Med
22. Deijunge Mardus
IS
Um ihre dramatische Existenz zu rechtfertigen, kon¬
struiert der Dichter eine Verschwörung gegen das Leben
dus“] Napoleons. Medardus hatte sie früher selbst geplant;
als aber Helene später von ihm als Liebessold das
und
Leben des Eroberers verlangt, überkommt ihn ein Ekel
und er wird in seinem Entschlusse wankend. Da kommt
ch in
ihm das Gerücht zu Ohren, daß Helene die Geliebte
fast
Napoleons geworden sei und sinnlos vor Wut ersticht er
sie, als sie sich eben über die Treppe des Schönbrunner
Schlosses zu Napoleon begeben wollte.
mpfe
Er wird festgenommen und im Kerker erhält er den
durch
Besuch des Generals Rapp, der ihm mitteilt, daß er
men¬
durch den Mord Helenens Napoleon das Leben gerettet
zogs¬
habe, da es unzweifelhaft festgestellt sei, daß diese ihn
ardus
ermorden wollte. Rapp teilt ihm mit, daß er frei sei.
dlers¬
Medardus nimmt aber die Gnade nicht an und teilt dem
mit
Adjutanten ganz unnötigerweise mit, daß er selbst den
Kaiser ermorden wollte. Rapp bietet ihm abermals die
ossen.
Freiheit an, wenn er sein Ehrenwort gäbe, nichts gegen
an
den Kaiser unternehmen zu wollen. In Gegenwart seiner
einem
Mutter und seines Freundes Etzelt antwortet er mit einem
Arger¬
schroffen: Nein. Hierauf wird er in den Hof geführt
suchen
und erschossen.
Diese Umdichtung des bekannten Attentates Friedrich
nsam
Stapß', der in flagranti ertappt wurde, als er einen
ilien.
Dolch ziehen wollte, um den Kaiser zu ermorden, scheint
uns verfehlt und unwahrscheinlich, Stapß handelte
legen
damals im Momente der höchsten Erregung, in der
ent¬
momentanen Extase des Märtyrers, der vor dem ge¬
der
haßten Tyrannen kein demütigendes Versprechen ab¬
helene
legen will.
und
Bei Medardus liegt die Sache ganz anders. Der
erden
Kaiser weiß, des er ihm durch die Ermordung Helenens
das Leben gerettet hat. General Rapp schenkt ihm im
und
sie aber
Namen des Kaisers die Freiheit. Er nimmt
Er
daß er
nicht an. Die künstlich konstruierten Motive,
der
nachträglich in Helenen die Rächerin sieht, die Europa
befreien will — allerdings, um den Ihrigen den Weg
Dank
zum Thron zu bahnen, leuchten uns nicht ein. Hätte er
nur geschwiegen, so hatte man von ihm auch nicht das
din
Versprechen verlangt, nichts gegen den Kaiser zu unter¬
nehmen. Die Gegenwart der Mutter, die alle Qualen
Anan¬
der Todesangst leidet und die der Dichter zur Ver¬
oßen
schärfung der tragischen Situation wählt, wirkt hiebei
ener
peinlich und grausam und läßt die Starrköpfigkeit des
Helden um so unbegreiflicher erscheinen.
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—
G87A1
Um wie viel natürlicher und zugleich dramatischer: Den Hauptfiguren fehlt es nicht an dramatischem
ist der Vorgang, wie er sich wirklich zugetragen hat.
Leben, das zu wirksamen Höhepunkten emporwächst. Bei
Auch das Vorgehen des Sattlermeisters Jakob
der Riesenzahl der Darsteller ist es unmöglich, sie alle
Eschenbacher, der bekanntlich erschossen wurde, weil er
nach Gebühr zu würdigen.
Kanonen vergraben und damit gegen das Verbot des
Am hervorragendsten wirkten die Damen Römpler¬
Siegers gehandelt hatte, ist in der Dichtung anders dar¬
Bleibtreu, Wohlgemuth, Medelsky
gestellt und übt dadurch eine schwächere Wirkung aus.
und Hofteufel, sowie die Herren Gerasch,
Kann sein, daß damals auch ein Befehl erlassen wurde,
Valajthy, Treßler, Hartmann, Devrient.
sämtliche Landkarten auszuliefern. Der Befehl war jeden¬
Reimers, Arndt, Heine, Straßni und
Frank.
falls läppisch; denn die österreichische Armee besaß gewiß
solche Landkarten und konnte sie sich auch anderweitig
Frau Bleibtreu als schwergeprüfte Mutter
verschaffen. Es ist also geradezu töricht, wenn sich Eschen¬
und Schwester hatte Momente von hinreißender Gewalt.
bacher in eine solche Gefahr begibt, die weder ihm, noch
Fräulein Wohlgemuth gab die stolze Herzogs¬
dem Vaterlande nützen konnte, während das Vergraben
tochter mit ihrer dämonischen, von Haß und Liebe
der Kanonen jedermann als patriotische Tat einleuchtet.
durchtobten Seele mit imponierender Haltung und starken
Das Stück, das in erster Linie als eine Darstellung
Akzenten. Den schwankenden, von heroischen Impulsen
der bewegten Vorgänge in der Franzosenzeit im
und Liebesstürmen durchtobten Helden Medardus gab
Jahre 1809 gedacht war, erleioet durch die breite Aus¬
Herr Gerasch mit starker Empfindung und edlem Un¬
führung der romantischen Liebesgeschichten mit dem
gestüm. Herrn Treßlers Etzelt, der Freund
Herzogshause Valois eine starke Verschiebung. Wir hören
Medardus', gab ein sympathisches Gegenbild seines
zwar immer von dem Herannahen der Franzosen, von
stürmischen Freundes. Herr Balajthy gab den
den patriotischen Entschlüssen der Wiener, von Frei¬
strammen Bürger Eschenbacher, dessen Opfer man aller¬
willigenkorps; aber durch sechs oder sieben Verwand¬
dings nicht begreifen konnte, auf seinem Totengange
lungen spinnt sich die romantische Liebesgeschichte, ohne
mit ergreifender Schlichtheit. Herr Hartmann als
daß das eigentliche Thema in den Vordergrund tritt.
blinder Herzog von Valois repräsentierte den stolzen
Der Tod des Liebespaares, die Begräbnisszene, die Anwärter des Thrones, wie den unglücklichen Vater mit
Aspirationen der Valois und die stark konstruierte verworrene
Noblesse und Würde. Der General Rapp des Herrn
Haß= und Liebesgeschichte zwischen Medardus und Helene
Reimers gewann mit der Urbanikät seines Wesens
nehmen den größten Raum für sich in Anspruch. Diese
alle Sympathien. Besondere Anerkennung verdienen noch
Exposition reicht über die Hälfte des Dramas; dann
die glänzenden Episoden der Herren Straßni (ur¬
bleiben für die eigentlichen Wiener Vorgänge nur
alter Herr) und Arndt (Arzt).
einige gut geschaute und packende Szenenbilder übrig.
Die Regie führte Herr Thimig. Es war eine
Fast alle diese Szenenbilder erregen das Interesse des
gigantische Arbeit, die eine glänzende Lösung fand. Auch
Publikums und die physische Ermüdung wird in den
die Hingebung der Darstellung, die ausnahmslos ihr
letzten Bildern durch hochdramatische Szenen wieder zur
Bestes gab, verdient volle Anerkennung. Kein zweites
Teilnahme aufgepeitscht.
Theater wäre imstande, mit einer solchen Darstellung und
Wir sehen den echten Dichter auch bei einzelnen,
solchen dekorativen Leistungen die schwere Aufgabe zu
meisterhaft gezeichneten Figuren an der Arbeit und selbst
lösen, die ihm der Dichter gestellt hat.
die Nebenfiguren atmen wahres Leben. Wir wollen
Die Dichtung, die an vielen Stellen starke Wirkung
nur die treffliche Episodenrolle des Arztes mit seinem
erzielte, leidet an Hypertrophie der Phantasie und
Verzweiflungshumor und die rührende Gestalt des
Gestaltungskraft, wodurch das Ganze ins Uferlose
kindisch gewordenen, uralten Mannes mit seinem Ur¬
wuchs und die harmonische Ausgestaltung einer einheit¬
enkelkinde erwähnen.
lichen Handlung einschränkte. Die szenische Führung und
Auch die volkstümlichen Figuren der Landwehrleute
das von dichterischem Hauch durchdrungene Wandelbild
und Bürger sind gut gesehen und zu lebhaft bewegten
großer Ereignisse sichern ihr aber das Interesse des
Bildern vereint.
Publikums
V. Chiavacci.
B
22. Deijunge Mardus
IS
Um ihre dramatische Existenz zu rechtfertigen, kon¬
struiert der Dichter eine Verschwörung gegen das Leben
dus“] Napoleons. Medardus hatte sie früher selbst geplant;
als aber Helene später von ihm als Liebessold das
und
Leben des Eroberers verlangt, überkommt ihn ein Ekel
und er wird in seinem Entschlusse wankend. Da kommt
ch in
ihm das Gerücht zu Ohren, daß Helene die Geliebte
fast
Napoleons geworden sei und sinnlos vor Wut ersticht er
sie, als sie sich eben über die Treppe des Schönbrunner
Schlosses zu Napoleon begeben wollte.
mpfe
Er wird festgenommen und im Kerker erhält er den
durch
Besuch des Generals Rapp, der ihm mitteilt, daß er
men¬
durch den Mord Helenens Napoleon das Leben gerettet
zogs¬
habe, da es unzweifelhaft festgestellt sei, daß diese ihn
ardus
ermorden wollte. Rapp teilt ihm mit, daß er frei sei.
dlers¬
Medardus nimmt aber die Gnade nicht an und teilt dem
mit
Adjutanten ganz unnötigerweise mit, daß er selbst den
Kaiser ermorden wollte. Rapp bietet ihm abermals die
ossen.
Freiheit an, wenn er sein Ehrenwort gäbe, nichts gegen
an
den Kaiser unternehmen zu wollen. In Gegenwart seiner
einem
Mutter und seines Freundes Etzelt antwortet er mit einem
Arger¬
schroffen: Nein. Hierauf wird er in den Hof geführt
suchen
und erschossen.
Diese Umdichtung des bekannten Attentates Friedrich
nsam
Stapß', der in flagranti ertappt wurde, als er einen
ilien.
Dolch ziehen wollte, um den Kaiser zu ermorden, scheint
uns verfehlt und unwahrscheinlich, Stapß handelte
legen
damals im Momente der höchsten Erregung, in der
ent¬
momentanen Extase des Märtyrers, der vor dem ge¬
der
haßten Tyrannen kein demütigendes Versprechen ab¬
helene
legen will.
und
Bei Medardus liegt die Sache ganz anders. Der
erden
Kaiser weiß, des er ihm durch die Ermordung Helenens
das Leben gerettet hat. General Rapp schenkt ihm im
und
sie aber
Namen des Kaisers die Freiheit. Er nimmt
Er
daß er
nicht an. Die künstlich konstruierten Motive,
der
nachträglich in Helenen die Rächerin sieht, die Europa
befreien will — allerdings, um den Ihrigen den Weg
Dank
zum Thron zu bahnen, leuchten uns nicht ein. Hätte er
nur geschwiegen, so hatte man von ihm auch nicht das
din
Versprechen verlangt, nichts gegen den Kaiser zu unter¬
nehmen. Die Gegenwart der Mutter, die alle Qualen
Anan¬
der Todesangst leidet und die der Dichter zur Ver¬
oßen
schärfung der tragischen Situation wählt, wirkt hiebei
ener
peinlich und grausam und läßt die Starrköpfigkeit des
Helden um so unbegreiflicher erscheinen.
box 26/5
—
G87A1
Um wie viel natürlicher und zugleich dramatischer: Den Hauptfiguren fehlt es nicht an dramatischem
ist der Vorgang, wie er sich wirklich zugetragen hat.
Leben, das zu wirksamen Höhepunkten emporwächst. Bei
Auch das Vorgehen des Sattlermeisters Jakob
der Riesenzahl der Darsteller ist es unmöglich, sie alle
Eschenbacher, der bekanntlich erschossen wurde, weil er
nach Gebühr zu würdigen.
Kanonen vergraben und damit gegen das Verbot des
Am hervorragendsten wirkten die Damen Römpler¬
Siegers gehandelt hatte, ist in der Dichtung anders dar¬
Bleibtreu, Wohlgemuth, Medelsky
gestellt und übt dadurch eine schwächere Wirkung aus.
und Hofteufel, sowie die Herren Gerasch,
Kann sein, daß damals auch ein Befehl erlassen wurde,
Valajthy, Treßler, Hartmann, Devrient.
sämtliche Landkarten auszuliefern. Der Befehl war jeden¬
Reimers, Arndt, Heine, Straßni und
Frank.
falls läppisch; denn die österreichische Armee besaß gewiß
solche Landkarten und konnte sie sich auch anderweitig
Frau Bleibtreu als schwergeprüfte Mutter
verschaffen. Es ist also geradezu töricht, wenn sich Eschen¬
und Schwester hatte Momente von hinreißender Gewalt.
bacher in eine solche Gefahr begibt, die weder ihm, noch
Fräulein Wohlgemuth gab die stolze Herzogs¬
dem Vaterlande nützen konnte, während das Vergraben
tochter mit ihrer dämonischen, von Haß und Liebe
der Kanonen jedermann als patriotische Tat einleuchtet.
durchtobten Seele mit imponierender Haltung und starken
Das Stück, das in erster Linie als eine Darstellung
Akzenten. Den schwankenden, von heroischen Impulsen
der bewegten Vorgänge in der Franzosenzeit im
und Liebesstürmen durchtobten Helden Medardus gab
Jahre 1809 gedacht war, erleioet durch die breite Aus¬
Herr Gerasch mit starker Empfindung und edlem Un¬
führung der romantischen Liebesgeschichten mit dem
gestüm. Herrn Treßlers Etzelt, der Freund
Herzogshause Valois eine starke Verschiebung. Wir hören
Medardus', gab ein sympathisches Gegenbild seines
zwar immer von dem Herannahen der Franzosen, von
stürmischen Freundes. Herr Balajthy gab den
den patriotischen Entschlüssen der Wiener, von Frei¬
strammen Bürger Eschenbacher, dessen Opfer man aller¬
willigenkorps; aber durch sechs oder sieben Verwand¬
dings nicht begreifen konnte, auf seinem Totengange
lungen spinnt sich die romantische Liebesgeschichte, ohne
mit ergreifender Schlichtheit. Herr Hartmann als
daß das eigentliche Thema in den Vordergrund tritt.
blinder Herzog von Valois repräsentierte den stolzen
Der Tod des Liebespaares, die Begräbnisszene, die Anwärter des Thrones, wie den unglücklichen Vater mit
Aspirationen der Valois und die stark konstruierte verworrene
Noblesse und Würde. Der General Rapp des Herrn
Haß= und Liebesgeschichte zwischen Medardus und Helene
Reimers gewann mit der Urbanikät seines Wesens
nehmen den größten Raum für sich in Anspruch. Diese
alle Sympathien. Besondere Anerkennung verdienen noch
Exposition reicht über die Hälfte des Dramas; dann
die glänzenden Episoden der Herren Straßni (ur¬
bleiben für die eigentlichen Wiener Vorgänge nur
alter Herr) und Arndt (Arzt).
einige gut geschaute und packende Szenenbilder übrig.
Die Regie führte Herr Thimig. Es war eine
Fast alle diese Szenenbilder erregen das Interesse des
gigantische Arbeit, die eine glänzende Lösung fand. Auch
Publikums und die physische Ermüdung wird in den
die Hingebung der Darstellung, die ausnahmslos ihr
letzten Bildern durch hochdramatische Szenen wieder zur
Bestes gab, verdient volle Anerkennung. Kein zweites
Teilnahme aufgepeitscht.
Theater wäre imstande, mit einer solchen Darstellung und
Wir sehen den echten Dichter auch bei einzelnen,
solchen dekorativen Leistungen die schwere Aufgabe zu
meisterhaft gezeichneten Figuren an der Arbeit und selbst
lösen, die ihm der Dichter gestellt hat.
die Nebenfiguren atmen wahres Leben. Wir wollen
Die Dichtung, die an vielen Stellen starke Wirkung
nur die treffliche Episodenrolle des Arztes mit seinem
erzielte, leidet an Hypertrophie der Phantasie und
Verzweiflungshumor und die rührende Gestalt des
Gestaltungskraft, wodurch das Ganze ins Uferlose
kindisch gewordenen, uralten Mannes mit seinem Ur¬
wuchs und die harmonische Ausgestaltung einer einheit¬
enkelkinde erwähnen.
lichen Handlung einschränkte. Die szenische Führung und
Auch die volkstümlichen Figuren der Landwehrleute
das von dichterischem Hauch durchdrungene Wandelbild
und Bürger sind gut gesehen und zu lebhaft bewegten
großer Ereignisse sichern ihr aber das Interesse des
Bildern vereint.
Publikums
V. Chiavacci.
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