II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 52

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22. Der junge Ledandus
zu Gesicht zu bekommen und für ihren] sitzt. Bei aller seiner Versunkenheit in seiner Liebe zu Helene] Bild der umfänglichen Handlung, deren romantischer Verlauf
Der Morgen graut und Eschenbacher
hat ihn noch der Gedanke aufrecht erhalten, daß sie eine hoch= in seinen vielen Einzelheiten und Verwicklungen nach einer
efängnis geführt, um gerichtet zu werden.
strebende Frau ist. Wenn sie sich aber zur Geliebten Napoleons epischen Form schreit. Man ersieht auch, es sind zwei Tragödien,
Wort mit seiner Schwester sprechen.
hergibt, so ist sie für ihn nur mehr verächtlich. Nun ist er ganz die hier ineinander und durcheinander laufen. Das Stück sollte
rauf ertönt hinter der Szene eie
frei von ihr. Nun kann er die große Tat tun, die zu tun er
eigentlich „Medardus und Helene“ heißen. Allerdings ist
acher ist gewesen. „Verstehst du das ...?!“
brennend wünscht. Nun kann er das Werk der Rache vollführen:
Medardus die Hauptperson. Der junge Mann beginnt als Held
edardus. Und er antwortet ihr: „Es ist nicht
den Kaiser töten. Er ist dazu entschlossen und wartet darauf,
und endet als Held. Aber was dazwischen liegt, ist das Wanken
leben, Mutter!“ Da reitet der Kaiser gerade
bis der Kaiser die Treppe herabkommen wird. Unterdessen aber
und Schwanken eines Stimmungen und Leidenschaften allzusehr
die Leute rufen: „Der Kaiser!“ und laufen
strömen Würdenträger und Vornehme die Treppe hinauf, um
unterworfenen Jünglings. Den Dichter verleitete offenbar die
sehen. Da sieht die Mutter auf die Kavalkade,
noch zum Empfang zurechtzukommen. Unter ihnen erscheint
Versuchung, historische Lokalbilder Alt=Wiens auf die Bühne zu
Sohn und rust: „Medardus!“ Und wie in
auch die Marquise. Es ist wie eine blitzschnelle Eingebung, daß
bringen, dazu, in einem Verlauf von siebzehn Verwandlungen
gruft dieser: „Es ist der Mühe wert, zu
Medardus sich auf sie stürzt und sie ersticht. Er tut es ohne
dem Gegenstand eine dramatische Form zu verleihen, die ihm
nd wieder führt uns der Dichter auf den
Ueberlegung. Und siehe da, wieder hat ihn das ver¬
außerdem Gelegenheit gab, einer schier unübersehbaren Zahl
n den Eschenbacher en. Und als alles sich ver¬
fluchte Weib um die Tat betrogen. Er wird gefangen¬
von Personen individuelle Farben zu verleihen. So hat er
noch Medardus da ist, tritt Helene auf. Sie
genommen. Im Gefängnis besucht ihn die Mutter. In ihr kaum
ein wirksames Kunststück geschaffen, dessen Eindruck auf der
ardus' Herzen vorgeht und wie sehr er nach
begonnenes Gespräch kommt der General Rapp im Namen des
Bühne nur durch die Länge der Aufführungsdauer beeinträchtigt
die Rache soll den treffen, der auch ihr der
Kaisers, um ihm die Freiheit zu ver#“## digen. Es hat sich heraus¬
wird. Es ist ein Stück in Stücken, voll von wirklicher Kunst,
ihr und ihrer Machtbegierde im Wege steht,
gestellt, daß die Marquise schon alle Anstalten getroffen hat,
aber als Drama zu weitschweifig und zu sehr entbehrend der
e schürt seinen Haß und seine Rachegefühle.
den Kaiser zu ermorden. Das Dazwischentreten des Medardus
nötigen Konzentration. Aus allem leuchtet die große Begabung
sich schwer. Für sie hatte dieser Jüngling trotz
hat sie an der Ausführung ihrer Pläne verhindert. So ist
Arthur Schnitzlers hervor, der immer zu fesseln und anzuziehen
Herkunft einen eigenen Reiz, jenen Reiz,
Medardus zum Retter des Kaisers geworden. Aber einer Lüge
versteht, auch wenn er schwer zu übersehende Fehler macht.
oft und so gern unterliegen — sie sah in
will Medardus sein Leben nicht verdanken. Er eröffnet Rapp,
Trotz allen Kürzungen des Buchtextes (ganz weggeblieben
echten Mann. Aber trotzdem schätzt sie ihn
daß es seine Absicht war, den Kaiser zu töten. Umgekehrt, meint
sind nur zwei Szenen: die letzte des vierten und die erste
aubt, ihn damit ködern zu können,
Medardus, die Marquise war die Retterin des Kaisers. Wäre sie
des fünften Aktes) hält unser heutiges Theaterpublikum ein
n die Valois auf Frankreichs Thron sitzen,
nicht gekommen, so hätte er den Kaiser getötet. Rapp geht, diese
fünsstündiges Drama nicht aus. Uebrigens wären noch weitere
verspricht. Das bringt ihn zu sich. Wofür
Sachlage dem Kaiser zu melden. Er kommt wieder. Trotzdem
Kürzungen sehr wohl tunlich. Auf einem anderen als auf
quise? Sie hat ihn dazu gebracht, seiner
solle Medardus frei sein, wenn er nur mit E renwort verspreche,
dem Burgtheater ist das Stück wohl nicht möglich. Unser
wester zu entsagen, und sie mutet ihm zuletzt
nichts mehr gegen den Kaiser zu unternehmen. Aber auch das
Burgtheater hat die fast achtzig rebenden Personen aus seinem
zu. Jetzt ist der Zauber gebrochen. Er stößt
verspricht Medardus nicht. Auch für diesen Fall hat General
eigenen Bestand geliesert, und man kann dabei sehen, daß es
Rapp seinen Auftrag. Medardus muß sterben. Er wird ab¬
nicht allein über viele, sondern über viele überraschend gute
Szene des fünften Aktes erfahren wir, daß
geführt. Rapp sagt zu Etzelt: „Mich dünkt, dieser junge Mensch
Schauspieler verfügt. In eine Würdigung aller Leistungen ein¬
ehmen des nach Frankreich gereisten Gatten
hätte an anderer Stelle stehen sollen.“ — Etzelt: „Sehr wahr,
zugehen ist kaum möglich. Herr Gerasch spielte den Medardus.
quis von Valois, schlecht geht. Die nächste
Herr General. Gott wollte ihn zum Helden schaffen, der Lauf
Er hat schönes Feuer und edie Gebärden. Vielleicht sollte von
n den Schloßhof von Schönbrunn, wo viel
der Dinge machte einen Narren aus ihm.“ — Rapp: „Dies
Anfang an das fahrige Wesen des Jünglings deutlicher aus¬
Bekannte, herumlungert, um den Kaiser zu
kann in solcher Zeit ein Ehrenname sein wie ein anderer.“ —
gedrückt werden. Frau Bleibtreu=Römpler als Mutter
sich des so gut wie beschlossenen Friedens.
Wir hören die Salve. Medardus ist tot und das Stück schließt
des Medardus war über alles Lob. Die Helene wurde durch
Redardus und seinen Freund Etzelt. Medardus
mit folgenden Worten Rapps: „Ich habe den Auftrag von
Frau Wohlgemuth dargestellt. Sie vereinigte in sich ganz
os aus. Er war entschlossen, Napoleon zu
meinem Herrn, dem Koiser, die Mutter dieses Tapfern zu grüßen.
prachtvoll Schönheit, Hoheit und Stolz. Frau Wohlgemuth ge¬
ns Reden haben ihm die Hände gebunden.
Es ist der Wille des Kaisers, daß Medardus Klähr mit allen
hört zu den besten Kräften unseres Burgtheaters. Was in den
r die Tat vollführte, wäre er ihr Werkzeug.
Ehren und in geweihter Erde begraben werde als dieses Krieges
vielen anderen Rollen bis in die kleinsten an Talent hervor¬
ardus sei deshalb in letzter Zeit so schwer¬
letzter und seltsamster Held.“
sprüht, ist im höchsten Grade sehenswert. Das Publikum hielt
er gehört, daß die Marquise des Kaisers Ge¬
Diese Darstellung des Inhalts des Buches, bei der alles
interessiert bis halb zwölf Uhr aus, spendete eifrig Beifall und
t Medardus zu widersprechen. Doch der Stachel nicht geradezu Wesentliche ausgelassen ist, gibt ein hinlängliches
rief zahllosemal den Dichter.
E. Pernerstorfer.
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