II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 110

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Furagbare Nacheplane steigen in ihm anf. Sein
lahm, sein Dolch stumpf geworden, denn Medardus
Vater ist ein Opfer Napolcons, seine Schwester eines
Gre
„Der junge Medardus“,
kann nicht aus dem Rächer seines Vaterlandes ein
Franzosen aus dem Hause Valois geworden. Nun
4 dramatische Historie von Arthar Schnitzser,
gedungener Mörder im Solde der Valois werden.
bleibt Medardus in der Stadt. „Es könnte sein,
Seine Liebe zu Helene hat einen anderen Menschen
Uraufführung im Wiener Hofburgtheater
daß ich hier noch was zu tun hätte", ruft er un¬
am 24. November.
aus ihm gemacht. Die Eifersucht quält ihn, macht
heimlich drohend.
ihn sinnlos, und sein Dolch, der für Napoleon be¬
Das Vorspiel, ein Stück für sich, das in dieser
Am 12. Oktober 1809 hielt KaiserMpoleon
stimmt war, wühlt sich in Helenens Herz. Man
Historie eine glänzende Exposition versieht, ist zu
der Erste im Schloßhof zu Schönbrunn am Vor¬
bringt Medardus ins Gefängnis. Er hat dem
Ende. Der erste Aufzug bietet ein düsteres Fried¬
mittag über einige Abteilungen von französischen
Kaiser von Frankreich das Leben gerettei, denn es
Soldaten welche als Gefangene gegen österreichische hofsbild, die Leichen des unglücklichen Liebespaares
ist erwiesen, daß Helene mit der Absicht ins Schloß
ausgewechselt waren, Musterung. Da drängte sich werden im gemeinsamen Grabe bestattet. Schon
kam, Napoleon zu ermorden. Napoleon entsendet
haben sich die Trauergäste entfernt, und noch liegt
ein junger Mann von sympathischem Außeren, der
General Rapp zu Medardus, diesen vor sein Ange¬
Medardus im Schmerz versunken vor dem frischen
ein zusammengefaltetes Papier in den Händen hielt,
sicht zu bringen, um ihm die Freiheit zu schenken.
Grabe. Die Andacht seiner Trauer wird gestört
durch die Suite. Der Flügeladjutant General
Doch Medardus lehnte diese Großmut ab, denn
durch die Ankunft der Prinzessin Helene der
Rapp ließ den Zudringlichen festnehmen und
offen bekennt er, er habe Napoleon unschädlich
auf die Schloßwache führen. Als er daselbst einer Schwester von Francois, die des Bruders Grab¬
machen wollen. Wäre ihm Helene nicht in den Weg
stätte mit Blumen schmücken will. In wildem Auf¬
Leibesvisitation unterzogen wurde, fand man in
gekommen, hätte sein Stahl Napoleon getroffen.
schrei heischt Mrdardus, daß die Prinzessin die
seiner Rocktasche ein großes zweischneidiges Messer.
Napoleon, dem dies freimütige Geständnis impo¬
Blumen fortnehme „oder ich zertrete sie.“ — Marquis
Über dessen Bestimmung befragt, verweigerte er
niert, will Medardus wvieder die Freiheit geben,
Bertrand von Valois der um Helene wirbt und ihr auf
jede Auskunft mit den Worten: „er werde nur dem
wenn er verspricht, ihm nicht mehr nach dem Leben
den Friedhof gefolgt ist, fordert Medardus vor seine
Kaiser Rede siehen". Napoleon von dem Vorfalle
zu trachten. Mutter und Freunde vermögen
Klinge. Die Prinzessin gelobt ihm, die Seine zu
in Kenntnis gesetzt, ließ sich den Gefangenen vor¬
Medardus zu diesem Worte nicht zu bewegen, und
führen, welcher angab, er heiße Friedrich Stapps werden, wenn er den Frechling tötet. Diesen Auf¬
er erduldet den Feuertod als „dieses Krieges letzter
und mache kein Hehl daraus, daß er gekommen sei, trag vermag aber der Marquis nicht auszuführen
und seltsamster Held“.
um den Kaiser zu ermorden. Napoleon stellte dem denn Medardus pariert den tötlichen Gegenstich
Ist es uns geglückt, die Vorgänge im „jungen
jungen Manne volle Begnadigung in Aussicht, wenn geschickt, verletzt den Herzog am Arm und erhält
Medardus“ wie wir es angestrebt haben, plastisch
er von seinem verbrecherischen Vorhaben abstehe. von ihm eine gefährliche Wunde unweit des
und ausführlich zu skizzieren, dann sind wir der
„Sie zu töten,“ erwiderte Stapps ruhig, „ist für Herzens. Helene wird die Sorge um den hübschen
Kritik enthoben. Denn man wird leicht erkennen,
mich kein Verbrechen, sondern Pflicht. Ich verlange mutigen Medardus nicht los., Die von ihm schwer
daß in jeder Szene der Dramatiker, der Poet
mir leine Verzeihung und bedauere nur, daß ich Beleidigte entsendet ihre Vertraute Nerina in die
waltet, der das Leben in seiner ursprünglichen Kraft
meine Absicht nicht habe av ühren können.“ Der Krankenstube, damit sie Medardus die Blumen
und Gewalt darstellt und keine der vielen Personen
bringe, die er vernichten wollte. Der fiebernde
junge Mann wurde zum Tode verurteilt; mit
verzeichnet, Menschen von Fleisch und Blut aus den
Medardus läßt der Prinzessin sagen, daß er noch
mutiger Fassung betrat Stapps am 15. Oktober
verschiedenen Sphären und Schichten portraitgetren
am Abend sich im Parke ihrer Villa einfinden werde,
1809 den Richtplatz und bot standhaft seine Brust
gestaltet hat. Der junge Medardus selbst ist am
ihr seinen Dank persönlich zu Füßen zu legen.
den Geschossen, welche sein Leben beschlossen.
besten charakterisiert durch die Antwort, die er von
Helenens Botschaft kommt ihm gelegen. Seine
Das st die historische Taisache, deren sich
seinem Freunde Etzelt erhält: „Worte, Medardus,
Schwester will er rächen, wenn er die Prinzessin in
Arthur Schnitzler in seinem „jungen Medardus“
große tönende Worte!“ Es ist ein Werk von unge¬
den Armen hat, alle zusammenrufen, Herrschaft
bemächtiot hat. Er schildert die Wiener Tage des
heurem Reichtum der Erscheinungen und Gescheh¬
und Lakaien. Mit der Wunde in der Brust macht
unglücklichen Kriegsjahres 1809, gibt ein Kultur¬
nisse und bedeutet nach dieser Richtung vielleicht eine
bild der traurigen Epoche und vermehrt gleichzeitig er sich zum Rachewerk auf. Helene hat sich inzwischen
bedeutsame Wende in Schnitzlers Schaffen; in der
die Napoleon=Dramen. Der Autor hält sich größten= dem Marquis verlobt, doch die Bedingung gestellt,
Tiefe und Weißheit der Empfindung ist es ein echter
teils an die Ereignisse, bringt auch historische daß er gleich nach der Trauung nach Frankreich ab¬
Ludwig Klinenberger.
Schnitzler.
Personen auf die Bühne, gestaltet aber ihr Walten reisen müsse. Ich will nicht früher einen Sohn zu
erwarten haben,“ sagt sie ihm, „ehe ich sicher bin,
für seine dichterischen Zwecke mitunter anders, als
Die Aufführung.
daß er bestimmt ist, einmal König von Frankreich
der Chronist vermeldet. Wien ist wieder von der
L. K. Wien, 10 Uhr abends.
zu werden.“ Etzelt, der die Klährsche Buchhandlung
Franzosennot bedrängt, die Bevölkerung vom
leitet und Medardus treuer Freund, wartet sorgen¬
Die mit Spannung erwarteie Urpremiere
Napoleon=Haß erfüllt. Der große Korse fühlt sich
voll die ganze Nacht vor der Villa Valois. Seine
seinem Plane, eine Weltherrschaft zu begrunden,
fand bei einem bis aufs letzte Plätzchen gefüllten
Ahnung hat ihm den richtigen Weg gezeigt. Da der
näher gerückt. Die Bürgermiliz bewacht die Stadt,
Haus statt. Das Haus bot einen glänzenden An¬
junge Tag beginnt, schlüpft Medardus aus der
die Landwehr kommt ins Gesecht und wirkt Wunder
blick. In den Logen und im Parkett waren die
Gartenpforte.
Vertreter des geistigen und künstlerischen Wiens fast
der Tapferkeit. Der junge Erzherzog Maximilian,
Die Franzosen sind inzwischen vor Wien an¬
vollzählig erschienen unter denen man zahlreiche
der das Stadtkommando inne hat, schreitet zur Auf¬
charakteristische Gestalten bemerkte. Außer der
gelangt. Sie haben ein Haus hinter den kaiser¬
stellung von Freiwilligenkorps und errichtet aller
Künstlerwelt waren viele Stars anwesend, ferner
Orten Werbestationen. Jeder, der ein eigenes Ge¬
lichen Stallungen am Spittelberg durchgebrochen,
um ihre Kanonen auf die Burgbastei richten zu
sah man viele Hoffunktionäre, den Obersthofmeister
wehr, Pulver und Blei besitzt, hat solches mitzu¬
können. Ein Trompeter, der mit den Abgesandten
Fürsten Montenuovo, den Kabinettsdirektor
bringen, und die übrigen nicht Bewaffneten müssen
des Marschall Lannes durchs Tor geritten ist, wird
Freiherr von Schießl. In der Hofloge ist Erz¬
mit Sensen, Hacken und dergleichen Dienste leisten.“
von der aufgeregten Menge erschlagen. Kanonen¬
herzog Karl Stephan mit Sohn und Tochter,
So sieht es im Wien des „jungen Medardus“ aus.
hingegen fehlten die aristokratischen Kreise. Die
Er ist der Sohn der Buchhändlers=Witwe Klähr, denner erdröhnt. Der Feuerschein am Himmel ver¬
ihr Mann diente bei der Bürgergarde, ihm war rät, daß viele Gebäude in Flammen stehen. Die
erste Pause trat um ¼ 10 Uhr nach dem zweiten
nicht ein ehrlicher Soldatentod bestimmt. Er Kanonade dauert an, Hunger und Not steigern die
Akt (8. Bild) ein. Die ersten 7 Bilder wickelten sich
wurde mit der ganzen Bürgergarde aufs Glacis be= Erregung Lebensmittel sind kaum aufzutreiben.
fast ohne Unterbrechung ab. Nach dem Vorspiel setzte
Das Volk verlangt stürmisch, man möge kapitulieren
orderi, um den Kaiser Navoleon zu erwarten und
bereits Beifall ein. Kaum, daß er ertönte, erschien
und die weiße Fahne auf der Bastei aufstecken. „Wir
Regisseur Thimig, um im Namen des Dichters
vor ihm zu paradieren. Von sieben Uhr abends
zu danken.
wollen nicht massakriert werden!“ tobt die Menge.
bis Mitternacht standen sie wie Lakeien im Schnee¬
sturm da vergeblich — der Kaiser kam nicht. Fieber. Ein uralter, schon schwachsinniger Herr, dem alle
Nach dem ersten Akt war der Beifall schon
geschütielt trat Klähr in seine Stube, legte sich ins seine Kinder und Kindeskinder ins Grab voran¬
lebhaft und Schnitzler konnte selbst sich dem Publi¬
Bett und starb nach drei Tagen. Das hat in Frau gegangen sind zieht mit einer kleinen Urenkelin
kum einigemal zeigen. Das Bild des zweiten Aktes
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Klähr den Ingrimm gegen Napoleon noch mächtig durchs Stück. Das Schlachtgetöse lockt ihn auch auf
ließ einigermaßen kühl; das Publikum applaudierte
geschürt. Auf ihren prächtigen Sohn Medardus hat die Burgbastei, da tötet ein Granatsplitter das kleine
nur einigemal dem vortrefflichen Spiel des Herrn
die Tochter des befreundeten Drechslermeisters Anna Mädchen und nun steht der Alte ganz allein da.
Arndt. Nach dem zweiten Akt konnte Schnitzler
ein liebevolles Auge gerichtet. Medardus soll am Wien hat sich ergeben. Napoleon ist in Schönbrunn
wieder mehrmals erscheinen. Indes zeigte sich, daß
nächsten Tage zur Studentenlegion einrücken. Seine eingezogen. Die Trauung zwischen Helene und dem
die ungeheure Arbeit, die das Burgtheater auf dieses
Schwester Agathe liebt den jungen Prinzen Francois, Marquis wurde vollzogen. Durch seine Kundschafter
Stück angewendet hatte, den Jutentionen Schnitzlers
einen Sproß aus der capetinaischen Seitenlinie hat Napoleon hievon Kenntnis bekommen, sendet
nicht ganz gerecht werden konnte. Man mußte be¬
General Rapp zu den bestürzten Valois', der Braut
der Valois, die einst auf Frankreichs Thron ge¬
kanntlich mit der Drehbühne arbeiten, um nicht
fessen. Der verbannte alte blinde Herzog Christophe,
nebst den Glückwünschen ein kostbares Perlenhals¬
durch den Aufbau der einzelnen Bühnenbilder die
band als Angebinde zu bringen und die Familie
dem der Kaiser von Österreich in einem Vorsiadt¬
szenische Folge der Bilder zu stören. Die Drehbühne
zu der am nächsten Tage in Schönbrunn statt¬
palais von Wien Gastfreundschaft gewährt, träumt
lgestattet aber nur allzu kleine Räume, was die Ent¬
findenden Cour einzuladen.
von der Wiedereinsetzung der Valois. Wenige Ge¬
faltung der einzelnen Bilder beeinträchtigte. Die
treue, die seinen Hof bilden nähren den Lieblings¬
Anna Berger sucht für ihr krankes Herz, in
Inszenierung war im allgemeinen vortrefflich. Den
gedanken des aussichtslosen Prätendenten. Francois,
dem Medardus steckt, Heilung durch die Pllege Unterschied zwischen Drehbühne und offener Bühne
ein feiner liebenswürdiger Jüngling, kann den Kriegsverwundeter. Im Lazarett holt sie sich den
merkte man besonders deutlich bei dem außerordent¬
Starrsinn seiner Eltern nicht brechen, sieht die Un= Tod Wieder bringt die Szene das Friedhofsbildllich hübsch ausgestatteten Bild, die Burabastei. Die¬
möglichkeit, Agathe zu seiner Frau zu machen, und anläßlich der Beerdigung der armen Anna. Ihr ssem Bild war die ganze Breite der Bühne frei¬
stürzt sich mit ihr in die Donau.
gibt auch Medardus, dessen Haß zu Helenen sich in
gegeben und da konnte sich ein prächtiges lebendiges
In einem kleinen Wirtshaus der Donau= glühende Liebe verwandelt hat, das letzte Geleite.
Bild entfalten. Sehr hübsch war das zweite Bild,
auen versammeln sich die Studenten vor dem Auf. Helene, die sich seiner sicher glaubt, beschließt,
die Schenke. Dagegen war für den Garten des Palais
bruch aus der Stadt. Sie sind der Begeisterung voll, Medardus zu ihrem Werkzeug zu machen. Sie strebt, Valois und für das Palais selbst zu wenig Raum
suchen ihren Heldenmut durch patriotische Lieder zu den Valois' die Krone Frankreichs wieder zu er=übrig gelassen. Das Friedhofsb'ld übte einen starken
befeuern, scherzen und lachen, in Wirklichkeit ist dies ringen, und will Medardus zum Mörder Napoleons Eindruck. Unzulänglich erschien dagegen das siebente