Inkognito lüftend, Beatricen seine Liebe gesteht, wird das Pärchen von Tante
Simona überrascht. Mittlerweile läßt sich aber die männerfeindliche Simona in
zärtlichem téte-à-téte mit ihrem alten Anbeter Grafen Florio ertappen, was einer
Preisgabe ihrer Grundsätze gleichkommt. Sie muß wohl oder übel verzeihen
und der Vorhang fällt über zwei Brautpaaren.
Leider fällt er nicht auch über einer guten Spieloper. Viktor Heindl hat
fadenscheinige Singspielsituationen aneinandergereiht und die im übrigen trefflich
gearbeitete und hübsch orchestrierte Musik Dohnänyis erfreut sich eines fatalen
Gedächtnisses für das, was adie anderns zu Zeiten, die gewesen sind, bei ähnlichen
Anlässen vorzubringen pflegten. Es gibt da eine schreckliche kleine &Erinnerungs¬
melodies in Form eines Schnellpolkafragments ... Aber man muß ja nicht alles er¬
zählen. Umsoweniger, als dieser bestrittene Dohnänyi von einem äußerlich höchst
erfolgreichen abgelöst wurde: Der Schleier der Pierrettes, Pantomime nach Arthur
Schnitzler, hat sehr gefallen.
Wenn man Musiker ist und Schnitzlerfreund obendrein, so möchte man
gern glauben, daß es die ausgezeichnete Pierrette der Frau Galafrès war,
die Glasstückchen gleich Brillanten funkeln machte, weil man sonst beinahe von
einer Wirkung ohne Ursache sprechen müßte. Pierrette stiehlt sich, bräutlich ge¬
schmückt, von ihrem ungeliebten Bräutigam Arlechino zu Pierrot fort. Dieser nimmt
die Abmachung, gemeinsam zu sterben, genau, indessen die plötzlich feige gewordene
Pierrette vor seiner Leiche vom Vertrage zurücktritt. Begreiflich, daß mittlerweile
Arlechino unter den versammelten Hochzeitsgästen Tobsuchtsanfälle bekommt. End¬
lich kehrt die verstörte Pierrette zurück. Nach etlichen gruseligen Erscheinungen
des seligen Pierrot ebrüllts Arlechino (mit Armen und Beinen natürlich): &Wo ist
dein Schleier, Pierrette?s Beide ab nach Pierrots Wohnung, wo sich der zerzauste
Schleier der Pierrette denn auch wirklich vorfindet. Der sadistische Arlechino arrangiert
nun mit der armen Pierrette ein fürchterliches Schäferstündchen, wobei der Tote in
der Divanecke lehnen muß. Ist das nicht zum wahnsinnig werden? Jawohl, und
Pierrette wird es auch. Eine getanzte Wahnsinnsarie beschließt die Pantomime.
Man traut seinen Ohren, pardon Augen nicht, daß der Feinsten einer, daß Arthur
Schnitzler jene knallige scène à faire ersonnen.
Und Dohnányi? Er gersinnte nur wenig — z. B.wäre ein stimmungsvolles Alla
marcia im ersten Bilde auszunehmen — ebesinnte sich aber umso nachdrück¬
licher auf Wagner, den er gleich in den Anfangstakten wörtlich zitiert, auf Richard
Strauß, der sittsam glattgekämmt erscheint, besinnt sich wegen des Altwiener
Milieus auf Johann Strauß. Satztechnik? Wieder famos. Instrumentation: Wieder
meisterlich. Dir aber, lieber lgor Stravinski, der du de Musik zu ePetruschkas ge¬
schrieben, bitte ich vieles ab. Auch dir fällt wenig ein, aber du hast doch wenigstens
den Mut zur zeitgemäßen Dissonanz.
Mit der Erstaufführung von Puccinis =Mädchen aus dem goldnen
Westens hatte das Deutsche Opernhaus ungefähr 14 Tage vor den Dohnänyischen
Premièren seinen ggroßen Abends. Puccini war anwesend, doch erschien an seiner
Stelle der treffliche junge Waghalter am Dirigentenpult. Man darf von einem
großen äußeren Erfolge sprechen, einem Erfolge, der, rund herausgesagt, in keinem
Verhältnis zum innern Wert des Werkes steht. Das amerikanische Verdikt, das
im Jänner 1911 im New-Vorker Metropolitan-Opernhause nach der Uraufführung
gefällt wurde, besteht zu Recht. &La fanciulla del Weste kann den Vergleich mit
gLa Bohèmes, &Toscan, Madame Butterflye und, meines Erachtens, selbst mit
cManon Lescauts nicht aushalten. Die teils blutrünstige, teils tränenselige Handlung
darf als bekannt vorausgesetzt werden. Sie würde jedem glndianerbüchels zum
Schmuck gereichen. Puccinis Musik ist invita Minerva erfunden. Man hat das
Gefühl: Puccini liebte den Stoff nicht, den er da in Musik setzte. Und das
Ein hübscher melodischer
kann man ihm schließlich auch nachfühlen
Einfall tritt im cHeimwehlieds (erster Akt) auf den Plan. Dieses Lied wird über
einförmig pendelnden Bässen von einem Goldgräber angestimmt, der sich vor Sehn¬
sucht nach seiner Heimat verzehrt. Am Schiuß der Oper, dem man übrigens eine
gewisse stimmungtreibende Kraft nicht absprechen kann, kommt diese Weise als
Erinnerungsmelodies wieder zum Vorschein. Melodisch auf kärgliche Rationen ge¬
setzt, horcht der Musiker um so erwartungsvoller auf das, was der Harmoniker
Puccini im cMädchens vorbringt. In dem Maße wie man gewisse Neufranzosen
näher kennen lernt, verliert Puccinis Harmonik den Nimbus der Ursprünglichkeit.
Die Einwirkungen der Debussy, Ravel und des in deutschen Landen ziem¬
lich unbekannten Florent Schmitt sind in Puccinis neuester Partitur mit
Händen zu greifen. Die Ganztonskala und wie es scheint auch defektive Skalen
werden stark ausgenützt. Aber das sind eben alles nur Würzen, von denen man
nicht satt wird. Ganze Partiturseiten ruhen, was ihre musikalische Substanz betrifft,
auf ein paar sequenzierenden Motivchen. Man hört wohl viele kurze melodische
Atemzüge, aber fast nirgends ein tiefes Atmen aus melodisch geschwellter Brust.
Die Aufführung verdient Lob. Besonders Kirchner bot in der Tenorrolle des
geknickten Gauners Ramerrez Vortreffliches. Das begabte Fräulein Stolzenberg
gab sich um die Titelpartie (Minnie) alle Mühe. Das Schlußbild mit der beschneiten
Sierra in der Ferne war eine Sehenswürdigkeit.
Für heute nur ein einziges Streiflicht über die Wogen unseres Konzert-,
lebens, die jetzt endlich, endlich geebbt haben. Siegmund von Hausegger dirigiepté
die fünfte Symphonie von Bruckner. Was sage ich? Dirigiert? Zelebriertfhuß
es heißen. Das Publikum dankte dem begeisterten und begeisternden Bpickner„Kpostel
in enthusiastischer Weise.