II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 313

abgerissene Sätze aus den letzten Kritiken. Die Zeit ist nicht mehr
sern, wo in elektrischen Lettern von den Hausgiebeln anstatt
„Raucht Manoli!“ uns entgegenleuchten wird: „Hört Antonio
Tastenklopfer!“
Seine feurige Reklame hatte Lambrino nicht viele Hörer
eingebracht. Man hat den Kammermusiksaal selten so schwach
besetzt gesehen. Bekanntlich ist seine Akustik in diesem Zustande
des Nichtgefülltseins sehr wenig angenehm, und bekanntlich packt
Lambrino recht derb zu. So war das klangliche Resultat nicht
immer erfreulich. Man hatte oft den Eindruck, als würde
andauernd ohne Dämpfung gespielt, so schlugen die Klänge durch¬
einander. Lambrinos Art, gleichmütig und fest das Klavier zu
schlagen, kann unter Umständen etwas sehr Angenehmes haben.
Seine Kühle kann wohltun, seine Herzhaftigkeit erfrischen. Man
erinnert sich mancher Abende, wo das der Fall war. Diesmal
grenzte der Gleichmut an Gleichgültigkeit. Auch diesen liebens¬
würdigen Künstler scheint der Kunstgeschäftsbetrieb in seine Krallen
bekommen zu haben. Er eilte, kam mit Einsätzen zu früh, ließ
kleine Nötchen unter den Tisch, oder vielmehr den Flügel fallen,
ließ prägnante Rhythmen durcheinanderwackeln, klopfte hart und
ohne gute Bindung zarte Kantilenen herunter, sodaß man sich
schließlich unmutig abwandte. Doch hörte man auch Gutes von
ihm. Groß und einfach gestalteten sich ihm das Thema und die
ersten Variationen von Schumanns Etudes symphoniques. Das
war guter echter Lambrino, wie wir ihn kennen. Daß er uns
dieses herrliche Variationenwerk Schumanns, von den Brahmsens
Klaviervariationen so recht eigentlich die Kinder sind, wieder?
einmal spielte, sei ihm gedankt. Das übrige Programm enthielt
außer ein Paar Sachen, die alle spielen, als wertvolle Gabe
Bramhmsens„F=Moll=Sonate.
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Dreriater Shaunfeichuns.
„Der Schleier der Pieette“
Unsere Zeit wendet sich von neuem, einem, lchtge, berachteten Kunst¬
zweige zu, der Pantominy'. Biskvor kurzem hatte dieses Wort noch
den Beiklang des Niederen, künstlerisch nicht Vollwertigen. Man glaubte
nicht daran, daß die Geste allein starke Kunstwerte vermitteln könnte.
Nun ist ihr die neuere Musik mit ihrem starken Bedürfnis zu illustrieren,
Seelenzustände und auch Vorgänge nachzumalen, entgegengekommen.
Die Renaissance der Tanzkunst, wie sie sich in letzter Zeit anzubahnen
beginnt, ist dem wieder von neuem entdeckten Genre ebenfalls günstig
gesinnt. So ist es nicht verwunderlich, wenn man oft und oft davon hört,
daß namhafte Komponisten Tanzpoeme und Pantomimen, kurzum
dramatische Werke, die die menschliche Stimme ausschalten und allein
die Ausdrucksmittel des Körpers verwenden, zum Vorwurf ihrer musi¬
kalischen Schöpfungen gemacht haben. Debussy ist unter ihne, neuer¬
dings ist auch Richard Strauß im Begriff zu ihnen überzuge en. Im
Schauspielhaus sah und hörte man um Sonnabend eines der besten Werke
auf diesem Gebiet. Es ist „Der Schleier der Pierrette“ von Arthur
Schnitzler mit der Musik von Ernst von Dohnanyi. Als aus¬
gezeichneter Pianist und nicht minder erheblicher Komponist hat der
Ungar Dohnanys längst einen geachteten Namen. Er wirkt als Professor
des Klavierspiels an der Königl. Musikhochschule in Berlin. Dieses sein
Werk ist jetzt an die vier Jahre alt. 1910 fand an der Dresdener Hofoper
die unvergleichlich glänzende Uraufführung unter Leitung Ernsts von
Schuch statt. In Dresden ist es in diesem Winter wieder in den Spiel¬
plan aufgenommen worden. Berlin hat die Pantomime im Charlotten¬
burger Deutschen Opernhause unter Leitung des Komponisten erlebt
mit Ella Galafres in der Hauptrolle. Auch im Auslande, in Kopenhagen
und Budapest hat es starke Erfolge zu verzeichnen gehabt.
Schnitzler hat dies vorzügliche Buch seinem Drama „Der Schleier
der Beatrice“ nachgedichtet. Wie es die Pantomime verlangt, hat er
alles Beiwerk weggelassen und nur die nackte Handlung oder vielmehr
nur ein Stück aus der reichen Handlung des Wortdramas heraus¬
gegriffen und frei umgestaltet. Aus dem italienischen Renaissancemilien
ist Wienerische Biedermeierzeit geworden, hauptsächlich wohl, um dem
Komponisten reiche Möglichkeit des Zeitkolorits zu geben, ihm die Ein¬
führung von Tänzen dieser uns näher liegenden Epoche zu gestatten. Um
aber doch den Abstand streng zu betonen, um jeden eigentlichen Rea¬
lismus von vornherein auszuschalten in einer Kunst, die streng stilisieren,
streng das Typische geben muß, hat er aus der alten italienischen Panto¬
mime die Namen und Personen entlehnt. Wir finden Pierrot, Pierrette,
und Harlekin. Zwei Männer und ein Weib, das ist das alte und doch immer
wieder neue Thema auch dieses dramatischen Konflikts. Pierette und
Harlekin tragen die Kostüme ihrer Zeit. Pierrot dagegen kommt in einem
Kostüm, das das Zeitgemäße mit dem Zeitlosen eint. Sein Biedermeier¬
frack ist weiß, und weiß zu dem üblichen schwarzen Käppchen ist sein
Gesicht. Es ist das sehr sein erwogen aus ästhetischen Gründen heraus.
Denn dieser Pierrot muß später als — Toter seine Rolle spielen.
Der junge Pierrot und die junge Pierrette lieben einander. Doch
sie muß den Eltern folgen und den griesgrämigen Harlekin zum Manne
erwählen. Von der Hochzeit weg läuft sie in Brautgewand und
in Brautgel
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