II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 124

22. Denjunge Medandus
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Telephon 12.801.

Bürger und Bürgermeister sind mit sauberster Delikatesse in feinster
ER“
die Donau. Die Mutter bleibt stark und ernst und weint nur nach
Strichelmanier hingepinselt. Keiner ragt sonderlich aus dem Haufen
innen. Man sieht: Dieses Schauspiel gibt das Wienerische nur als
nen für Zeitungs¬
pervor, aber jeder von den vierzig hat sein eigenes Wiener Gesicht.
schmückendes Attribut, nicht als Wesen der Gestalten.
raphie.
Um alle diese Physiognomien unterscheidend zu genießen, dazu ist's
Nur der junge Medardus ist vielleicht ein wirklicher Wiener. Er
freilich nötig, daß man sich sie ganz aus der Nähe anschaut. Die
platz 4.
wollte in den Krieg gegen Napoleon ziehen. Während er beim
Erste Parkettreihe ist schon ein bißchen zu weit .... Am besten
Abschiedsschmaus des Regiments in einem kleinen Gasthaus
ieht man die Gesichter, wenn man sich abends zu Hause in
an der Donau sitzt, wird seine schöne Schwester als Leiche
leveland, Christiania,
kein Fauteuil setzt und sich die Leute im Buch anschaut . .. Ueber den
hereingetragen. Sie hat den Prinzen Franz v. Valois ge¬
ailand, Minneapolis,
Altwiener Porträts der Familien Klär, Eschenbacher, Berger, Grin¬
liebt, der sie nicht heiraten durfte. Da sind sie zusammen
tockholm, St. Peters¬
Kinger sieht man, in besserer Theaterperspektive, die Gestalten im
in die Donau. (Dieser junge Prinz, der mit Heiterkeit sein Leben
Hause des emigrierten Herzogs von Valois. Ein französischer Prä¬
wie einen Handschuh ablegt und fortwirft, ist die feinste Zeichnung
endent, der immer noch das Schauspiel seiner Königlichkeit auf¬
im Rundgemälde.) Medardus, entsetzt, legt den Kriegerhelm beiseite
Führt ... Ueber das ganze Panorama aber fällt ein riesiger
und bleibt in Wien. Das ist vielleicht ein wienerischer Zug: Wie
Schatten, die Silhonette des Mannes, der zu groß war, als daß ihn
schnell der Napoleonhasser die historische Mission von sich tut! Wegen
GBLA
Schnitzler mit seinen zarten kleinen Pinselstrichen auf seinem histori¬
eines Familienereignisses .... Auf dem Friedhof, François und
schen Tableau hätte unterbringen können: Napoleon.
Arathe werden in einem Grab bestattei, begegnet der junge
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Für den Wiener bringt Schnitzler allerlei Verführungsmittel, die
Medardus der Prinzessin Helene von Valois. Er wirft die
über die fünf Stunden helfen: Das ganze alte Wien steht vor uns
Blumen vom Grabe fort,
die Helene mit ihren „hoch¬
auf der Bühne: Die Bastelen, das Glazis, das Schönbrunner Schloß.
mütig mörderischen Händen“ niedergelegt. In diesem Duell
dus.
Vom Kärntner Tor wird geredet, der Tralinerhof steht in Flammen,
der feindseligen Blicke fühlt der erfahrene Theaterbesucher bald die
pondenten.)
der Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern, wird erwartet. Es gibt
anhebende Liebesgeschichte heraus. Hier wird die dramatische Historie
en, 24. November.
Huldigungen für Kaiser Franz, Kriegslieder von Heinrich von Collin
am ehesten thealerhaft. Morgens liegt der junge Medardus, von
werden gesungen, Altwiener Friedhöse und Wirtsstuben an der Donau
keit Baron Berger hier
einem Valois im Zweikampf verwundet, in seiner Stube, todesnah,
sind da. Mit einem Wort: Im wienerischen Gemüt werden hundert
Calderon, Bauernfeld,
und die Nacht verbringt der Tollkühne schon im Zimmer der Prin¬
Reminiszenzen angerührt und aufgeweckt, diesen Reminiszenzen wird
ich, sehr verdienstlich,
zessin Helene. Er wagl's, sie duldel's. Medardus hat nicht allein
die Plastik der Bühne geliehen. Kein Wunder, daß ein allgemeines
rbeit für das seiner¬
erotische Absichten bei diesem Besuch, er will das Angen hmne mit
Ahl durchs Parkeit ging, als ein Bild die Burgbastei lebendig vor¬
gtheater, von Joseph
dem Pathelischen verbinden und auf so erquickliche Art Rache
führte, von Soldaten und Bürgermäbeln, von Müttern und Offi¬
nehmen am Hause Valois. Vielleicht ist dieser Nachegedanke nicht
zieren besetzt.
oß äußerlich gemessen,
ganz unwienerisch? Bald verbindet auch Helene von Valois ihre
Es wird viel geschossen in Schnitzlers nicht immer dramatischer
alprobe dauerte fünf
nächtlichen Annehmlichkeiten mit politischen Ambitionen. Medardus
Historie. Wiener in Uniform — ist das nicht eher ein
und gegen zwölf war
soll Nopoleon erstechen! Nicht um Wien zu befreien, sondern um
Komödienstoff? Aber der junge Medardus und die anderen
Historie“ etwa achtzig
den Valois den Wg nach Paris zu ebnen. Medardus hatte zufällig
zu innerer Größe!
Altwiener Bürgersöhne sind tragisch gestimmt und nur die
schon den Dolch im Gewande, aber gerade Helenens Aufruf macht
behäbigen Schlachtenbummler, die Bürgerwehr, die auf den
eigend, lauschend bei¬
ihn zum „verhinderten Mörder". Am Ende lauert er doch dem
Basteien Soldat spielt, bringen einen wienerisch frozzelnden Ton in
lyrisch, psychologisch
Napoleon vor dem Schönbrunner Schloß auf. Da flüstert ihm jemand
hin Bann gehalten, ge¬
die herkömmliche Vor=der=Schlacht=Stimmung. Es fallen veele hier
ins Ohr, des Korsen neue Geliebte nahe: Helene. Nun ersticht
den Heldentod. Der brave Sattlermeister Eschenbacher läßt sich, ohne
Stunden sind lang
Medardus die Marquise von Valois! Diesem zwischen den Morden
sein feelisches Gleichgewicht zu verlieren, von den napoleonischen Sol¬
Reihen gehen soll.
Schwanlenden böte sich im Kerker noch ein Weg ins Freie. Es hat
daten niederschießen, weil in seinem Brunnen ein paar Landkarten
nämlich auch Helene einen Tolch gegen Napoleon zücken wollen, und
gefunden werden. Einem uralten Herrn wird das Enkelkind von der
Medardus wurde so zum Retter des Kaisers. Er brauchte nur zu
en. Sein „Medardus“
Hand weggeschossen, er raunzt nicht, sondern sagt nur greisenhaft=kind¬
versichern, daß er kein zweites Altentat mehr unternehme und
809. Vierzia Wiener1lich: So, so. . Einer Wiener Mutter Kind geht mit dem Geliebten in ginge frei. Doch Medardus schwört, plötzlich ein Mann. —
werde Napoleon töten. Da führt ihn die Eskorle zur Richt¬
statt .. . . Beiläufig: Des Medar us Ende kompromittiert Napoleon
ein wenig. Dieser Jungwiener aus Allwien war ungefährlich. Er
zog in den Krieg und blieb daheim: er wollte sich am Hause der
Valois räten und legte sich ins Bett der Tochter; er kalte vor,
Deutschland von Napoleon zu befreien und stieß die Geliebte nieder.
Navoleon hätte den Jungwiener Stimmungsmörder mit einem
Lächeln laufen lassen.
Ein kunstreiches Werk. Namentlich die Altwiener Szenen sind
mit dem feinsten Stift gezeichnet. Auch das gespenstische Leben des
blinden Herzogs von Valois, der sich noch für lebendig hätt, ist mit
hunderterlei reizenden Nuancen dargestellt. Dennoch steht man vor
dem Panorama gelegentlich ein wenig ratlos. Das Interesse des
Zuschauers wird nicht konzentriert. Hier eine Gruppe fordert ein
Läheln ab, dort die Gestalt des uratten Herrn ergreift dich, die
Mutter des Medardus prägt sich in ihrer Stummheit ein. Und doch
— der Blick wandert weiter, das Panorama ist zu groß angelegt.
Ein lunstreices Werk aber man spürt das innere Erlebnis nicht,
dem es entsprossen ist! Man lorcht in fünf Stunden, ob nicht in
irgendeiner Szene das Geständnis innersten Werdens herauszuhög##
sei. Nichts nur Kunst.
Stefan Grossman##.