II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 78

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22. Den—junge Medandus
038
1.

Bu
für Zeituniannen
ich, 1.
Konkordiaplatz 4
4
Velks Zeltung, Wien
2.5 NOV. 1910



Weent
Um wie viel natürlicher und zugleich dramatischer:
Um ihre dramatische Existenz zu rechtfertigen, kon¬
Burgtheater. dez#
ist der Vorgang, wie er sich wirklich zugetragen hat.
struiert der Dichter eine Verschwörung gegen das Leben
Auch das Vorgehen des Sattlermeisters Jakob
(Zum erstenmal aufgeführt; „Der junge Medardus“,
Napoleons. Medardus hatte sie früher selbst geplant;
historische Tragödie von Artur Schnitzler.)
Eschenbacher, der bekanntlich erschossen wurde, weil er
als aber Helene später von ihm als Liebessold das
Kanonen vergraben und damit gegen das Verbot des
Leben des Eroberers verlangt, überkommt ihn ein Ekel
Ein vielbewegtes, an dramatischen Szenen und
dichterischen Gestaltungen reiches Wiener Bild aus den
Siegers gehandelt hatte, ist in der Dichtung anders dor¬
und er wird in seinem Entschlusse wankend. Da kommt
napoleonischen Tagen des Jahres 1809 entrollt sich in
gestellt und übt dadurch eine schwächere Wirkung aus.
ihm das Gerücht zu Ohren, daß Helene die Geliebte
Kann sein, daß damals auch ein Befehl erlassen wurde,
schier erdrückender Fülle in einem Zeitraume von fast
Napoleons geworden sei und sinnlos vor Wut ersticht er
sämtliche Landkarten auszuliefern. Der Befehl war jeden¬
fünf Stunden vor unseren erregten, aber auch ermüdeten
sie, als sie sich eben über die Treppe des Schönbrunner
Sinnen.
Schlosses zu Napoleon begeben wollte.
falls läppisch; denn die österreichische Armee besaß gewiß
solche Landkarten und konnte sie sich auch anderweitig
Er wird festgenommen und im Kerker erhält er den
Der Dichter steht in einem fortwährenden Kampfe
verschaffen. Es ist also geradezu töricht, wenn sich Eschen¬
mit der Ueberfülle seines Stosses, der hauptsächlich durch
Besuch des Generals Rapp, der ihm mitteilt, daß er
bacher in eine solche Gefahr begibt, die weder ihm, noch
durch den Mord Helenens Napoleon das Leben gerettet
eine große, mit der Haupthandlung nur lose zusammen¬
dem Vaterlande nützen konnte, während das Vergraben
habe, da es unzweifelhaft festgestellt sei, daß diese ihn
hängenden Episode, dem Schicksal der französischen Herzogs¬
der Kanonen jedermann als patriotische Tat einleuchtet.
ermorden wollte. Rapp teilt ihm mit, daß er frei sei.
familie von Valois, verursacht wird. Der junge Medardus
Das Stück, das in erster Linie als eine Darstellung
Medardus nimmt aber die Gnade nicht an und teilt dem
und seine Schwester Agathe, Kinder der Buchhändlers¬
der bewegten Vorgänge in der Franzosenzeit im
Adjutanten ganz unnötigerweise mit, daß er selbst den
witwe Klähr, kommen in einen tragischen Konflikt mit
Jahre 1809 gedacht war, erleidet durch die breite Aus¬
Kaiser ermorden wollte. Rapp bietet ihm abermals die
der Familie Valois. Der junge Herzog François und
führung der romantischen Liebesgeschichten mit dem
Freiheit an, wenn er sein Ehrenwort gäbe, nichts gegen
Agathe haben einen heimlichen Liebesbund geschlossen.
Herzogshause Valois eine starke Verschiebung. Wir hören
Die redlichen Absichten des Prinzen scheitern aber an
den Kaiser unternehmen zu wollen. In Gegenwart seiner
zwar immer von dem Herannahen der Franzosen, von
dem Widerstande von François' Vater, der in seinem
Mutter und seines Freundes Etzelt antwortet er mit einem
den patriotischen Entschlüssen der Wiener, von Frei¬
eingebildeten Königsstolz die Ehe mit einem Bürger¬
schroffen: Nein. Hierauf wird er in den Hof geführt
und erschossen.
willigenkorps; aber durch sechs oder sieben Verwand¬
mädchen verweigert. Aus Verzweiflung hierüber suchen
die Liebenden den Tod in den Wellen der Donau.
lungen spinnt sich die romantische Liebesgeschichte, ohne
Diese Umdichtung des bekannten Attentates Friedrich
daß das eigentliche Thema in den Vordergrund tritt.
Auf dem Friedhof, wo das Paar gemeinsam
Stapß', der in flagranti ertappt wurde, als er einen
begraben wird, begegnen sich die beiden Familien.
Der Tod des Liebespaares, die Begräbnisszene, die
Dolch ziehen wollte, um den Kaiser zu ermorden, scheint
Aspirationen der Valois und die stark konstruierte verworrene
Medardus tritt der stolzen Herzogstochter Helene, die
uns verfehlt und unwahrscheinlich, Stapß handelte
Haß= und Liebesgeschichte zwischen Medarbus und Helene
einen Blumenstrauß auf das Grab ihres Bruders legen
damals im Momente der höchsten Erregung, in der
Diese
nehmen den größten Raum für sich in Anspruch.
will, schroff entgegen, nötigt sie, die Blumen zu ent¬
momentanen Extase des Märtyrers, der vor dem ge¬
dann
Exposition reicht über die Hälfte des Dramas;
ffernen und wird von dem Marquis von Valois. der
haßten Tyrannen kein demütigendes Versprechen ab¬
nur
legen will.
bleiben für die eigentlichen Wiener Vorgänge
den Affront gesehen, zum Zweikampf gefordert. Helene
einige gut geschaute und packende Szenenbilder übrig.
Bei Medardus liegt die Sache ganz anders. Der
verlangt von ihrem Verwandten den Tod Medardus' und
Fast alle diese Szenenbilder erregen das Interesse des
verspricht ihm dafür ihre Hand. Doch die Kämpfenden werden
Kaiser weiß, deff er ihm durch die Ermordung Helenens
Publikums und die physische Ermüdung wird in den
beide nur verwundet. Als ihm Helene durch ihr Kammer¬
das Leben gerettet hat. General Rapp schenkt ihm im
letzten Bildern durch hochdramatische Szenen wieder zur
Namen des Kaisers die Freiheit. Er nint sie aber
mädchen Blumen übersendet, loht die aus Haß und
Teilnahme aufgepeitscht.
nicht an. Die künstlich konstruierten Motive, daß er
Liebe gemengte Leidenschaft mächtig in ihm empor. Er
Wir sehen den echten Dichter auch bei einzelnen,
nachträglich in Helenen die Rächerin sieht, die Europa
steht vom Krankenlager auf, schleicht sich aus der
befreien will — allerdings, um den Ihrigen den Weg
meisterhaft gezeichneten Figuren an der Arbeit und selbst
Woynung, klettert über die Gartenmauer des herzog¬
zum Thron zu bahnen, leuchten uns nicht ein. Hätte er
die Nebenfiguren atmen wahres Leben. Wir wollen
lichen Besitzes und sagt Helenen überschwenglichen Dank
nur die treffliche Episodenrolle des Arztes mit seinem
nur geschwiegen, so hätte man von ihm auch nicht das
für ihre Blumengabe. Bald lodert die Leidenschaft in
Verzweiflungshumor und die rührende Gestalt des
Versprechen verlangt, nichts gegen den Kaiser zu unter¬
beiden empor und sie besiegeln ihren Liebesbund in
kindisch gewordenen, uralten Mannes mit seinem Ur¬
nehmen. Die Gegenwart der Mutter, die alle Qualen
einer geheimen Zusammenkunft.
enkelkinde erwähnen.
der Todesangst leidet und die der Dichter zur Ver¬
Bis hieher hat die umständliche und hyperroman¬
Auch die volkstümlichen Figuren der Landwehrleute
schärfung der tragischen Situation wählt, wirkt hiebei
tische Liebesaffäre keinen Zusammenhang mit den großen
und Bürger sind gut gesehen und zu lebhaft bewegten
peinlich und grausam und läßt die Starrköpfigkeit des
Kriegsereignissen und der Bedrängnis der Wiener

Bildern vereint.
Helden um so unbegreiflicher erscheinen.
Bürgerschaft im Jahre 1809.