23. Der Schleier der Pierrette
Tairoff
Der Meister kann auch anders. Von Ent¬
blieb.
fesselung diesmal keine Spur. Man kann sich
von 1
kaum etwas Normaleres, um nicht zu sagen:
wog
Konventionelleres, denken, als diesen Panto¬
Kinde
mimenabend, der im Deutschen Volkstheater
wandt
vor sich ging und an dem Schnitzlers
Badem
„Schleier der Pierette“ mit der Musik
sich nac
von Dohnanyi gezeigt wurde. Mit Aus¬
von ihr
nahme der vertikal gespannten Spagatschnüre,
Badema
die an Stelle der Säulen figurierten, war nichts
im Feb
Abnormales zu bemerken. Dazwischen tummel¬
evangeli
ten sich hübsche, in sanften Farben gehaltene,
zwei K
kreuzbrave Biedermeierkostüme, und auch die
□
Frau H
falschen Nasen traten nur ganz vereinzelt in
wandten
Funktion. Es gab drei bemerkenswerte dar¬
Gatte
stellerische Leistungen, die sich jedoch ausnahms¬
gehilfin
los in den herkömmlichen Nahmen fügten. Alice
Nun be
Coonens nervös=ambitionierte Pierette sah
Freur
bildhübsch aus; was allerdings das Tänzerische
die Ung
anlangt, ist ihr natürlich jede wirklich geschulte
angeblie
Ballerine ältesten Stils weit überlegen. Ale¬
einer kl.
rander Rumneffs beneidenswerte Schlank¬
De¬
heit, die die hieratisch verzückte Liniengebung
Riege
über alles zu lieben scheint, von anmutigster
heute nis
Wirkung. Nach ihm verdient noch Ferdi¬
sei. Ihr
nandoffs Harlekin Anerkennung. Tairoff
ihren 2
selbst ließ es, wie bereits betont wurde, an der
Bademar¬
kleinsten Ueberraschung fohlen. Er beschränkte
ihr zweit¬
sich darauf, die Gruppen der Tänzer im zweiten
dem Ehe¬
Akt in ständiger Bewegung zu halten. Den
dem Tott
einzigen Moment, auf den es angekommen und
aus erster
der aus dem Gesamtbild herauszuheben ge¬
mit dieser
wesen wäre — den ließ er ungenützt vorüber¬
irregeführ
gehen. Vermutlich ließ er ihn fallen, weil jeder
Der
andere Regisseur in naturnotwendig ins Herz
baum, 1.
des Spiels gerückt hätte. So ging die drei¬
Ehe ein, 1
malige Erscheinung des toten Pierrots, ohne
Bademani
das gelindeste Erschrecken hervorzurufen, in ab¬
sitzende, H
sichtsvolle Nüchternheit getaucht, der unmoti¬
den Akten,
viertesten Diskretion anheimgegeben, völlig an Holm
wirkungslos vorüber.
p. f.
box 28/1
Merrette.
Ver¬
Tairoff im Volkstheater.
Theater der Kunstfertigkeit. Alexander
Rumneffs Pierrot hat die verlorene Schwer¬
mut jünglinghaften Tänzers, Boris Ferdinan¬
doff macht aus dem Harlekin schreckhafte
vom Figur, Alice Coonen ist auch als Pierrette
künst= nicht gerade sehr persönlich, aber sie hat jene
zit zu
Frauenschönheit, die das Stigma nervösen
H nur
Intellekts trägt und sich am wohlsten in
heater
klassischen Attitüden und Posen fühlt. Theater
weder
der Kunstfertigkeit. Besonders, wie Tairoff
inem
den Chor der Tänzer behandelt, was er aus
ihm herausholt. Dieses Hochzeitsfest mit
aus¬
Verwirrung, Auflösung und abgehacktem Tanz,
se ge¬
der sich zu vergessen sucht, hat Carbe und
sollte,
Musik. Es besteht. Es gehört einem Regisseur
s die
mit Blick und Kraft. Aber auch dieses bleibt
ndig¬
Theater der Kunstfertigkeit, Spielerei eines
hat
Regiemeisters, wird nicht Erlebnis.
ärkste
Und man fragt: Wohin die Fahrt? Zu
welchen niebefahrenen Meeren, zu welchen
die
unentdeckten Ländern? Wenn Tairoff ein
mög¬
Kolumbus des Theaters, wo liegt sein
zeiat,
Amerika? In welcher Himmelsrichtung er¬
nicht
träumt er es? Wo sucht er es? Wenn Tairoff.
und
ein Lenin der Schaubühne, welche neue Form
eichen
will er ihr geben und welchen Geist?
Stücke
Tairoff entgegnet als Regisseur und als
„Der
Literat: Das Theater dem Theater! Doch:
hrt“,
verdeckt diese Antwort nicht ein seelisches
hat
Vakuum, ein inneres Nitschewo? Ist sie nicht
um“,
die Flucht eines, der die Schalheit und Ab¬
an“.
gestandenheit heutigen Theaters erkannt hat,
ders
in das Morphium des Nichts=als=Theaters,
das
des Nur=Theaters? Weil er keine Antwort
diese
weiß! Weil auch er ausgebrannt !“ Weil
selbst er, statt neue Ganzheit zu geben, sich in
inem
ein modernes Nuancieren rettet!
akter
In Giroflé=Girofla, Tairoffs Bestem,
war Ahnung und Erfüllung einer Welt, die
ster¬
an Kindlichkeit, die an neuer, durch den Ver¬
stand hindurchgegangener Naivität genesen
au¬
will. Mit dem „Schleier der Pierette“ aber
des
signalisiert Tairoff: Die Revolution ist aus —
der Bürgerkönig zieht ein.
o. m. f.
u. Wiedereröffnung der „Hölle“.
Tairoff
Der Meister kann auch anders. Von Ent¬
blieb.
fesselung diesmal keine Spur. Man kann sich
von 1
kaum etwas Normaleres, um nicht zu sagen:
wog
Konventionelleres, denken, als diesen Panto¬
Kinde
mimenabend, der im Deutschen Volkstheater
wandt
vor sich ging und an dem Schnitzlers
Badem
„Schleier der Pierette“ mit der Musik
sich nac
von Dohnanyi gezeigt wurde. Mit Aus¬
von ihr
nahme der vertikal gespannten Spagatschnüre,
Badema
die an Stelle der Säulen figurierten, war nichts
im Feb
Abnormales zu bemerken. Dazwischen tummel¬
evangeli
ten sich hübsche, in sanften Farben gehaltene,
zwei K
kreuzbrave Biedermeierkostüme, und auch die
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wandten
Funktion. Es gab drei bemerkenswerte dar¬
Gatte
stellerische Leistungen, die sich jedoch ausnahms¬
gehilfin
los in den herkömmlichen Nahmen fügten. Alice
Nun be
Coonens nervös=ambitionierte Pierette sah
Freur
bildhübsch aus; was allerdings das Tänzerische
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anlangt, ist ihr natürlich jede wirklich geschulte
angeblie
Ballerine ältesten Stils weit überlegen. Ale¬
einer kl.
rander Rumneffs beneidenswerte Schlank¬
De¬
heit, die die hieratisch verzückte Liniengebung
Riege
über alles zu lieben scheint, von anmutigster
heute nis
Wirkung. Nach ihm verdient noch Ferdi¬
sei. Ihr
nandoffs Harlekin Anerkennung. Tairoff
ihren 2
selbst ließ es, wie bereits betont wurde, an der
Bademar¬
kleinsten Ueberraschung fohlen. Er beschränkte
ihr zweit¬
sich darauf, die Gruppen der Tänzer im zweiten
dem Ehe¬
Akt in ständiger Bewegung zu halten. Den
dem Tott
einzigen Moment, auf den es angekommen und
aus erster
der aus dem Gesamtbild herauszuheben ge¬
mit dieser
wesen wäre — den ließ er ungenützt vorüber¬
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gehen. Vermutlich ließ er ihn fallen, weil jeder
Der
andere Regisseur in naturnotwendig ins Herz
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Ehe ein, 1
malige Erscheinung des toten Pierrots, ohne
Bademani
das gelindeste Erschrecken hervorzurufen, in ab¬
sitzende, H
sichtsvolle Nüchternheit getaucht, der unmoti¬
den Akten,
viertesten Diskretion anheimgegeben, völlig an Holm
wirkungslos vorüber.
p. f.
box 28/1
Merrette.
Ver¬
Tairoff im Volkstheater.
Theater der Kunstfertigkeit. Alexander
Rumneffs Pierrot hat die verlorene Schwer¬
mut jünglinghaften Tänzers, Boris Ferdinan¬
doff macht aus dem Harlekin schreckhafte
vom Figur, Alice Coonen ist auch als Pierrette
künst= nicht gerade sehr persönlich, aber sie hat jene
zit zu
Frauenschönheit, die das Stigma nervösen
H nur
Intellekts trägt und sich am wohlsten in
heater
klassischen Attitüden und Posen fühlt. Theater
weder
der Kunstfertigkeit. Besonders, wie Tairoff
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den Chor der Tänzer behandelt, was er aus
ihm herausholt. Dieses Hochzeitsfest mit
aus¬
Verwirrung, Auflösung und abgehacktem Tanz,
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der sich zu vergessen sucht, hat Carbe und
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Musik. Es besteht. Es gehört einem Regisseur
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mit Blick und Kraft. Aber auch dieses bleibt
ndig¬
Theater der Kunstfertigkeit, Spielerei eines
hat
Regiemeisters, wird nicht Erlebnis.
ärkste
Und man fragt: Wohin die Fahrt? Zu
welchen niebefahrenen Meeren, zu welchen
die
unentdeckten Ländern? Wenn Tairoff ein
mög¬
Kolumbus des Theaters, wo liegt sein
zeiat,
Amerika? In welcher Himmelsrichtung er¬
nicht
träumt er es? Wo sucht er es? Wenn Tairoff.
und
ein Lenin der Schaubühne, welche neue Form
eichen
will er ihr geben und welchen Geist?
Stücke
Tairoff entgegnet als Regisseur und als
„Der
Literat: Das Theater dem Theater! Doch:
hrt“,
verdeckt diese Antwort nicht ein seelisches
hat
Vakuum, ein inneres Nitschewo? Ist sie nicht
um“,
die Flucht eines, der die Schalheit und Ab¬
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gestandenheit heutigen Theaters erkannt hat,
ders
in das Morphium des Nichts=als=Theaters,
das
des Nur=Theaters? Weil er keine Antwort
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weiß! Weil auch er ausgebrannt !“ Weil
selbst er, statt neue Ganzheit zu geben, sich in
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ein modernes Nuancieren rettet!
akter
In Giroflé=Girofla, Tairoffs Bestem,
war Ahnung und Erfüllung einer Welt, die
ster¬
an Kindlichkeit, die an neuer, durch den Ver¬
stand hindurchgegangener Naivität genesen
au¬
will. Mit dem „Schleier der Pierette“ aber
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signalisiert Tairoff: Die Revolution ist aus —
der Bürgerkönig zieht ein.
o. m. f.
u. Wiedereröffnung der „Hölle“.