II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 292

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23. Der Schleiender- Pierrette
n Irrenhause zugrunde gehen mußte, wollte über die Schmach der Strafe hinwegkommen, seine Kollegen ein nachahmenswertes Beispiel liefern
können. Es ist gut, daß diese Schauspielerin, eine
stlerdrama schreiben. Den Konflikt dachte Tochter, die dem eifersüchtigen Vater schon den
Tochter des Wiener Burgtheaterdirektors, unserer
istellen, in den ein genialer, aber auch un= Bräutigam hat opfern müssen, zerbricht daran. Als
Königlichen Bühne erhalten bleibt, wenn man auch
sner und zuchtloser Kunstler gerät, wenn er Veit Stoß vom Pranger in seine Werkstatt zurück¬
schwerlich hoffen darf, daß um sie herum so bald ein
kehrt und von seinem Werke herab den tröstenden
den starren bürgerlichen Rechtsgrundsätzen
regeneriertes Ensemble erwachsen wird, in dem sie
Segen einer letzten Entfühnung auf sich hernieder¬
on Patrizierhochmut verwalteten Vaterstadt
nicht mehr als Einsame und Fremde dasteht.
fließen fühlt, bringen ihm stumme Männer auf
em Schaffensdrange jämmerlich gehemmt
Auf seiner Suche nach feineren französischen
triefender Bahre den Leichnam seiner Tochter, den
d aus dem Kerker der Untätigkeit keinen
sie im Morgengrauen aus der Pegnitz gefischt haben. Lustspielen die sich einigermaßen mit dem Sinn und
Ausweg findet als den, der über Sünde und
Geist des Hauses vertragen, sind die Kammerspiele
Da erst fühlt sich Veit Stoß gerichtet und verworfen
en geht. Dieser Bildschnitzer, der schon zu¬
Krakau unsterbliche Werke schuf, erschwindelt von einer Macht, gegen die es keinen Appell mehrlauf Sacha Guitry, den Sohn des berühmten
Pariser Darstellers, verfallen. Sie dürfen sich bei
gibt. Er greift zum Dolche und bricht über die
Nürnberg den Auftrag zu einem großen
dieser Eroberung wenigstens mit der Genugtuung
Leiche seines Bärbele entseelt zusammen.
kenkranz, bildet dann aber, erst einmal in
trösten, daß dessen Lustspiel „Die Einnahme
Das dramatische Handwerksgeschick dieses jungen
t der Arbeit, etwas so Schönes, Reines und
von Bergop Zoom“ zur Hälfte auf die derben
Schriftstellers ist unverkennbar. Er hat Theaterblut
s, daß kein menschliches Auge einen Flecken
und unverfrorenen Schwankmotive verzichtet, an die
in den Adern und weiß auf dem vieltönigen Instru¬
nde zu entdecken vermag, die doch an dem
wir denken, wenn von modernen Pariser Komödien
ment der Bühne geschickt zu spielen. Einmal, in der
llebt. So wächst in ihm der Glaube, alle
die Rede ist. Der historische Titel, der Geschichte der
Gerichtsszene, bricht sogar ein starkes echtes Gefühl
he Schuld sei mit der Vollendung dieses
Niederlande entnommen, ist freilich nur eine
mit behementer dramatischer Kraft aus ihm hervor,
getilgt und keine von den Ehren, die ihm
so daß man eine ehrliche Erschütterung spürt. Im papierene Attrappe. Weder der Graf Loewendal,
ikommen, dürfe ihm gekürzt werden. Das
übrigen freilich ist dieser junge Mensch, in dem sich der die Festung bezwang, noch von den hartnäckigen
und das unbeugsame Recht der Stadt
Verteidigern kommt einer auf die Szene. Der Held
philologische Realitätenkunde merkwürdig mit
s anders. Der Betrug des Künstlers wird
ist vielmehr einer jener Pariser Polizeikommissare
dramatischem Temperament mischt, noch zu sehr
kt, er wird, nachdem er sich eine Weile dem
mit der rot=weiß=blauen Binde, die wir bereits hin¬
Sklave theatralischer Außerlichkeiten, und unter der
zu entziehen gesucht hat, vor ein hoch¬
a
länglich als elegante Lebemänner kennen, und seine
schweren Wucht des Apparates, den er mit Totschlag,
liches Halsgericht gestellt und zu entehrender
Partnerin trägt noch selbstverständlicher den Trau¬
doppeltem Selbstmord und Hochgericht in Bewegung
strafe verurteilt. Vergebens hat er den
ring eines andern am Finger. Und wenn auch bei
des Rats mit all der leidenschaftlichen In-setzt, leidet empfindlich die Entwicklung des inneren
Sacha Guitry alles ein wenig anständiger und mora¬
eines gottbeseelten Schöpfers entgegen=Konfliktes, die in der Seele des Künstlers, Bürgers
und Vaters feiner und zugleich offensichtlicher sichlischer zugeht als bei Bisson oder Feysdeau, so
daß er im Innersten seines Herzens vom
wissen wir doch bald ebenso sicher wie bei jenen, daß
abspielen müßte als es bei so viel Tumult der
selber Vergebung für sein Vergehen emp¬
Charles und Paulette zu ihrem Ziele kommen
Szene geschehen kann.
habe, wie hätte Gott ihn sonst dieses stolze
Dabei hätte man sich denken können, daß dieser werden. Nun ist da aber ein hübscher Einfall, der
hume Werk so schlackenlos vollenden lassen
es bei aller Kürze zustande bringt, die ganzen vier
immerhin hoffnungsvolle Anfänger von einer ver¬
Die Ratsherren bleiben ungerührt, aber
Akte zu durchleuchten und, da ein feiner pointierter
t Stoß schnellt wieder empor in dem Be-ständnisvolleren Regie und Darstellung hätte unter¬
Dialog herumgeschrieben ist, auch ein wenig zu er¬
stützt sein können, als das Schauspielhaus sie ihm
daß all die Demütigung, die ihm da zu¬
zerstäuben muß vor der innern persön=Igönnte. Kraußneck als Veit Stoß war von An-wärmen. Die Sache ist die: Der Polizeikommissar
ewißheit, ein über dem irdischen Gesetz fang an viel zu aufgeregt, als daß man tiefer in bringt es nach monatelangen vergeblichen Be¬
Künstler zu sein. Doch das Schicksal weiß seinen Seelenkampf hätte hineinblicken können, und mühungen zuwege, daß Madame Paulette ihn —
ahnungslos, mit wem sie es zu tun habe — in seiner
och zu treffen. Nicht bei sich selber, den der von den nicht unwichtigen Nebenrollen fanden nur
Wohnung besucht. Und da erzählt er ihr die Ge¬
wenige eine Interpretation, die tieferen als theatra¬
verwundbar gemacht zu haben scheint, son¬
schichte vom Grafen Loewendal und der hartnäckigen
lischen Ehrgeiz kannte. Ein Ehrenkränzlein aber
dem Liebsten und Teuersten, was seine
niederländischen Festung, erzählt sie so charmant, so
muß auf das schlichte Blondhaar unserer Helene
zartesten Winkel seines Herzens vor der
[Thimig gesetzt werden Sie gab das Bärbele mit liebenswürdig, so artig, so bestrickend, so vertrauen¬
t und pflegt: in seiner Tochter Bärbele, die
iiner effektlosen Einfachheit und Selbstverständlich= erweckend, daß Paulette an dieser Ritterlichkest
fährtin und Beraterin, angebetetes Modell
allem Großen und Schönen inspirierende keit einer empfindungsstarken Natur, die alles von langsam, langsam zu schmelzen beginnt. Ja, als er
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Der Mann und Künstler Veit Stoß konnte innen herausholt, und hätte so manchem kontinierten