieses
unglaublich harmlosen, jeder Eigenart entbehrenden Librettos
Iinen.