Son
Gastspiel von Tairoffs Moskauer Kammer¬
mit
theater.
Deutsches Volkstheater.
den
Alle Kunst ist Seele und Rausch, also unberechenbar. Was
Erste
sich errechnen läßt, ist Kunststück.
Altri
Man kommt, je nach Fassungsvermögen, entweder gleich
Frar
oder allmählich hinter den Mechanismus der Tairoffschen Schau=jGust
stellungen. Die Manifeste, die er erläßt, ändern nichts daran,
Rudi
obwohl sie an verwirrender Unklarheit wenig zu wünschen übrig
Frar
lassen. Nur die beflissenen Uebersetznikoffs in Westeuropa lassen
gar
sich noch durch eine bizzare Oberfläche verleiten, nach irgend¬
vertr
welcher Tiefe zu suchen. Tairoff macht neuestens aus seiner Ver¬
burg
achtung herkömmlicher Theaterformen schon ein richtiges
Hofl
Politikum, was nicht weiter verwunderlch ist. Schließlich kommt
Wel
er aus einem Sowjet=Rußland, wo sich zwangsläufig ein Umsturz
Plo'
aller Dinge begeben hat. Aber auch der Bolschewismus, der in
Ope
die Kunst des Bourgeoistheaters gefahren ist, erleidet das Schicksal
Vin
des Bolschewismus überhaupt: die Idee allein ist nicht zureichend
genug, um Entwicklungen ganz zu zertrümmern oder zu über¬
springen. Daran wird das Tairofssche Theater allmählich glauben
lernen, so ungläubig und revolutionär es sich auch gebärdet und
von Prinzipien und Stil allein sich nähren will.
Tairoffs Uebungen, die auf Bild= und Bewegungs¬
äußerung gerichtet sind (— der Stil selbst nimmt vom Rüpelspiel,
vom Variété, vom Zirkus, und vom Knockabout seinen Antrieb, vom
mongolischen Intellekt den Empfindungsgehalt —), diese Uebungen
Anze
haben in der Pantomime die breitesten Möglichkeiten. Aber gerade nehr
hier zeigt es sich, wie wenig Selbstschöpferisches vorhanden ist. zeitig
Während das Gedichtete für Tairoff immerhin den Extrakt für
Renr
Ausdruck und Maskenbildung abgibt, verlangt die Pankomime
Mem
eine Umsetzung von Maske und Gebärde in allerhand Geistigkeit. Gastk
Die Leere des alten Balletts ist aber auch von Tairoff nicht
überwunden worden. Was er trifft, manchmal sogar glänzend einer
trifft, ist die Herausarbeitung dramatischer Bewegung, des zu tre
kollektivistischen Rhythmus, der bis zu fanatischer Erhitzung gedeiht. und b
Schnitzlers Pantomine „Der Schleier der Pierrette“, ein Klasset
szenischer Ausschnitt aus dem „Schleier der Beatrice“, spielt statt bezügl:
in der Renaissancewelt in einem biedermeierischen Wien und es wir un
und ne
wäre eigentlich ganz interessant gewesen, wenn Tairoff, der Um¬
werter, gezeigt hätte, wie sich das Biedermeier in seinem Kopfe auf All
auf Ne¬
malt, wo er doch bisher alle gewohnte Bildhaftigkeit in den
Kodric
Linien und Farben karikaturistisch verzerrte. Aber hier scheint
ihm nichts eingefallen zu sein und er blieb schlicht beim alten.
Er wählte das liebliche und übliche Rosenrot, blieb bei den Sunbe
Alltagsgesichtern, ohne sie zu expressionieren, und mühte sich um eine
Anmut, die wienerisch zu sein hatte, aber nicht immer ganz heimats. Super
berechtigt war. Erst wo die Musik Dohnanyis, die in dieser
Pantomime von Liebe, Tod und Gewissensqual eine geschickte raten,
Sinnfälligkeit und oft die geistreichste melodische Intuition hat, sich
zu aufpeitschender Wirkung erhebt, verläßt Tairoff den Grundton: das auf
treibt er das Seelische russischer Tanzkunst in einem aufs höchste Fri
gesteigerten dramatischen Ausdruck meisterlich aufwärts. In diesem
Teilstück rechtfertigt er auch ein entfesseltes Theater durch Be¬
ab
wegung. Was seine Leute im einzelnen geben, reicht aber keines¬
wegs über die tänzerische Aussprache durch Gebärdenspiel hinaus.
Es ist nur eine schön durchgebildete und kultivierte Gliederkunst,
die gerade soviel Eindrucks= oder Ausdrucksfähigkeit hat, als man
im Pantomimischen voraussetzt. Alexander Rumnof
der Pierrot, und Boris Ferdinandoff, der
Harlekin, bringen
schöne Biegsamkeit der Geste,
die optische Schönheiten bieten. Weniger gut bestellt ist?
es um Alice Coonen, einer reichlich überschätzten Darstellerin,
A
die in den entscheidendsten Spielszenen von einer betrüblichen la
Ausdrucksleere bleibt. Daß ein nervöses Zucken der Lider sie 19
zwingt, mit weitausgerissenen Augen einen durchdringenden Blick bei
c
festzuhalten, macht ihr reizvolles Gesicht monoton; aber auch ihr
sick
tänzerisches Vermögen reicht gerade hin, um ihren weit über¬ Se
legenen Partnern Mittel zum Augenblickszweck zu sein.
in
Die Aufführung, mehr glatt als originell, hat bloß im
St.
zweiten Akt Charakter. Hier ließ auch der Beifall erkennen, daß er teil
aus richtiger Theaterfreude heraus sich entlud. Das farbige abz
Element der Pantomime blieb diesmal aus und im Dekorativen
dur
sand Tairoff statt der geometrischen Holzlatten diesmal eine neue
Fah
Um
Note: er spannte dünne Seile, die einmal Zimmervorhänge mar¬
Blu
tierten, das andere Mal als Pfeiler ihre zeichnerische Illusionskraft
erprobten. Nuc die alten Treppen blieben, die schon überall ein
unvermeidliches Regie=Gerüst bilden, wo man auf „Stufungen“
Bedacht nimmt.
Das Tairoff=Gastspiel geht zu Ende. Was es brachte, war
mehr exotischer Reiz als künstlerischer Gewinn.
—58—
„ fnhet heute abend die erste
22.
Gastspiel von Tairoffs Moskauer Kammer¬
mit
theater.
Deutsches Volkstheater.
den
Alle Kunst ist Seele und Rausch, also unberechenbar. Was
Erste
sich errechnen läßt, ist Kunststück.
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Man kommt, je nach Fassungsvermögen, entweder gleich
Frar
oder allmählich hinter den Mechanismus der Tairoffschen Schau=jGust
stellungen. Die Manifeste, die er erläßt, ändern nichts daran,
Rudi
obwohl sie an verwirrender Unklarheit wenig zu wünschen übrig
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lassen. Nur die beflissenen Uebersetznikoffs in Westeuropa lassen
gar
sich noch durch eine bizzare Oberfläche verleiten, nach irgend¬
vertr
welcher Tiefe zu suchen. Tairoff macht neuestens aus seiner Ver¬
burg
achtung herkömmlicher Theaterformen schon ein richtiges
Hofl
Politikum, was nicht weiter verwunderlch ist. Schließlich kommt
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er aus einem Sowjet=Rußland, wo sich zwangsläufig ein Umsturz
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aller Dinge begeben hat. Aber auch der Bolschewismus, der in
Ope
die Kunst des Bourgeoistheaters gefahren ist, erleidet das Schicksal
Vin
des Bolschewismus überhaupt: die Idee allein ist nicht zureichend
genug, um Entwicklungen ganz zu zertrümmern oder zu über¬
springen. Daran wird das Tairofssche Theater allmählich glauben
lernen, so ungläubig und revolutionär es sich auch gebärdet und
von Prinzipien und Stil allein sich nähren will.
Tairoffs Uebungen, die auf Bild= und Bewegungs¬
äußerung gerichtet sind (— der Stil selbst nimmt vom Rüpelspiel,
vom Variété, vom Zirkus, und vom Knockabout seinen Antrieb, vom
mongolischen Intellekt den Empfindungsgehalt —), diese Uebungen
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haben in der Pantomime die breitesten Möglichkeiten. Aber gerade nehr
hier zeigt es sich, wie wenig Selbstschöpferisches vorhanden ist. zeitig
Während das Gedichtete für Tairoff immerhin den Extrakt für
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Ausdruck und Maskenbildung abgibt, verlangt die Pankomime
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eine Umsetzung von Maske und Gebärde in allerhand Geistigkeit. Gastk
Die Leere des alten Balletts ist aber auch von Tairoff nicht
überwunden worden. Was er trifft, manchmal sogar glänzend einer
trifft, ist die Herausarbeitung dramatischer Bewegung, des zu tre
kollektivistischen Rhythmus, der bis zu fanatischer Erhitzung gedeiht. und b
Schnitzlers Pantomine „Der Schleier der Pierrette“, ein Klasset
szenischer Ausschnitt aus dem „Schleier der Beatrice“, spielt statt bezügl:
in der Renaissancewelt in einem biedermeierischen Wien und es wir un
und ne
wäre eigentlich ganz interessant gewesen, wenn Tairoff, der Um¬
werter, gezeigt hätte, wie sich das Biedermeier in seinem Kopfe auf All
auf Ne¬
malt, wo er doch bisher alle gewohnte Bildhaftigkeit in den
Kodric
Linien und Farben karikaturistisch verzerrte. Aber hier scheint
ihm nichts eingefallen zu sein und er blieb schlicht beim alten.
Er wählte das liebliche und übliche Rosenrot, blieb bei den Sunbe
Alltagsgesichtern, ohne sie zu expressionieren, und mühte sich um eine
Anmut, die wienerisch zu sein hatte, aber nicht immer ganz heimats. Super
berechtigt war. Erst wo die Musik Dohnanyis, die in dieser
Pantomime von Liebe, Tod und Gewissensqual eine geschickte raten,
Sinnfälligkeit und oft die geistreichste melodische Intuition hat, sich
zu aufpeitschender Wirkung erhebt, verläßt Tairoff den Grundton: das auf
treibt er das Seelische russischer Tanzkunst in einem aufs höchste Fri
gesteigerten dramatischen Ausdruck meisterlich aufwärts. In diesem
Teilstück rechtfertigt er auch ein entfesseltes Theater durch Be¬
ab
wegung. Was seine Leute im einzelnen geben, reicht aber keines¬
wegs über die tänzerische Aussprache durch Gebärdenspiel hinaus.
Es ist nur eine schön durchgebildete und kultivierte Gliederkunst,
die gerade soviel Eindrucks= oder Ausdrucksfähigkeit hat, als man
im Pantomimischen voraussetzt. Alexander Rumnof
der Pierrot, und Boris Ferdinandoff, der
Harlekin, bringen
schöne Biegsamkeit der Geste,
die optische Schönheiten bieten. Weniger gut bestellt ist?
es um Alice Coonen, einer reichlich überschätzten Darstellerin,
A
die in den entscheidendsten Spielszenen von einer betrüblichen la
Ausdrucksleere bleibt. Daß ein nervöses Zucken der Lider sie 19
zwingt, mit weitausgerissenen Augen einen durchdringenden Blick bei
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festzuhalten, macht ihr reizvolles Gesicht monoton; aber auch ihr
sick
tänzerisches Vermögen reicht gerade hin, um ihren weit über¬ Se
legenen Partnern Mittel zum Augenblickszweck zu sein.
in
Die Aufführung, mehr glatt als originell, hat bloß im
St.
zweiten Akt Charakter. Hier ließ auch der Beifall erkennen, daß er teil
aus richtiger Theaterfreude heraus sich entlud. Das farbige abz
Element der Pantomime blieb diesmal aus und im Dekorativen
dur
sand Tairoff statt der geometrischen Holzlatten diesmal eine neue
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Note: er spannte dünne Seile, die einmal Zimmervorhänge mar¬
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erprobten. Nuc die alten Treppen blieben, die schon überall ein
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Bedacht nimmt.
Das Tairoff=Gastspiel geht zu Ende. Was es brachte, war
mehr exotischer Reiz als künstlerischer Gewinn.
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