II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 297

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23. Der Schleiender-Pierrette
poneriner Local Anzeiger
en und vertiefenden Darstellung der gequälten
Pierrette wie Elsa Galafrés sie gestern bot. Alles
was an Ballett oder die üblichen Ausdrucksmittel
gewandter Paniomimistinnen erinnern könnte,
J. K. Artur Schnitzlaumder Meister des
wurde hier von einer erlesenen Darstellungskunst
Wortes, ist in dern drei Bilder umfassen¬
vornehmster Art verklärt. Die zwischen Verzweif¬
den Pantomime „Der Schleier der
lung und Seligkeit schwankende Stimmung bei
Pierreite“ dramatischer gewesen als in
dem letzten Zusammensein mit dem Geliebten, das
manchen seiner Werke, die nur durch ihren Dialog
Grauen vor der Erscheinung des Toten und die
zu fesseln vermögen. Was da in grellen und
grandiose Schlußszene, da Pierrette, schon von
manchmal gruseligen Effekten, nicht ganz frei von
Wahn umfangen, vor der Leiche tanzt und endlich
einem gewissen Kino=Beigeschmack, an dem Zu¬
tot zusahmmenbricht, bildeten die Höhepunkte dieser
schauer vorüberrauscht, darf wohl als ein ge¬
Leistung, die dem eigenartigen Werke zum Er¬
lungener Versuch auf dem Gebiete des musikalisch¬
folge verhalf. Man darf das Deutsche Schau¬
pantomimischen Dramas bewertet werden.
spielhaus, das sich die Künstlerin für die nächste
Aeußerlich betrachtet, ist alles krasse Handlung.
Spielzeit gesichert hat, aufrichtig beglückwünschen;
Vierrette entflieht, von der leidenschaftlichen Liebe
vielleicht versucht man es dort, ihr zuliebe ge¬
zu ihrem Pierrot getrieben, ihrem Hochzeitsfeste
legentlich mit der weiteren Pflege musikalisch
mit Arlechino und eilt zu dem verlassenen Ge¬
pantomimischer Werke, die getrost auch auf ange¬
liebten, um ihm das mitgebrachte Gift zu kreden¬
nehmere und liebenswürdigere Wirkungen aus¬
zen und gemeinsam mit ihm zu sterben. Nach
gehen können. Einar Linden als Pierrot war
kurzem Sträuben ist er bereit, aber nur ihm ge¬
Elsa Gelafrés ein fast ebenbürtiger Partner,
lingt es, den Trank mit einem kühnen Schluck zu
während der Arlechino des Herrn Heyer mir
schlürfen. Ihr entgleitet der Becher und sein
etwas steif und in all seinen Gefühlsäußerungen
Inhalt, und entsetzt erkennt sic, daß Pierrot
nicht recht überzeugend erschien. Die Inszenie¬
stirbt, ohne daß sie ihm zu folgen vermag.
rung hatte sich der Novität liebevoll und mit Ver¬
Das zweite Bild,führt uns zum glänzenden Hoch¬
ständnis angenommen, ohne freilich der wieder¬
zeitsfest, bei dem Arlechino, während die Gäste
holten Erscheinung der toten Pierrot auf dem
lustig tanzen, unruhig und ahnungsvoll seiner
Hochzeitsfest ein wahrhaft gruseliges Geprige
Gattin harrt.
Schon beginnt er vor Zorn
geben zu können.
über ihr Ausbleiben zu toben, die Instrumente
der Musiker zu zerschlagen und anderen Unfug
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treiben, da erscheint Pierrette, etwas
verstört zwar, aber bereit, vor dem Mann
und vor den Gästen Komödie zu spielen.
Sie bewegt auch endlich den zornigen Gatten, mit
ihr zu tanzen, da aber taucht vor ihren Blicken
plötzlich die Gestalt des toten Geliebten auf, nicht
nur einmal, sondern wiederholentlich, und an
dem Ausdruck ihres Entsetzens erkennt Arlechino,
daß hier doch etwas nicht in Ordnung ist. Nun
plötzlich entdeckt er auch, daß sie ohne ihren Braut¬
schleier kam, der zurück bei dem Toten blieb, und
just, da die arme Pierrette nach Erklärungen für
das Fehlen des Schleiers sucht, erscheint ihr wie¬
derum Pierrots Geist, um ihn ihr lockend zu zei¬
gen. Da nur ein Trugbild ihre Sinne narrt, ver¬
mag sie natürlich das Kleinod nicht zu erfassen,
und eilt dem entschwebenden Geiste nach, gefolgt
von ihrem Gatten. ... So betreten beide im
dritten Bild das Gemach des Toten, angesichts der
Leiche entdeckt Arlechino schnell den wahren Sach¬
verhalt und nimmt furchtbare Rache an seinem
Weibe.
schleppt
den Leichnam auf
einen Sessel und will Pierrette
dem feurigen Herzen unr dem lockren Sinn, und
dieser schauerlichen Situation zu Zärtlichkeiten
die Vorliebe für allerhand Musikanten, Geiger,
zwingen. Dann aber schließt er die Aermste mit
dem Toten ein, und nach einem wohl erklärlichen
Klavierspieler usw. Anderes freilich schmeckt
Wahnsinnsanfall stirbt Pierrette zu den Füßen des
wieder eher nach einem handfesten Kino¬
Geliebten. Das alles ist kraß und grell aufein¬
Schreiber, als nach dem feinsinnigen Wiener
andergehäuft, aber aus den scheinbaren Aeußer¬
Poeten. Z. B. das dreimalige Erscheinen des
lichkeiten klingen doch starke feelische Regungen
toten Pierrot beim Hochzeitsmahl, der Tanz der
und psychologische Tragik hervor. Freilich bedarf
Pierrette um den toten Geliebten und vor allem
es, um das erkennen zu lassen, einer so vollende¬
das krasse Hineinplatzen walzerseliger Freunde
und Freundinnen in die düstere Todesstimmung.
Das wohlerzogene Publikum der Charlotten¬
eee, Weoratwim, Gt. reiefsbüffg gasir.

burger Oper enthielt sich bei dieser Häufung er¬
(Guelienongehe ang #irfe) am Mittag,
Serlit
schrecklicher Moritaten des erwarteten ironischen
AUb:
Lachens und spendete der ausgezeichneten dur¬
stellerischen Leistung der Frau Elsa Galafrés
lebhaften Beifall. Uohrigens ist hier auch die
APRIL 19.2
Musik etwas abwechslungsreicher, als in „Tante

Simona“. Außer dem Sieglinde=Motiv aus der
Mit ganz anderen Mitteln sucht die darauf¬
„Walküre“ und dem Schicksalsthema aus „Car¬
folgende Pantomime in drei Bildern: „Der
men“ fallen Dohnänyi ein paar markante
Schleier der Pierrette“ zu wirken. Der
Phrasen ein, z. B. das Todesmotiv, das scharf
Stoff ist einer ungenannen Novelle des Pandello
in die Handlung einschneidet wie ein Schwert,
entnommen, wo ein ## trogener Ehemann den
das Liebesthema und mehrere Tanzszenen im
Geliebten seiner Frau tötet und die Ungetreue
2. Bild. Brillant ist auch in diesem Stück das
mit dem Toten zusammen einmauern läßt, damit
Orchester behandelt, das der Komponist mit Ge¬
sie ihn für immer hat. Diese etwas kurz ange¬
schicklichkeit persönlich leitet. Die geschmackvollen
bundene Handlungsweise des betrogenen Gatten,
von Arthur Schuller in das Wiener Kostüm
hat der begabte Gustav Wunderwald ent¬
von 1860 gesteckt, wirkt unter modernen Menschen
worfen.
Erich Urban,
fast komisch. Sonst findet man manches vom
Dichter der „Liebelei“, das süße Mädel, das von
der Hochzeit mit dem ungeliebten Mann zum
Schatz läuft, den verliebten jungen Mann mit 1