II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 74

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22. DerjungeMedandus

um den Onkel. um das Vaterland, Helden schaffen, der Lauf der Dinge machte einen Narren


aus ihm.“
Wiest
chselnd in ihm. Und nun die Reise
All dem mag nun freilich gegenübergestellt werden, daß es
Voraltes in feiner Wehmut. Wahre Prachtgestalten und kaum
n? Seiner bitter erkauften Wahr¬
in dieser „dramatischen Historie“ nicht gilt, Probleme
zu übertreffen sind der Buchhändler Etzelt des Herrn
er ausgeht, zur Rache an dem
zu lösen, Fragen zu entscheiden. Dadurch aber scheint dieser
Treßler und der Sattlermeister Eschenbacher des Herrn
Zufall zum Mörder aus Eifersucht.
wahrhaft verheerende Feldzug gegen alle diese prächtigen
Balajthy, beide in ihrer verschwiegenen, scheuen
ehenden Schein des Heldentumes zu
Menschen, ihren guten, starken, reinen Willen und ihre Heilig¬
Größe überwältigend. Fräulein Wohlgemuth fehlt
rheit in einen unerklärlichen Tod.
tümer nicht gerechtfertigt.
es, wie uns scheint, ein wenig an jener blendenden, französischen
hrhaftig trotz aller ängstlichen Be¬
Anmut und Grazie, mit der die Prinzessin Helene unwider¬
Was diese Dichtung vor früheren Schnitzlers auszeichnet,
Stellen wir hier der dichterischen
stehlich werden soll. In die Aufführung fließen im übrigen
ist ihre rasch und kräftig ansteigende Handlung. Allen
e Begebenheit vergleichend
alle schauspielerisch verfügbaren Kräfte des Burgtheaters zu¬
Problemen ferne haben diese Leute keine Zeit, sich grüblerisch
die Napoleon, während die Friedens¬
sammen. Ja, die vom Autor vorgezeichnete Anzahl von
in sich selbst zu versenken, wie es Gestalten vom Blute
paren, in Schönbrunn abhielt, fiel dem
78 Einzelpersonen machte es — zum ersten Male an dieser
Schnitzlers so gern tun. Stark und donnernd klingt der Geschütz¬
derbare Benehmen eines jungen
Bühne — nötig, daß einige Schauspieler mehrere Rollen über¬
lärm herein, die Schicksale der Helden des bürgerlichen
Name, auf. Er ließ ihn festnehmen,
Dramas werden mitgerissen, eingeflochten in die großen äußer¬
nahmen. Reich und voll zusammenströmende Volksmengen,
ges Küchenmesser und Napoleon selbst
Mlitär, Bürgermiliz, ergeben wildbewegte und von der Kriegs¬
lichen Vorgänge So wird vieles bedeutend, was sonst kleinlich
ut des Gespräches war folgender:
unruhe jener Zeit beseelte Bilder.
wäre, wer hier ein Held im kleinen ist, gewinnt gewissermaßen
Ni#burg.“ „Was ist Ihr Vater!“
Eines ungeheuerlichen Aufgebotes von Kunst hat es bedurft,
ein Anrecht, in das Heldentum des Jahres 1809 eingestellt zu
"„Wie alt sind Sie?“ „Achtzehn
die szenischen Schwierigkeiten zu meistern. Das trauliche Wohn¬
werden. Zu sonderlichem Danke für die Historie haben wir
mit dem Messer tun?“ „Sie töten!“
zimmer des Klärschen Hauses, eine Schänke in den Donauauen,
Wiener eigemlich keinen Grund. Das Wiener Volk, das uns
Mann, Sie sind Illuminant!“ „Ich
das Glacis, die Basteien, das Schloß der Valois, ein Friedhof,
hier vorgeführt wird! Neugierig, tatenunlustig, nur zu
iß nicht, was das heißt, illuminant
eine Vorstadtgasse, der Verkaufsladen der Klärschen Buchhand¬
gemeinen Handstreichen und Straßenräubereien fähig, wankel¬
krank?“ „Ich bin nicht krank, ich
lung, der Vorplatz einer Kaserne, der Schloßhof von Schön¬
mütig in seiner Kaisertreue!
Warum wollten Sie mich töten?“
brunn, eine Kerkerzelle — in Eile jagen sich diese Bilder, jedes
Außergewöhnlich groß sind die Schwierigkeiten — die
lück meines Vaterlandes sind?“
meisterhaft gestellt, jedes umweht von dem süßen Duft des vor¬
technischen sowohl als die künstlerischen — welche die Aufführung
s Uebles getan?" „Wie allen
märzlichen Wien. Wie wir da über die Basteien hinaus in die
dieser Dichtung mit sich brachte und den Versuch, ihrer Herr
nach einigen Zwischenfragen):
weite, blaue Ferne blicken, auf die verschimmernden Dächer¬
zu werden, konnte füglich nur eine Bühne von der Kraft
spannten Kopf. Sie werden Ihre
reihen der Vorstädte, aus denen das Aufleuchten der
unseres Burgtheater unternehmen. Ob Herr Gerasch alle
ngen. Ich will Ihnen das Leben
Kanonen herüberblitzt, von denen der dumpfe Donner
Möglichkeiten erschöpft, uns diesen Medardus seelisch nahe¬
wegen des Verbrechens um Verzeihung
herüberrollt. Selten wurde uns eine Szenerie von
zubringen, ist fraglich. Die Höhe, auf der er ohne Zweifel
begehen wollen und nun bereuen
so berückender Phantasie und
finsterem historischen
steht, hat er zu sehr verstandesmäßig errungen. Der Medardus
Verzeihung, ich empfinde das innigste
Ernste gezeigt. Die ganz unsägliche Mühe, die an diese Auf¬
müßte vielleicht doch jünger, wärmer, schwärmerischer, körichter
es mir nicht gelungen ist.“ „Teufel
1, an Torheit ist gar kein Uebermaß aus führung verwendet wurde, ist aller Ehre und Anerkennung
n ist für Sie nichts!“ „Sie zu lölen
sein.
zudenken. Noch drängt sich die wehmütige Erwägung wert. Hohe Ziele sind hier erreicht, viel echtes Künstlertum in k
ern eine Pflicht.“ Napoleon hegte tal
Wirtlichkeit und Tat umgesetzt worden.
auf, was Kainz aus dieser Rolle gemacht hätte, an den der
der geistigen Gesundheit diesee
So ist „Der junge Medardus“ zu einer Bühnensensation
Sichter wohl bei seinen jahrelangen Arbeiten an dem
uns erscheint auf diesem kleine¬
größten Stiles geworden, zur ersten seit langem, vielleicht zur
Medardus“ gedacht haben mag. Von starkem, innerlichem Er¬
es Jünglings verständlich, der Vorfal
einzigen auf lange hinaus. Nun werden sich ja im Widerstreite
eben beseelt ist die Witwe Klär der Frau Römpler¬
sche Züge an. Ten psychologischen Ir
der Meinungen Stimmen erheben, die das Werk höher und
Rleibtreu. Sie ist im übrigen eine der wenigen Per¬
des „jungen Medardus“ zu folgen, in
unbedingter bewerten, als wir es hier zu kun vermochten. Wie
sonen, die in leichtem, dialektischem Anklingen das Wienerische
iger, nahezn unmöglich. Ganz gege¬
Rement aufschimmern lassen. Frau Medelsky als Agathe nahe es sich auch an das Herz einer bedeutungsvollen Epoche
d ein Wort über Medardus gesprochen
ichtig bestrahlt: „Goll wollte ihn zum bringt mit Herrn Frank als Francois das Liebesspiel des unserer Stadt herandrängt — ein vaterländisches Drama kann
es nicht genannt werben.
H. B.