II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 268

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23. Der Schleier der Dierrette
aus:
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Der Tag. Berlin
APRIL 1915
ten und vertiefenden Darstellung der gequälten

Pierrette wie Elsa Galafrés sie gestern bot. Alles
was an Ballett oder die üblichen Ausdrucksmittel
gewandter Pantomimistinnen erinnern könnte,
J. K. Artur Schnitzler, der Meister des
wurde hier von einer erlesenen Darstellungskunst
Wortes, ist in dee knappen, drei Bilder umfassen¬
vornehmster Art verklärt. Die zwischen Verzweif¬
den Pantomime „Der Schleier der
lung und Seligkeit schwankende Stimmung bei
Pierrette“ dramatischer gewesen als in
dem letzten Zusammensein mit dem Geliebten, das
manchen seiner Werke, die nur durch ihren Dialog
Grauen vor der Erscheinung des Toten und die
zu fesseln vermögen. Was da in grellen und
grandiose Schlußszene, da Pierrette, schon von
manchmal gruseligen Effekten, nicht ganz frei von
Wahn umfangen, vor der Leiche tanzt und endlich
einem gewissen Kino=Beigeschmack, an dem Zu¬
tot zusammenbricht, bildeten die Höhepunkte dieser
schauer vorüberrauscht, darf wohl als ein ge¬
Leistung, die dem eigenartigen Werke zum Er¬
lungener Versuch auf dem Gebiete des musikalisch¬
folge verhalf. Man darf das Deutsche Schau¬
pantomimischen Dramas bewertet werden.
spielhaus, das sich die Künstlerin für die nächste
Aeußerlich betrachtet, ist alles krasse Handlung.
Spielzeit gesichert hat, aufrichtig beglückwünschen;
Pierrette entflieht, von der leidenschaftlichen Liebe
vielleicht versucht man es dort, ihr zuliebe ge¬
zu ihrem Pierrot getrieben, ihrem Hochzeitsfeste
legentlich mit der weiteren Pflege musikalisch¬
mit Arlechino und eilt zu dem verlassenen Ge¬
pantomimischer Werke, die getrost auch auf ange¬
liebten, um ihm das mitgebrachte Gift zu kreden¬
nehmere und liebenswürdigere Wirkungen aus¬
zen und gemeinsam mit ihm zu sterben. Nach
gehen können. Einar Linden als Pierrot war
kurzem Sträuben ist er bereit, aber nur ihm ge¬
Elsa Gelafrés ein fast ebenbürtiger Partner,
lingt es, den Trank mit einem kühnen Schluck zu
während der Arlechino des Herrn Heyer mir
schlürfen. Ihr entgleitet der Becher und sein
etwas steif und in all seinen Gefühlsäußerungen
Inhalt, und entsetzt erkennt sie, daß Pierrot
nicht recht überzeugend erschien. Die Inszenie¬
stirbt, ohne daß sie ihm zu folgen vermag..
rung hatte sich der Novität liebevoll und mit Ver¬
Das zweite Bild„führt uns zum glänzenden Hoch¬
ständnis angenommen, ohne freilich der wieder¬
zeitsfest, bei dem Arlechino, während die Gäste
holten Erscheinung der toten Pierrot auf dem
lustig tanzen, unruhig und ahnungsvoll seiner
Hochzeitsfest ein wahrhaft gruseliges Gepräge
. Schon beginnt er vor Zorn
Gattin harrt.
geben zu können.
über ihr Ausbleiben zu toben, die Instrumente
der Musiker zu zerschlagen und anderen Unfug
etwas
zu treiben, da erscheint Pierrette,
verstört zwar, aber bereit, vor dem Mann
und vor den Gästen Komödie zu spielen.
Sie bewegt auch endlich den zornigen Gatten, mit
1OAPR 1913“ Mitung see Zeitung
ihr zu tanzen, da aber taucht vor ihren Blicken
vom:
plötzlich die Gestalt des toten Geliebten auf, nicht
nigsberg i. Pr.
nur einmal, sondern wiederholentlich, und an
dem Ausdruck ihres Entsetzens erkennt Arlechino,
daß hier doch etwas nicht in Ordnung ist. Nun
plötzlich entdeckt er auch, daß sie ohne ihren Braut¬
Kunft und Wirtenschaft.
schleier kam, der zurück bei dem Toten blieb, und
just, da die arme Pierrette nach Erklärungen für
r. Dohnanyi als Komponist. Im Deutschen Opern¬
das Fehlen des Schleiers sucht, erscheint ihr wie¬
haus zu Charlottenburg kam Mittwoch Abend, wie uns
derum Pierrots Geist, um ihn ihr lockend zu zei¬
gedrahtet wird, der bekannte Klaviervirtuose Ernst von Dohnanyi
gen. Da nur ein Trugbild ihre Sinne narrt, ver¬
als Komponist zum Wort. Seine einaktige Spieloper „Tante
mag sie natürlich das Kleinod nicht zu erfassen,
und eilt dem entschwebenden Geiste nach, gefolgt
Simona“, die den Abend einleitete, wurde freundlich aufgenommen,
von ihrem Gatten. ... So betreten beide im
aber ein Erfolg war es trotzdem nicht. Zu einem hypernaiven
dritten Bild das Gemach des Toten, angesichts der
Schäferspiel, zu der Bekehrung einer männerfeindlichen Tante zu¬
Leiche entdeckt Arlechino schnell=den wahren Sach¬
gunsten einer nichtsweniger als gleichgesinnten Nichte, hat Dohnanyi
verhalt und nimmt furchtbare Rache an seinem
eine wagnerisch schwere Musik geschrieben, die trotz vieler Schön¬
Er
schleppt den Leichnam auf
Weibe.
heiten das harmlose Textbuch fast erdrückt.
— Einen großen
in
Pierrette
einen Sessel
und will
künstlerischen Erfolg bedeutet dagegen die dreiaktige Pantomime
dieser schauerlichen Situation zu Zärtlichkeiten
„Der Schleier der Pierrette“, die der Spieloper folgte. Sie
zwingen. Dann aber schließt er die Aermste mit
dem Toten ein, und nach einem wohl erklärlichen
ist nicht mehr ganz neu, hat vielmehr schon vor Jahren in Wien
Wahnsinnsanfall stirbt Pierrette zu den Füßen des
einen Erfolg erzielt. Arthur Schnitzler hat das etwas gruselige
Geliebten. Das alles ist kraß und grell aufein¬
Buch geschrieben. Hier erreicht die Musik Dohnanyis in den tragi¬
andergehäuft, aber aus den scheinbaren Aeußer¬
schen wie in den rein lyrischen Momenten eine ganz außerordentliche
lichkeiten klingen doch starke seelische Regungen
Höhe. Ein Zwischenaktsspiel schlug geradezu glänzend ein. Else
und psychologische Tragik hervor. Freilich bedarf
Galafrés=Huberman als Pierrette bot eine einzig schöne und
es, um das erkennen zu lassen, einer so vollende¬
besonders gelungene Leistung.
#.. Vanchftenter Gnethetheats- a..n