II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 280

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23. Der Schleiender-Bierrette
No. 16. 16. April 13.
SIGNALE
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törichten Text gesellt sich eine Musik, deren Bleichsüchtigkeit den Zuhörer in
die Stimmung trübster Hoffnungslosigkeit versetzt. Wie hohl und leer und
gemacht das alles klingt, sogar die Instrumentation! Und dabei bewies Dohnänyi
gleich darauf in der Pantomime „Der Schleier der Pierrette“, dass er sich unter
anderen Umständen auf's Orchestrieren versteht.
Gewiss, diese Pantomime steht sehr viel höher als die unmögliche „Tante
Simona“, aber hier hat ja auch ein Dichter, Arthur Schnitzler, das Stoffliche ge¬
#liefert. Nicht jedem musikalischen Menschen wird es gegeben sein, solch’ eine
Pantomime recht eigentlich zu geniessen, aber die „Pierrette“ von Schnitzler¬
Dohnänyi wird man immerhin als artistisch gelungen bezeichnen dürfen. Frei¬
lich, von irgendwelcher Dämonik, die der Stoff unbedingt verlangt, ist in der
Musik nicht ein Atom zu spüren. Den Wahnsinnstanz der unglücklichen Pierrette
vor dem Leichnam ihres Geliebten sieht und hört man sich daher mit behäbigem
Gleichmut an. Erschütterung der Seele? Ach nein! Auch gehört zu einer Pan¬
tomime, soll sie wirken, ein intimerer Raum. Ausserdem gehören richtige Panto¬
mimisten dazu. Nur ein einziger Darsteller, Einar Linden, der den Pierrot vor¬
züglich agierte, ist ein solcher Pantomimist, Frau Galafrès, die Pierrette, ist das
ganz und garnicht. Sie, die treffliche, gewandte Schauspielerin, wirkte zum:
grösseren Teil fast dilettantisch, da sie den Mund halten und tanzen musste.
Wenn die Gesangsleistungen in „Tante Simona“ schwächer waren, als
man sie je auf dieser Bühne vernommen hat, so liegt das doch nicht ausschliess¬
lich an der undankbaren Aufgabe, die der Komponist den Sängern gestellt hatte,
sondern z. B. beim Tenoristen Carl Waschmann, dem Vertreter der männlichen
Hauptrolle, an den fundamentalen Mängeln seines Singapparats. Es ist unrecht
„on der Direktion, solche schwache Gesangskraft an einen hervorragenden Posten“
August Sphnnen.
zu stellen.
Im Jahre, wo der 100. Geburtstag Richard Wag¬
Die neu einstu¬
ner’s gefeiert „werden soll, dürfte das musik¬
dierte „Walküre“ im
liebenge Purlikum der Reichshauptstadt doch
Köhigl.)Opernhause
Eehr# verlängen, als was die königliche Bühne
am 5. Aupind rcheuchfersierten „Walküre bot. Cleich wenn der „Nibelungen¬
vorhan huscnändergeht und das Innere von Hunding’s Hütte sichtbar wird,
gibt’s einen Sculzerider Enitäuschung. Warum den kaum so merkwürdig unruhig
gliedern, dass von Einem Bühnenbild in leicht fasslichen Zügen nicht die Rede sein
kann? Man liest das Szenarium nach und wundert sich, dass die Einzelheiten
stimmen. Die Wagner’schen Anweisungen sind also rezeptmässig befolgt worden,
ohne dass der Geist des Gesamtkunstwerkes interveniert hätte. Es gibt eben
auch unmusikalische Interieurs
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Nach Sieglinden’s Worten: „Ha,
wer ging? Wer kam herein?“ ging nämlich die Vernunft, und ein völlig sinn¬
loser Einfall kam herein. Man höre und staune: nicht die hintere Tür springt
auf, wie der Meister es vorschreibt; nein, die ganze Hinterwand der Hütte fällt
wie durch Zauberei auseinander, und der Lenz lacht nicht, sondern er grinst
über’s ganze Gesicht in den Saal. Gott schütze Wagner vor seinen Verbesserern!
Für den Schauplatz des dritten Aufzuges („Auf dem Gipfel eines Fels¬
berges“) gilt Achnliches wie für den ersten. Derselbe Mangel an Konzentration
macht sich geltend. Und diese Beleuchtungseffekte! Farben, wie sie der abend¬
liche Himmel oder das Mondlicht oder der Feuerzauber aufwiesen, kommen in
der Natur nicht vor. Man möchte meinen, dass sich die Phantasie des Be¬
leuchtungstechnikers an den Reizen von Oelfarbendrucken entzündet habe.