II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 295

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23. Der Schleiender-Pierrete
die vielbegehrte „persönliche Note“, so bleibt) Regsam
den Qualen und Wehen des Schaffenden, der
Richarc
uns hier wenigstens auch der Anblick der
mit dem Stoff ringt. Vollendet springt aus
Ausnah
Nervenzuckungen, der Verdrehungen bei einer
seinem Haupt das Geschöpf wie weiland Pallas
wohlgel
Sisyphusarbeit erspart. Und neben dem Kenner
Athene aus dem Jupiters in voller Rüstung her¬
stellten
des Musikdramas verleugnet sich nicht der
vor. Mit kalter Hand formt und bildet er, unter
und Ha
aus Ungarn stammende naive Musiker: der
dem sicheren Geleit eines Kunstverstandes, der
die Dre
Walzer profitiert davon, und der dirigierende
in der Musikliteratur heimisch ist. Von selbst
und Vo
Komponist wußlte — für den Argenblick — zu
Vergibt sich so ein Hinauswachsen der Form
Stufe.
zünden. Es ist Zeit, sich von lem Werk zu
über den Inhalt. Ist er so dürftig wie in der
„Rigole
verabschieden. Aber ich dar s nicht tun,
Spieloper „Tante Simona“, die den Abend er¬
von Ba
ohne der Ausstattungsreize zu gedenken, die
öffnete, dann kann es sogar passieren, daß all¬
sich die
auch an diesem Abend überraschten.
zuschweres musikdramatisches Geschütz aufge¬
musika
Dort ein fieberhaftes Streben zu Wagner hin,
fahren wird und die spielerische Absicht vereitelt.
beachtif
hier, im Königlichen Opernhause, ein
Aber selbst hier sind Risse nicht wahrzunehmen,
reiche
majestätisches (nur durch Kopschs Unkenruf
ein Kundiger arbeitet geschickt mit dem durch die
und d
gestörtes) Sichversenken in die reiche Wagner¬
Vorfahren angehäuften Material. Die Auf¬
heraus,
erbschaft. Die ächzende Arbeit des Meisters
Fregungen dieser Spieloper, in dem einer milden
Werk
am „Ring“ findet hier ihre Parallele. Ja, das
Liebe für alle Lebensalter das Wort geredet
Kapelli
ist Stil. Unser gerechter Unmut über das Hof¬
wird, sind auch für höhere Töchter noch zu
den be
bühnentempo wird gedämpft durch eine Neu¬
Vertragen. Weniger für feinere Ohren, denen
Ottze
studierung der „Walküre“ die sehr würdig
sowohl das Orchester unter Rudolf Krasselt
Intellig
zu nennen ist. Wenn es Wagner gilt, spitzen
wie der problematische Gesung der Darsteller
Mitglie
wir die Ohren. Wie viel klingt noch in uns an?
peinliche Augenblicke verursachte. Freilich
Das Problem läßt uns den ganzen Abend nicht Bühne
war die geradezu sensationelle Abwesenheit
Es fesselt uns mindestens so sehr wie lieren
von Kantilenen nicht ganz unschuldig daran.
die Aufführung. (Den Niederschlag der zwie- Ausgen
Mizzi Fink vermochte aber wenigstens durch¬
spältigen Gefühle festzuhalten, würde ein Kapi-Idramat
zudringen. Man nennt das Intimität der Wir¬
Ball ist
für sich fordern.) Der Hauptreiz dieser
kung. Das war ein Moderato; das Allegro
„Walküre“ liegt im Szenischen und, genauer auch de
wurde uns im „Schleier der Pierrette“ be¬
gesagt, im zweiten Akt. Wie von der Todes-Ispiele
#schert, in dem der Mund schwieg, und nur
verkündigung an bis zum Walkürenritt (der un- Iliner C
Gliedmaßen und Mienen zu reden hatten: Panto¬
sichtbar bleibt) die Wolken ziehen, sich unbeil-Saison
#mime in drei Akten von Artbaggchigzier.
voll zusammenballen und die Bühne ins Dunkel
Es ließe sich eine Wahlverwandtschaft zwiseer—
tauchen, das ist groß, ja nicht zu überbieten.
dem Dichter, dem immer formvollendeten, und
Wir vergessen darüber mancherlei weniger Ge¬
dem Musiker entdecken. Nur daß eben Musik
glücktes wie das durch einen Vorhang gezähmte
als Sprache der Seele ihren Wert da verliert,
Ungestüm der Tür im ersten Akt, das Roß des
wo die Wortkunst eines geistreichen Menschen
Wotan und den allzuwenig imposanten Wal¬
uns noch immer im Banne hält. Nimmt man
kürenfelsen, Ich versuche ganz wagnerisch zu u
die geistige Enge des Musikers hinzu, so springt
empfinden. Da erscheint mir als idealer Voll¬
die Uberlegenheit des Dichters heraus. Hier
strecker seines Willens Paul Knüpfer, der
hat er aus seiner schönen Renaissanceballade
Hunding, fest umrissen, groß und vornehm im
„Der Schleier der Beatrice“ ein stummes Spiel
aitt aus:
Klang, scharf im Akzent, in jeder Silbe ver¬
gemacht. Im Grunde sind mir Pantomimen mit
Die Musik, Berlin
ständlich. An dieses Maß reicht keiner heran;
Musik unbehaglich. Aber man mochte diesmal
0-
der Wotan Baptist Hoffmanns, musikalisch
M4
Adas Pantomimische als eine Redikalkur betrach¬

sicher, doch klein an Wuchs, braucht sich
dten, nachdem man eben fast nur unartikulierte
in seinem Pantoffelheldentum glücklicherweise
DERLIN: Mien wird, so scheint es, in dieser Laute aufgefangen hatte. Hier läßt die Hand¬
nicht gegen eine junonische, sondern nur gegen
7D jahre über mangelnde Betriebsamkeit unsererl lung an Deutlichkeif nichts zu wünschen übrig.
eine gut bürgerliche Fricka zu benaupten: es
Opernbühnen nicht zu klagen haben. Wagner Sie ist kinereif. Aber die arme Pierrette, die
ist die Arndt-Ober, an deren prächtigem Stimm¬
ist vor dreißig Jahren gestorben, vor hundert von dem Bräutigam Arlecchino in den Wahn¬
klang man seine Freude hat. Sieglinde ist durch
geboren; der Kaiser nun ein Vierteljahrhundert sinn getrieben wird, diese in den Tod tanzende
Lilli Hafgren-Waag angenehm verniedlicht,
Pierrette könnte eine leise Erschütterung auch
am Staatssteuer. Drund genug, um die Opern¬
und der Walküre nimmt Frau Kurt zwar die
bei feiner Empfindenden hervorrufen. Hier hätte
leidenschaft in heftigste Bewegung zu versetzen.
Reize des dritten Geschlechts, wahrt ihr aber
die unbeschreibliche Anmut, die mimische Aus¬
Hierzu kommt im Deutschen Opernhaus
die des zweiten sehr nachdrücklich mit einem
drucksfahigkeit und die musikalische Rhythmik
eine Bühne, die den Drang hat, sich bis zu
schönen Zusammenklang von Können, Stimme
einer Pawlowa ein kleines Wunder schaffen
Wagner anständig durchzutasten und dann an
und Weichheit. Das alles ist nicht monumen¬
ihm zum Olymp emporzuklimmen. Zu den können, wo Elsa Galafrès uns bei einer acht¬
tal, aber durchaus allnehmbar und im Sinne 1
Episoden dieses Theaters gehört auch ein baren Leistung mit ihren stereotypen Gesten
Leo Blechs, der die granitene Plastik und
einen Teil der Psychologie schuldig blieb. Der
Dohnányi-Abend mit zwei Einaktern. Ein¬
Breite der Feinheit und Beweglichkeit opfert.
frühe Tod des Pierrot — Einar Linden — war
akter sind für den Bühnenbetrieb unpraktisch;
Unmöglich nur ist der Siegmund Bergers.
schon darum zu bedauern, weil er den inter¬
sie müßten denn ein unzertrennliches, kräftiges
Dieser Tenor, den ich als Bariton schätzte, be¬
essanteren Künstler für diesen Abend aus dem
Paar bilden. Wo aber sind solche Paare zu
reitet mir physische Schmerzen von der ersten
Bühnendasein abberief. Hier stieg übrigens
finden? Bei Dohnányi gewiß nicht. Der be¬
Note an; die schlimmsten, wo er lyrisch,
Dohnányi zu einer gewissen Höhe auf. Man
rühmte Pianist und der emsige Komponist haben
geringere, wo er beldenhaft ist. Und dabei ge¬
verachte sie nicht, die leichte Hand, die virtuos
zweierlei gemein: erstaunliche Fertigkeit und
stehen zu müssen, daß dieser Gewaltakt von
Farben mischt, immer die Anschlüsse findet;
Formgefühl und einen ebenso erstaunlichen
langer Hand vorbereitet und sorgsam durchge¬
nicht den beweglichen musikalischen Geist, der “
Mangel an Wärme. In Dohnányi fehlen die vul¬
Adolf Weißmann
führt war.
kanischen Kräfte, also auch die Entwicklungen. mit starker Beherrschung das Wirksame auß
OHENNITZ: Die zweite Hälfte des Musik¬
Er experimentiert nicht, er leidet nicht unter greift und das Triviale meidet. Fehlt zuletzt
* winers sah unsere Bühne in erfreulicher b