II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 71

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22. DenjungeMedandus
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dessen Vater, Herzog von Valois, mit Familie und Hofstaat in Wie töricht diese Pläne sind, zeig
Wien im Exil lebt. Dem Prinzen, dessen blinder Vater Anrechte schaut sie, verachtet seine heimlich
Feuilleton,
Taa#
Indessen ist der Bruder der
auf den französischen Thron zu haben glaubt, ist bas bürgerliche
E
Meister Eschenbacher erschossen
Haus verboten worden, ehe er nicht als ehrlicher Freier käme.
botene Landkarten in seinem Ha#
Da er die Einwilligung des verblendeten Vaters nicht zu er¬
010 Hofburgtheater.
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blicke seines Todes steigt in
wirken vermag, schützt er sie lügnerisch vor, hält um Agathens
„Der junge Medardus.“
Prinzessin verraten und verleugne
Hand an und sucht mit dem Mädchen nach genossener Liebes¬
Gedanke auf, an dem Korsen all
Dramatische Historie von Artur Schnitzler.
freude den Tod in der Donau. In der Nähe der kleinen
über seine Familie gekommen ist.
Zumersten Male
Spelunke, in der Medardus mit seinen Freunden das Abschieds¬
auf diesem Wege zu den sonst un
aufgeführt am 24. November 1910.
gelage feiert, werden die Leichen angeschwemmt und furchtbar
hofft, zu seiner selbst vorgenomme
erschauernd erkennt der Bruder im Fackelscheine die tote
Wir haben Schnitzler all die Jahre her weite Wege gehen,
scheint ihm diese Tat gering und
Schwester. Nun ist sein Entschluß gefaßt, nicht mit den
viele Entwicklungen durchlaufen, bei keiner bewährten Methode
er vor dem Schönbrunner Schloss
Kameraden zu ziehen, in der Heimat zu bleiben, ein Ahnen
beharren, sondern unermüdet nach immer neuen Formen hin¬
zessin, die der törichte Volksmund
sagt ihm, daß sich hier sein Schicksal erfüllen müsse.
streben gesehen. So erscheint er uns vielgestaltig wie kaum ein
gemacht, vorübergeht, stößt er ihr
So weit fördert das Vorspiel die Handlung. In ge¬
andereebender Dichter. Zunächst Erzähler von Wienerischen
Kaiser bestimmt war. Während er
meinsamem Grabe werden die loten Liebesleute
Süßmädchengeschichten ließ er sich alsbald allgemeineren Zielen
Todesurteiles harrt, bringt ihm
begraben. Auf dem Friedhofe treffen ihre Familien
zutrelben, er wurde der Dichter des Mittelstandes, des Bürger¬
botschaft. Er habe dem Kaiser b
zum ersten Male zusammen und weit und unüber¬
iumes, der Gesellschaft, an die er mit Anfragen und Prüfungen
Prinzessin haben erwiesenermaßen
brückbar klafft die Kluft, die dieses Bürgertum vom
mannigfacher Art herantrat, mehrfach auch historisch ausholend.
geplant. Medardus aber wirft
Adel trennt. Medardus ist, da sich der Friedhof leert, noch
Nun ist eine wahrhaftige Hisiorie von ihm da, ein neues, ein
kläglich und erbärmlich zu sein
beim Grabe zurückgeblieben. Die Prinzessin Helene, Francois'
wuchtiges historisches, wenngleich nicht sonderlich treues Bild.
daß auch sein Mordplan gegen#
Schwester, hochmütig und von den Plänen ihres Vaters völlig
Das dramatische Geschehen klärt das historische Ereignis
sei. Er verweigert auch das Ver
erfüllt, kommt zu dem einsamen Grabe und legt Blumen
keineswegs, doch fördern die historischen die dramatischen
kunft nicht zu unternehmen. Diese
darauf, Medardus aber, von wildem Haß bewegt, verbietet ihr
Momente.
Rettung bringen. Unter dem Ic
leidenschaftlich, dieses Grab zu schmücken, in dem auch seine
In den Pulverdampf, in die aufflammende Begeisterung
Freundes wird er erschossen.
Schwester ruht. Der Marquis von Valois tritt dazwischen,
und in das Leid des Kriegsjahres 1809 ist das jämmerliche
Was neben diesen Hauptmc
und Helene verspricht ihm ihre lang begehrte Hand, wenn er
Schicksal einer Wiener Bürgersamilie und der zwecklose Narren¬
einherläuft, ist voll und reich
Medardus töte. Schon fühlen wir, daß durch diesen Haß Liebe
##tod eines Jünglings hineingestellt, der auserlesen schien, ein
so daß der Bau allenthalben mä
schimmert. Im Duell mit dem Marquis wird Medardus schwer
Held zu sein. Der Autor hat das ursprüngliche Maß der
Zweifel ein großer, kühner,
verletzt, Helene sendet ihre Dienerin zu ihm, um nach seinen
sich zu ungewöhnlichen Dimensionen erhoben,
Dichtung, de
ihren feinsten Werten sorgfälti
Befinden fragen zu lassen. Heimlich schleicht sich der Tod¬
wesentlich eir eengt, und die Bühnenform hat aus dem Buch¬
Sprache, die sich wiederholt zu
wunde vom Krankenbette weg, um der Prinzessin, deren Liebe
drama weitere empfindliche Streichungen vorgenommen. Ver¬
hebt oder zart und lyrisch vertieft
##r zu ahnen beginnt, seinen Dank zu Füßen zu legen. Anfänglich
nimmt man nun, daß die Aufführung auch jetzt noch eine Zeit
Wirkung dieser Dichtung. Rich
leitet ihn der Gedanke, hier Gelegenheit zur Rache für die
von fünf vollen Stunden beansprucht, so vermag man zu er¬
Prüfstein auf, so kann man das
hingeopferte Schwester zu finden, alsbald aber bricht über¬
messen, auf welche Breite das Bild gestellt ist und wie weit
nehmen. Wie weit man indessen
mächtig leidenschaftliche Liebe durch. Rasch ist dieses Liebes¬
seine Linien ausgezeihnet sind. Zunächst ein Vorspiel, das
den künstlerischen Wert einer Di
motio zu schwindelnder Höhe geschraubt, und nun greifen in
bereits einen so energischen Anstieg zum Drama bringt, daß
an Moral zu bemessen, die Frag
jagender Eile die Ereignisse in einander. Die Franzosen stehen
nicht recht abzusehen ist, weshalb es nicht als dessen erster Akt
von der Hand weisen können, we
vor den Toren, die Staht ist in Not und Erregung. Medardus
bezeichnet werden sollte. Der Sohn der Wiener Buchhändlers¬
fühlsleben empfangen habe, was
ist kein Held mehr, die Liebe zu der Französin zehrt heiß an
witwe Klär, der junge Medardus, rüstet sich zum Aufbruch in
seiner Seele. Da geht er der guten Sache verloren. Die Prin¬
gebnis aufgewiesen worden sei.
den Krieg. Mit einer Freischar von Wiener Akademikern will
völligen Zusammenbruche gerette
zessin reicht dem Marquis die Hand, um ihrem Vater einen
er dem Heere Napoleons entgegenziehen. Seine Schwester
Agathe ist die Geliebte des Prinzen Francois von Valois, Schwiegersohn zu geben, einen Erben für seine großen Pläne. was hat innerlichen Bestand und