box 28/1
23. Der-Schleiender- Pierrette
Samstag
DER TAG
4. Juli 192
nd, die Naturalistik des alten Theaters und der wegten, berauschenden Traum daraus erstehen.
ige
„ „Stil“ eines kürzlicher, doch stärker überwunde= Seit Wert oder Unwert ermißt sich am leich¬
seenen; aber schon baut diese Bühne sich höher in testen an dem Gedanken, was unter gleichen Ver¬
in
den Raum, verläßt die rein malerische Fläche,
hältnissen unser Theater in seiner heutigen Form
ich
verkürzt die Nachahmung der Natur auf die ein¬
uns zu geben vermöchte. Tairoffé Inszenierung
fachste Formel und gibt die souveräne Möglich¬
ist zehn Jahre alt.
keit zu illusionieren bloß dem Schau=Spieler. Ja,
selbst, wo sie dieser ins Bild stellt und erstarren
läßt, baut doch das Bild sich aus der aktiven
Zwei —
Mitwirkung der Darsteller auf. D. h. es gibt
keine Posen in diesem Spiel, sondern bloß ein
#
Stille=Stehen, das durch die seelische Erregung
und also durch die Handlung bedingt ist. Nichts
ge
geschieht den Stil und alles der Logik der Aktion
zuliebe. Und kein Quentchen des Geschehens
wird einer leeren Schönheit aufgeopfert, wenn
stel
auch alles, was geschieht, sich in vollendeter
zust
Schönheit vollzieht.
vor
Pantomime! Für uns ein Begriff, der durch
gag
die Gasse der Unkunst geschleift ward. Panto¬
mit
mime, das hieß für uns prunkvoller Massenauf¬
Fre
trieb mit aufgepfropften Tänzen oder im kleinen
Dez
Ersatz des Worts durch die überzeichnet=natürliche
je 7
oder stilisierte Geste. Das hieß, Schauspielern die
600
Sprache und damit den letzten Halt entziehen oder
schr
Tänzer zu ungewohnt dramatischem Ausdruck zu
dan
zwingen. Diese Russen aber, weil sie Schauspieler
Ols
und Tänzer in einem sind, können des Worts
ang
entraten und sprechen mit ihrem gesamten Kör¬
per. Und die Pantomime ist hier ein Gesamt¬
vor
kunstwerk, nicht aus Gebärden und Tänzen, son¬
noc
dern aus Tanz und sprechendem Schweigen ge¬der
formt: primitivster und zugleich höchst entwickelter
Ausdruck des dramatischen Erlebens. Höchstent¬
Wien, 9. Bezirk, Währingergurter
Er
in Stadtbahnstationsgebäude Wäh¬
wickelt: denn die Sprache der Worte beschränkt
gerstraße). Auch Zahlungserleichterung.
die Zahl der möglichen Deutungen, diese wahr¬
stel
W
NTTTNEN
La
haft „panto“mimische aber läßt unseren Sinnen
Ar
wie unseren Gedanken die vollendetste Freiheit.
bei
Wohin führte Tairoff dieser Schritt? Zur Er= pr.
Bühne und Kunst
schaffung des Schau=Spielers. Es ist so befreiend, de¬
ge
diesem Spiel zuzuschauen, eben darum, weil es
Tairoffs Erstlingswerk.
un
so vollendet beherrscht ist. Und es fließt darum
m
„Der Schleier der Pierrette“ Pantomime von
so leicht und schön (und manchmal nur einih
Arthur Schnitzler, Musik von Ernst Dolmanyi.
bißchen eintönig) dahin, weil es von denen selbst, K
* Das war Alexander Tairoffs erste Insze¬
P
die es vollführen, von allen Seiten besehen wer¬
w
nierung und es sind etwa zehn Jahre her, daß
den kann. Denn diese Schau=Spieler haben die
er sie — er hatte damals noch kein eigenes —
5
Augen nicht bloß im Kopfe und sie haben das
am „Freien Theater“ Mardschanoffs unternahm.
Material, das ihnen die Natur verliehen, bis
Die Betrachtung aus der historischen Perspektive
aufs letzte erworben. Darum besitzen sie es nun. wi
empfiehlt sich in diesem Fall und ist erlaubt.
„2
Und daß sie manchmal davon, mehr vielleicht als
Alles an diesem Werk ist bei geringfügigen Ande¬
vor
es der geistigen Aufgabe des Theaters gut tut,
rungen so geblieben, wie es vor zehn Jahren
geb
besessen zu werden scheinen, wollen wir ihnen
war und Tairoffs Leute, denen ihr Theater mehr
nicht zum Vorwurf machen. Es sind Besessene.
Da¬
als bloß den Unterhalt ihres Lebens, nämlich
Wohl dem Theater, das deren eine solche Zahl
das Leben selbst bedeutet, lieben dieses Stück
besitzt.
und führen es auf ihren Reisen mit, wie einer
Schnitzlers Szenarium gibt nicht viel mehr die
die Kinderschuhe aufbewahrt, denen er längst ent¬
als die usuelle banale Pierrot=Pierrette und Sche
wachsen ist — als liebe Erinnerung an den
Harlekin=Geschichte, Dolmanyis Musik fließt mit dreie
ersten, selbständigen Schritt in die Welt.
akademischer Geruhsamkeit um einige (nicht allzu=bras
Wohin führte Tairoff dieser Schritt? Noch
hohe) dramatische Höhepunkte. Aber Tairoff undMire
schimmert durch diesen „Schleier der Pierrette“
seine Leute lassen einen tönenden, bunten, be- umfa
Copyright by Bonno Vigny.
die sonst die personifizierte Nachsicht war, unge= zum
(21. Fortsetzung.) duldig wurde. Sie begann ihn zu hänseln, Vorst
Zsene
23. Der-Schleiender- Pierrette
Samstag
DER TAG
4. Juli 192
nd, die Naturalistik des alten Theaters und der wegten, berauschenden Traum daraus erstehen.
ige
„ „Stil“ eines kürzlicher, doch stärker überwunde= Seit Wert oder Unwert ermißt sich am leich¬
seenen; aber schon baut diese Bühne sich höher in testen an dem Gedanken, was unter gleichen Ver¬
in
den Raum, verläßt die rein malerische Fläche,
hältnissen unser Theater in seiner heutigen Form
ich
verkürzt die Nachahmung der Natur auf die ein¬
uns zu geben vermöchte. Tairoffé Inszenierung
fachste Formel und gibt die souveräne Möglich¬
ist zehn Jahre alt.
keit zu illusionieren bloß dem Schau=Spieler. Ja,
selbst, wo sie dieser ins Bild stellt und erstarren
läßt, baut doch das Bild sich aus der aktiven
Zwei —
Mitwirkung der Darsteller auf. D. h. es gibt
keine Posen in diesem Spiel, sondern bloß ein
#
Stille=Stehen, das durch die seelische Erregung
und also durch die Handlung bedingt ist. Nichts
ge
geschieht den Stil und alles der Logik der Aktion
zuliebe. Und kein Quentchen des Geschehens
wird einer leeren Schönheit aufgeopfert, wenn
stel
auch alles, was geschieht, sich in vollendeter
zust
Schönheit vollzieht.
vor
Pantomime! Für uns ein Begriff, der durch
gag
die Gasse der Unkunst geschleift ward. Panto¬
mit
mime, das hieß für uns prunkvoller Massenauf¬
Fre
trieb mit aufgepfropften Tänzen oder im kleinen
Dez
Ersatz des Worts durch die überzeichnet=natürliche
je 7
oder stilisierte Geste. Das hieß, Schauspielern die
600
Sprache und damit den letzten Halt entziehen oder
schr
Tänzer zu ungewohnt dramatischem Ausdruck zu
dan
zwingen. Diese Russen aber, weil sie Schauspieler
Ols
und Tänzer in einem sind, können des Worts
ang
entraten und sprechen mit ihrem gesamten Kör¬
per. Und die Pantomime ist hier ein Gesamt¬
vor
kunstwerk, nicht aus Gebärden und Tänzen, son¬
noc
dern aus Tanz und sprechendem Schweigen ge¬der
formt: primitivster und zugleich höchst entwickelter
Ausdruck des dramatischen Erlebens. Höchstent¬
Wien, 9. Bezirk, Währingergurter
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in Stadtbahnstationsgebäude Wäh¬
wickelt: denn die Sprache der Worte beschränkt
gerstraße). Auch Zahlungserleichterung.
die Zahl der möglichen Deutungen, diese wahr¬
stel
W
NTTTNEN
La
haft „panto“mimische aber läßt unseren Sinnen
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wie unseren Gedanken die vollendetste Freiheit.
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Wohin führte Tairoff dieser Schritt? Zur Er= pr.
Bühne und Kunst
schaffung des Schau=Spielers. Es ist so befreiend, de¬
ge
diesem Spiel zuzuschauen, eben darum, weil es
Tairoffs Erstlingswerk.
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so vollendet beherrscht ist. Und es fließt darum
m
„Der Schleier der Pierrette“ Pantomime von
so leicht und schön (und manchmal nur einih
Arthur Schnitzler, Musik von Ernst Dolmanyi.
bißchen eintönig) dahin, weil es von denen selbst, K
* Das war Alexander Tairoffs erste Insze¬
P
die es vollführen, von allen Seiten besehen wer¬
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nierung und es sind etwa zehn Jahre her, daß
den kann. Denn diese Schau=Spieler haben die
er sie — er hatte damals noch kein eigenes —
5
Augen nicht bloß im Kopfe und sie haben das
am „Freien Theater“ Mardschanoffs unternahm.
Material, das ihnen die Natur verliehen, bis
Die Betrachtung aus der historischen Perspektive
aufs letzte erworben. Darum besitzen sie es nun. wi
empfiehlt sich in diesem Fall und ist erlaubt.
„2
Und daß sie manchmal davon, mehr vielleicht als
Alles an diesem Werk ist bei geringfügigen Ande¬
vor
es der geistigen Aufgabe des Theaters gut tut,
rungen so geblieben, wie es vor zehn Jahren
geb
besessen zu werden scheinen, wollen wir ihnen
war und Tairoffs Leute, denen ihr Theater mehr
nicht zum Vorwurf machen. Es sind Besessene.
Da¬
als bloß den Unterhalt ihres Lebens, nämlich
Wohl dem Theater, das deren eine solche Zahl
das Leben selbst bedeutet, lieben dieses Stück
besitzt.
und führen es auf ihren Reisen mit, wie einer
Schnitzlers Szenarium gibt nicht viel mehr die
die Kinderschuhe aufbewahrt, denen er längst ent¬
als die usuelle banale Pierrot=Pierrette und Sche
wachsen ist — als liebe Erinnerung an den
Harlekin=Geschichte, Dolmanyis Musik fließt mit dreie
ersten, selbständigen Schritt in die Welt.
akademischer Geruhsamkeit um einige (nicht allzu=bras
Wohin führte Tairoff dieser Schritt? Noch
hohe) dramatische Höhepunkte. Aber Tairoff undMire
schimmert durch diesen „Schleier der Pierrette“
seine Leute lassen einen tönenden, bunten, be- umfa
Copyright by Bonno Vigny.
die sonst die personifizierte Nachsicht war, unge= zum
(21. Fortsetzung.) duldig wurde. Sie begann ihn zu hänseln, Vorst
Zsene