II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 72

box 26/5
22. Derjunge Nedandus

dessen Vater, Herzog von Valois, mit Familie und Hofstaat in Wie töricht diese Pläne sind, zeigt sich bald. Napoleon durch¬
Wien im Exil lebt. Dem Prinzen, dessen blinder Vater Anrechte schaut sie, verachtet seine heimlichen Feinde und lächelt ihrer.
Teton arc
auf den französischen Thron zu haben glaubt, ist bas bürgerliche
Indessen ist der Bruder der Frau Klär, der prächtige
Haus verboten worden, ehe er nicht als ehrlicher Freier käme.
Meister Eschenbacher erschossen worden, weil er ver¬
theater.
Da er die Einwilligung des verblendeten Vaters nicht zu er¬
botene Landkarten in seinem Hause versteckt gehabt. Im An¬
Medardns.70.
wirken vermag, schützt er sie lügnerisch vor, hält um Agathens
blicke seines Todes steigt in Medardus, der von seiner
Hand an und sucht mit dem Mädchen nach genossener Liebes¬
Prinzessin verraten und verleugnet wird, zum ersten Male der
von Artur Schnitzler.
freude den Tod in der Donau. In der Nähe der kleinen
Gedanke auf, an dem Korsen all das Unheil zu rächen, das
en Male
Spelunke, in der Medardus mit seinen Freunden das Abschieds¬
über seine Familie gekommen ist. Da er aber von Helenen, die
4. November 1910.
gelage feiert, werden die Leichen angeschwemmt und furchtbar
auf diesem Wege zu den sonst unmöglichen Zielen zu gelangen
die Jahre her weite Wege gehen,
erschauernd erkennt der Bruder im Fackelscheine die tote
hofft, zu seiner selbst vorgenommenen Tat beseuert wird, er¬
, bei keiner bewährten Methode
Schwester. Nun ist sein Entschluß gefaßt, nicht mit den
scheint ihm diese Tat gering und verächtlich. Unschlüssig streift
ach immer neuen Formen hin¬
Kameraden zu ziehen, in der Heimat zu bleiben, ein Ahnen
er vor dem Schönbrunner Schlosse umher. Und als die Prin¬
uns vielgestaltig wie kaum ein
sagt ihm, daß sich hier sein Schicksal erfüllen müsse.
zessin, die der törichte Volksmund rasch zur Geliebten Napoleons
chst Erzähler von Wienerischen
So weit fördert das Vorspiel die Handlung. In ge¬
gemacht, vorübergeht, stößt er ihr den Dolch ins Herz, der dem
sich alsbald allgemeineren Zielen
meinsamem Grabe werden die toten Liebesleute
Kaiser bestimmt war. Während er dann im Gefängnisse seines
des Mittelstandes, des Bürger¬
begraben. Auf dem Friedhofe treffen ihre Familien
Todesurteiles harrt, bringt ihm General Rapp die Freiheits¬
er mit Anfragen und Prüfungen
zum ersten Male zusammen und weit und unüber¬
botschaft. Er habe dem Kaiser das Leben gerettet, denn die
khrfach auch historisch ausholend.
brückbar klafft die Kluft, die dieses Bürgertum vom
Prinzessin haben erwiesenermaßen ein Attentat auf Napoleon
frie von ihm da, ein neues, ein
Adel trennt. Medardus ist, da sich der Friedhof leert, noch
geplant. Medardus aber wirft dieses Geschenk, das ihm
ich nicht sonderlich treues Bild.
beim Grabe zurückgeblieben. Die Prinzessin Helene, Francols'
kläglich und erbärmlich zu sein scheint, von sich und gesteht,
klärt das historische Ereignis
Schwester, hochmütig und von den Plänen ihres Vaters völlig
daß auch sein Mordplan gegen den Kaiser gerichtet gewesen
historischen die dramatische
erfüllt, kommt zu dem einsamen Grabe und legt Blumen
sei. Er verweigert auch das Versprechen, den Versuch in Hin¬
darauf, Medardus aber, von wildem Haß bewegt, verbietet ihr
kunft nicht zu unternehmen. Diese Zusage allein noch könnte ihm
die aufflammende Begeisterung
leidenschaftlich, dieses Grab zu schmücken, in dem auch seine
Reitung bringen. Unter dem Jammer der Mutter und des
hres 1809 ist das jämmerliche
Schwester ruht. Der Marquis von Valois tritt dazwischen, Freundes wird er erschossen.
milie und der zwecklose Narren¬
und Helene verspricht ihm ihre lang begehrte Hand, wenn er
Was neben diesen Hauptmotiven an Nebenhandlungen
ellt, der auserlesen schien, ein
Medardus töte. Schon fühlen wir, daß durch diesen Haß Liebe
einherläuft, ist voll und reich und farbenprächtig beigefügt,
t das ursprüngliche Maß der
schimmert. Im Duell mit dem Marquis wird Medardus schwer
so daß der Bau allenthalben mächtig zur Höhe steigt. Ohne
öhnlichen Dimensionen erhoben,
verletzt, Helene sendet ihre Dienerin zu ihm, um nach seinem
Zweifel ein großer, kühner, genialer Wurf! Dazu eine in
Bühnenform hat aus dem Buch¬
Befinden fragen zu lassen. Heimlich schleicht sich der Tod¬
ihren feinsten Werten sorgfältig gemessene und gewogene
eichungen vorgenommen. Ver¬
wunde vom Krankenbette weg, um der Prinzessin, deren Liebe
Sprache, die sich wiederholt zu hoher, hinreißender Kraft er¬
führung auch jetzt noch eine Zeit
er zu ahnen beginnt, seinen Dank zu Füßen zu legen. Anfänglich
hebt oder zart und lyrisch vertieft. Stark und nachhältig ist die
ansprucht, so vermag man zu er¬
leitet ihn der Gedanke, hier Gelegenheit zur Rache für die
Wirkung dieser Dichtung. Richtet man lediglich dieses als
Bild gestellt ist und wie weit
hingeopferte Schwester zu finden, alsbald aber bricht über¬
Prüfstein auf, so kann man das Werk ohne Einwand hin¬
Zunächst ein Vorspiel, das
mächtig leidenschaftliche Liebe durch. Rasch ist dieses Liebes¬
nehmen. Wie weit man indessen auch davon entfernt sein mag,
stieg zum Drama bringt, daß
motiv zu schwindelnder Höhe geschraubt, und nun greifen in
den künstlerischen Wert einer Dichtung nach ihrem Gehalte
lb es nicht als dessen erster Akt
jagender Eile die Ereignisse in einander. Die Franzosen stehen
an Moral zu bemessen, die Frage wird man niemals völlig
Sohn der Wiener Buchhändlers¬
vor den Toren, die Stadt ist in Not und Erregung. Medardus
von der Hand weisen können, welche Bereicherung unser Ge¬
us, rüstet sich zum Aufbruch in
ist kein Held mehr, die Liebe zu der Französin zehrt heiß an
fühlsleben empfangen habe, was zum Ende als positives Er¬
von Wiener Alademikern will
seiner Seele. Da geht er der guten Sache verloren. Die Prin¬
gebnis aufgewiesen worden sei. Was aber wird hier aus diesem
tgegenziehen. Seine Schwester
zessin reicht dem Marquis die Hand, um ihrem Vater einen
völligen Zusammenbruche gerette? Was ist hier in sich gefestet,
Prinzen Francois von Valois, Schwiegersohn zu geben, einen Erben für seine großen Pläne. was hat innerlichen Bestand und Dauer? Daß Schnitzler ein