II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 325

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23. Der Schleiender-Bierrette
Säohsincne Staate ötg. Dresden.
d. 5.6.1925
S
nur Wort und Wortdialog zu übersetzen vermag:ktiefleidenden Pierret merkt man die Identitä:
Kunst und Wissenschaft.
die wahre szenische Handlung entsteht, eine Hand- mit dem libellenhaft=leichten Maraéquino aus
lung, bis an den Rand gefüllt mit seelischer Be=„Giroslé=Girosla“ nicht an und Boris Ferdi¬
wegung, die sich in der selbsterzeugten Geste Aus¬
„Der Schleier der Pierrette“.
nandofss herrisch=wilder Harlekin scheint nichts
druck und Befreiung schafft.
Gastspiel des Moskauer Kammer¬
mehr gemeinsam zu haben mit dem sauften Boris
Tairoffs Pantomime ist etwas grundsätz¬
in Ostrowskis „Gewitter“. Wunder Tairoffschei
theaters.
lich Anderes als das
Ballett,
als
die
Verwandlungskunst!
Tairoffs Inszenierungskunst ist ihrem liefsten
Zirkuspaniomime.
Sie will auch nicht
Natuigemäß heirschten im einzelnen und in
Wesen nach pantomimisch. Also ist die reine
Wiederbelebung der antiken Pantomime, des
Gruppenspiel russische Typensormung und russische
Pantomime die ihr gemäßete Ausdrucksform.
theatralischen Urkerns der Dionysos= und Krischna¬
Gesellschaftstradition vor; namentlich die Szener
In seinem „Emtfesselten Theater“ beschreibt er Musterien: sie sucht, abseits von Naturalistik und
im Hochzeitssaal haiten staik russisches Gepräge.
den Weg, auf dem er, der enthusiastische Er¬
Stilbühne, den Weg zu jener szenischen Syn¬
Einen nicht zu übergehenden Anteil an dem
neuerer der Pantomime, zur Inszenierung des
these von Seelenbewegung und Ausdruck, ohne
großen Erfolg des Abends, der Tairoff und den
„Schleiers der Pierrette“ kam. Wie er das spie߬
die es, nach Tairoffs Überzeugung, keinen Ausweg
Seinen wieder reiche Ehren einbrachte, halte die
bürgerliche Schnitzlersche Szenarium mit seinen
aus dem Jurgarten des zeitgenössischen Theateis gibt.
musikalische Leitung Prof. Alexander Metiners,
konventionellen, illustrierenden Gesten rücksichtslos
In Dohnanyis Rhythmen spürt er zuerst den
die den seinsten seelischen Schwingungen und
beisliteschiebend, zum Kern der Dinge vordrang:
zauberhaften Herzschlag der neuen Emotionsform.
Impulsen der Charaktere und der Handlung mit
zur Musik Dohnanyis, aus deren Melodien
Und die Probe auf die Richtigkeit des beschrittenen
unendlichem Feingefühl nachging und die Schöpfung
sich ihm Pierrott, Pierrette und Harlekin gestal¬
Weges ist, daß der Zuhörer und Zuschauer den
einer künstlerischen Einheit ermöglichte.
telen. Es war wie ein Eroberungszug in un¬
Herzschlag mitempfindet. Schnitzlers Pantomime
Max Adler.
entdecktes Land. „Wir gingen tastend vorwärts.
ist unter der magischen Berührung des Hauberstabs
Aber wie herrlich war unsere Unwissenheit, wenn
dieser wahrhaft schöpferischen Regiekunst zu völlig
wir uns stundenlang der Musik von Dohnanyi
neuem Leben erwacht. Vor fünfzehn Jahren er¬
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hingaben, wenn in endlosen phantastischen Fernen
lebte man in Dresden die Uraufführung des
die stumme Gestalt des Pierrot dahinschweble,
Schnitzleischen Librettos mit der Musik von Ernst
wenn in packendem, stürmischen Akkord Pier¬
v. Dohnanyi) was man gestern erlebte, war die
eette, die ihren Hochzeitsschleier verloren hat,
untrennbare künstlerische Einheit von Dohnanyischer
im Wahn ihm nachglitt. Und Harlekin, der im
Musik und Tairossscher Seelenausdruckskunst.
mächtigen Anschwellen der Blechinstrumente, die
Alice Koonen ist die gegebene Repräsentantiu
ganze Welt überschreit, und dessen Gäste, sklavische
dieser Kunst. Wie im Trance wandelt sie das
Ausgeburten seiner Macht und seiner Phantasie —urewige Schema ihrer Tagödie ab: Liebesleid,
wie sie alle plötzlich versteinern, als in den auf= Seelenzwang, Erlöschen. Als Somnambule
quellenden Harfenakkorden die wieder erscheinende
empfladet und gestaltet sie das furchtbare Ver¬
Colombine auftaucht. Die wilden Furien der
sagen vor dem geplanten Gifttod, der nur den
Schnellpolka krönen den kriegerischen Sieg Harlelins,
heroischen Pierrot hinwegrafft, die Enideckung
und mit den zitteinden Tönen der Flöten entfliegt
ihres grausigen Liebesgeheimnisses durch den
das Licht der Vernunft dim kraftlosen Körper
rasenden Harlekin, die sadistischen Greuel seiner
Pierrettes
Rachewut, die sie zum „dance macahre“ vor dem
In die Region der höchsten Gefühlsanspannung
geliebten Leichnam zwingt. Alles Illustrative,
ist die aus dem Geiste der Musik geborene Tragödie
alle „Übeisetzungs"absicht ist aus ihrer Gestik und2
des ewigen Kampfes zwischen Pietrott, Pierrette
Mimik restlost gelilgt. Tänzerisches Spiel und
und Harlelin versetzt. Und auf dieser Höhe er=musikgeborene Emotion kommen bei ihr völlig zur
stirbt das Wort, erstirbt die ärmliche Geste; die Deckung. Alexander Rumneffs lyrischem,