II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 279

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23 Der Schleien der Pierrette
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SIGNALE
No. 16. 16. April 13.
täuschung — abgewichen und lässt Gurnemanz und Parsifal zur Gralsburg
emporsteigen, während die Szenerie hinter einem leichten Vorhang wechselt.
Meinem Empfinden nach ist dieses „System“ durchaus akzeptabel. — Die Innen¬
architektur der Gralsburg erinnert an die altchristlichen Basilikentypen. Hier, wie
auch in den blühenden — nicht übertrieben üppigen — Landschafts- und starren
Gebirgspartien, hat Gamper wirkungsvolle Bilder geliefert. Klingsor’s Schloss
mit dem Turm ist eine düstere Stätte, ohne phantastisches Beiwerk.
Bei der Einstudierung des musikalischen Teils gingen die Orchester- bezw.
Chordirigenten, die Herren Max Conrad, Paul Krause, Alois Lanzer und Albert
Hengartner unter Dr. Lothar Kempter’s Leitung Hand in Hand. — Die Aufführung
erzielte eine tiefgehende Wirkung, dank dem ausgezeichneten Orchester, den vor¬
trefflichen Chören und Solisten. Wer von diesen in erster Reihe genannt werden
soll, is schwer zu entscheiden. Ein jeder hat das Charakteristische seiner Rolle
gut erfasst und vorzüglich ausgeführt. Frl. Emmy Krüger als Kundry, Willy¬
Ulmer als Parsifal, Karl Gritzbach als Gurnemanz, Wilhelm Bockholt als Amfortas,
Otto Janesch als Klingsor und August Stier als Titurel. Jedenfalls kann sich die
Direktion zu dieser Künstlerschar gratulieren, und wir Zuhörer danken ihr für den
unvergesslichen Abend. Ein extra Lob dem kunstsinnigen Oberregisseur Hans
Akosch Lägsle.
Rogorsch!
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Aus Berlin.
WLU
Das Charlottenburger Deutsche Opernhaus sollte in
Dohnányi als
der Auswahl von Novitäten besonders vorsichtig
Bühnenkomponist
sein. Einstweilen hat es den guten Willen der
ganzen Stadt, zehntausende opernhungriger Musikfreunde stehen bereit, das
mächtige Haus zu füllen ohne viel zu fragen, was gegeben wird und wer singt.
Diesen gesunden Opernhunger muss man den Leuten zu erhalten suchen, indem
man dafür sorgt, dass niemals ein Besucher mit dem Gefühl nach Hause geht,
er sei überhaupt nicht warm geworden, er sei nicht auf seine Kosten gekommen.
Was die Qualität der Darbietungen betrifft, so ist bislang wahrlich kein Grund
zu irgendwelcher ernsthaften Klage gegeben worden, im Gegenteil. manche
Erwartungen wurden noch übertroffen; wohl aber hat man sich Missgriffe
in der Auswahl des Repertoires zu schulden kommen lassen. Würde die Wahl
lediglich von der künstlerischen Qualität und der Geeignetheit des Werkes ab¬
hängig gemacht, dann wäre sie damals wohl kaum auf „Wieland der Schmied“ und
jetzt auf die beiden Dohnänyi'schen Stücke gefallen. Dass das Deutsche Opern¬
haus der Königlichen Hochschule räumlich so nahe liegt, gibt noch nicht hin¬
reichenden Grund dafür, des ersteren Bühne einem komponierenden Professor
der letzteren zur Verfügung zu stellen.
Dohnányi hat sich nicht bloss als Pianist einen Namen gemacht, es sind
ihm auch Instrumentalkompositionen geglückt. Eine prägnante Physiognomie
hat er zwar noch nirgends gezeigt, aber man darf seine Kompositionsgabe mit
gutem Gewissen als beachtenswert bezeichnen. Indessen, vom roten Opernblut
hat er auch nicht einen Tropfen in seinen Adern. In dem Einakter „Tante Simona“
den uns das Deutsche Opernhaus am letzten Mittwoch vorsetzte — muss
auch der Wohlwollendste schon nach der ersten Viertelstunde ungeduldig und
nach einer weiteren unwillig werden, denn zu einem über die Massen naiv¬
——
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