22. Derjunge Medandus
OBSERVER¬
reienhuten
Tonsas
1
Sher
Soseeerag
Frankfurter Zeitung
25.A01.1910
Sessen
Schnitzler-Première in Wien.
er en, wich
„Der junge Medardus“. Dramatische Historie in
5 Akten undeeinem Vorspiel von Artur Schnitzler
Uraufführung im Hofburgtheater am 24. November.
g Wien, 24. Novbr. (Priv.=Tel.)
Ein Glanz= und Ehrenabend des Burgtheaters, ein Sieg
des Dichters, ein Achtungserfolg des Dramatikers Artur
Schnitzler war die Première des „Jungen Medar¬
dus“, zu der sich die ganze Wiener Gesellschaft gedrängt und
nur zum Teil Einlaß gefunden hat. Schwerlich könnte ein
anderes Theater einem Autor die gleiche Ehre erweisen wie
hier, jede kleinste Episodenrolle mit Schauspielern von Rang
und Namen zu besetzen, schwerlich werden viele Bühnen über¬
haupt das Personal aufbringen, das diese dramatische Historie
erfordert. Aber diese Gelegenheit zu einer Parade des gan¬
zen Burgtheaters ist auch die Schwäche des Stückes als Drama
betrachtet. In der Zeichnung der Episoden und Episoden¬
figuren zeigt sich Schnitzler wieder als Meister der Klein¬
malerei und als überlegener Ironiker. Die Haupthandlung
aber ist verunglückt und die Hauptgestalt des jungen Medar¬
dus ist zu kompliziert gedacht, um dramatisch wirksam zu
werden.
Der junge Medardus ist eine Art Don Quichote, hochge¬
ar
sinnt, tapfer und temperamentvoll, mit unbestimmtem Taten¬
drang in der Brust. Aber Traum, Vorsatz und tönendes Wort
ersetzen ihm die Tat. Was immer er unternimmt, er wird
durch irgend ein Erlebnis aus seinem Geleise geworfen und
—
von seinen Plänen abgedrängt. Er will den Tyrannen
Napoleon ermorden und tötet nur als eifersüchtiger Lieb¬
haber' eine Dame, die den gleichen Plan gehabt hatte. Goit
wollte ihn zum Helden machen, der Lauf der Dinge machte
einen Narren aus ihm, und schließlich opfert er noch sein Le¬
ben selbst für ein Nichts, wo er sich retten konnte durch das
bloße Versprechen, dem Kaiser nicht mehr nach dem Leben zu
trachten, das heißt, er wirft sein Leben weg, da er den Respekt
vor sich selbst verloren hat und ihn durch eine letzte schein¬
heroische Handlung wiedergewinnen will. Soll in dieser Ge¬
stalt das hochbegabte, aber ziellose Oesterreicherium symboli¬
siert werden, so erweist sich das Theater als zu eng und der
heutige Abend trotz wohigezählter fünf Stunden als zu kurz,
um die Absicht des Dichters ganz deutlich zu machen. Die
Empfindung außerdem, mit der der Dichter seiner Gesialt
selbst gegenübersteht, ist das Gegenteil der dramatisch=schöpfe¬
rischen Stimmung. Von allen denkbaren Stellungnahmen
des Dichters zu seinem Helden ist die ironische die unmög¬
lichste für die Tragödie.
Der junge Medardus ist nicht von schiechter Familie. Seine
Mutter, die Buchhändlerswitwe Klähr, ist eine ausgezeichnete
Frau, furchtlos und ehrenhaft, bestes deutsches Bürgertum,
ihr Bruder, der Sattlermeister Eschenbacher ein prächtiger
Mensch, seine Schwester Agathe ganz Herz und Seele. Me¬
box 26/5
AE
dardus will, begleitet von den patriotischen Wünschen der
Familie, mit seinem Regiment den Franzosen entgegenziehen,
an denen er noch den Tod des Vaters zu rächen hat, der als
Bürgergardist im Wachdienst sich ein Fieber geholt hat und ge¬
storben ist. Aber da geschieht das Unglück, daß in der Nacht
vor dem Ausrücken des Regiments die Schwester Agathe sich
mit ihrem Geliebten, dem jungen Prinzen von Valois, das
Leben nimmt, weil der alte blinde Herzog von Valois seine
Einwilligung zu einer ebelichen Verbindung mit dem Bürger¬
mädchen nicht geben wollte. Da tauscht Medardus mit einem
Kameraden, den das Los getroffen hatte, mit der Bürger¬
garde in Wien zu bleiben. Denn nun fühlt er, daß er den
Tod der Schwester an dem stolzen Valois rächen müsse. Man
begreift nicht recht, wie. Die Gelegenheit findet sich aber
doch. Am Grabe der Schwester begegnet dem Medardus die
stolze Tochter des Herzogs und die Herzen der beiden jungen
Leute fangen Feuer. Medardus bildet sich nun ein, er werde
die Prinzessin verführen und dann das ganze Haus Valois
zum Zeugen ihrer Schande machen. Es gelingt ihm auch nach
einem glimpflich verlaufenen Duell mit dem Bräutigam der
Peinzessin, ihr Geliebter zu werden, aber mit ihrer Blo߬
stellung hat es doch gute Wege. Sie bleibt guter oder viel¬
mehr schlechter Vorsatz. Der Bruder der Mutter von Medar¬
dus wird infolge einer Denunziation wegen Besitzes verbote¬
ner Landkarten auf Befehl Napoleons erschossen und nun
drängt die Mutier selbst Medardus, den Tyrannen zu ermor¬
den. Aber der Dolch, der dem Tyrannen gegolten hat, fährt
in die Brust der Prinzessin, von der die Sage geht, sie sei die
Geliebte Napoleons geworden, wöhrend doch gerade sie darauf
ausging, den Kaiser zu töten. Und da nun alles vorüber ist,
weigert sich Medardus, dem Kaiser, der ihn begnädigen will,
zu versprechen, daß er auf seine Mordgedanken verzichte. Er
läßt sich erschießen, vielleicht weil er die Prinzessin nicht ver¬
gessen kann, vielleicht weil er seiner selbst überdrüssig gewor¬
den ist. Uns ergeht es mit ihm nicht viel besser. Wir können
ihn nie ernstnehmen, nie ganz mit ihm sympathisieren, obschon
der Autor offenbar ihn bei aller Schwäche durchaus tiebens¬
würdig gestalten wollte.
Aber die ein wenig tolportagemäßige Haupihandlung ist
nicht die Stärke des Stückes, das Schnitzler selbst nicht ein
Drama, sondern dramatische Historie genannt hat.
Sein Vorzug ist das Bild des Wiener Spießbürger¬
tums vom Jahre 1809. Da zeigt Schnitzler seine ganze
Kunst als Satirikor und Bildner. Von den 68 namentlich
aufgeführten Figuren ist bis auf den verunglückten Medar¬
dus jede einzelne mit wenigen Strichen gekennzeichnet und
—
bühnenwirksam gemacht. Das Spiel ermüdet auch trotz seiner
Länge keineswegs, weil man sich für die hochtragischen Sze¬
nen immer wieder an den humoristischen Genrebildchen schad¬
los hält.
Freilich kann nur das Burgtheater solche: Bilder
siellen. In der Aufführung ragten durch ganz besondere Lei¬
stungen Frau Pleibtreu als Mutter Klähr, Herr Ba¬
lajthy als Eschenbacher und Herr Hartmann als blin¬
der Herzog hervor. Die Rolle des Medardus war mit Herrn
M
Sn
Gerasch erträglich, aber keineswegs siegreich besetzt. Ein
sieghafter junger Held und Liebhaber fehlt derzeit überhaupt
31
1 am Burgtheater.
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Soseeerag
Frankfurter Zeitung
25.A01.1910
Sessen
Schnitzler-Première in Wien.
er en, wich
„Der junge Medardus“. Dramatische Historie in
5 Akten undeeinem Vorspiel von Artur Schnitzler
Uraufführung im Hofburgtheater am 24. November.
g Wien, 24. Novbr. (Priv.=Tel.)
Ein Glanz= und Ehrenabend des Burgtheaters, ein Sieg
des Dichters, ein Achtungserfolg des Dramatikers Artur
Schnitzler war die Première des „Jungen Medar¬
dus“, zu der sich die ganze Wiener Gesellschaft gedrängt und
nur zum Teil Einlaß gefunden hat. Schwerlich könnte ein
anderes Theater einem Autor die gleiche Ehre erweisen wie
hier, jede kleinste Episodenrolle mit Schauspielern von Rang
und Namen zu besetzen, schwerlich werden viele Bühnen über¬
haupt das Personal aufbringen, das diese dramatische Historie
erfordert. Aber diese Gelegenheit zu einer Parade des gan¬
zen Burgtheaters ist auch die Schwäche des Stückes als Drama
betrachtet. In der Zeichnung der Episoden und Episoden¬
figuren zeigt sich Schnitzler wieder als Meister der Klein¬
malerei und als überlegener Ironiker. Die Haupthandlung
aber ist verunglückt und die Hauptgestalt des jungen Medar¬
dus ist zu kompliziert gedacht, um dramatisch wirksam zu
werden.
Der junge Medardus ist eine Art Don Quichote, hochge¬
ar
sinnt, tapfer und temperamentvoll, mit unbestimmtem Taten¬
drang in der Brust. Aber Traum, Vorsatz und tönendes Wort
ersetzen ihm die Tat. Was immer er unternimmt, er wird
durch irgend ein Erlebnis aus seinem Geleise geworfen und
—
von seinen Plänen abgedrängt. Er will den Tyrannen
Napoleon ermorden und tötet nur als eifersüchtiger Lieb¬
haber' eine Dame, die den gleichen Plan gehabt hatte. Goit
wollte ihn zum Helden machen, der Lauf der Dinge machte
einen Narren aus ihm, und schließlich opfert er noch sein Le¬
ben selbst für ein Nichts, wo er sich retten konnte durch das
bloße Versprechen, dem Kaiser nicht mehr nach dem Leben zu
trachten, das heißt, er wirft sein Leben weg, da er den Respekt
vor sich selbst verloren hat und ihn durch eine letzte schein¬
heroische Handlung wiedergewinnen will. Soll in dieser Ge¬
stalt das hochbegabte, aber ziellose Oesterreicherium symboli¬
siert werden, so erweist sich das Theater als zu eng und der
heutige Abend trotz wohigezählter fünf Stunden als zu kurz,
um die Absicht des Dichters ganz deutlich zu machen. Die
Empfindung außerdem, mit der der Dichter seiner Gesialt
selbst gegenübersteht, ist das Gegenteil der dramatisch=schöpfe¬
rischen Stimmung. Von allen denkbaren Stellungnahmen
des Dichters zu seinem Helden ist die ironische die unmög¬
lichste für die Tragödie.
Der junge Medardus ist nicht von schiechter Familie. Seine
Mutter, die Buchhändlerswitwe Klähr, ist eine ausgezeichnete
Frau, furchtlos und ehrenhaft, bestes deutsches Bürgertum,
ihr Bruder, der Sattlermeister Eschenbacher ein prächtiger
Mensch, seine Schwester Agathe ganz Herz und Seele. Me¬
box 26/5
AE
dardus will, begleitet von den patriotischen Wünschen der
Familie, mit seinem Regiment den Franzosen entgegenziehen,
an denen er noch den Tod des Vaters zu rächen hat, der als
Bürgergardist im Wachdienst sich ein Fieber geholt hat und ge¬
storben ist. Aber da geschieht das Unglück, daß in der Nacht
vor dem Ausrücken des Regiments die Schwester Agathe sich
mit ihrem Geliebten, dem jungen Prinzen von Valois, das
Leben nimmt, weil der alte blinde Herzog von Valois seine
Einwilligung zu einer ebelichen Verbindung mit dem Bürger¬
mädchen nicht geben wollte. Da tauscht Medardus mit einem
Kameraden, den das Los getroffen hatte, mit der Bürger¬
garde in Wien zu bleiben. Denn nun fühlt er, daß er den
Tod der Schwester an dem stolzen Valois rächen müsse. Man
begreift nicht recht, wie. Die Gelegenheit findet sich aber
doch. Am Grabe der Schwester begegnet dem Medardus die
stolze Tochter des Herzogs und die Herzen der beiden jungen
Leute fangen Feuer. Medardus bildet sich nun ein, er werde
die Prinzessin verführen und dann das ganze Haus Valois
zum Zeugen ihrer Schande machen. Es gelingt ihm auch nach
einem glimpflich verlaufenen Duell mit dem Bräutigam der
Peinzessin, ihr Geliebter zu werden, aber mit ihrer Blo߬
stellung hat es doch gute Wege. Sie bleibt guter oder viel¬
mehr schlechter Vorsatz. Der Bruder der Mutter von Medar¬
dus wird infolge einer Denunziation wegen Besitzes verbote¬
ner Landkarten auf Befehl Napoleons erschossen und nun
drängt die Mutier selbst Medardus, den Tyrannen zu ermor¬
den. Aber der Dolch, der dem Tyrannen gegolten hat, fährt
in die Brust der Prinzessin, von der die Sage geht, sie sei die
Geliebte Napoleons geworden, wöhrend doch gerade sie darauf
ausging, den Kaiser zu töten. Und da nun alles vorüber ist,
weigert sich Medardus, dem Kaiser, der ihn begnädigen will,
zu versprechen, daß er auf seine Mordgedanken verzichte. Er
läßt sich erschießen, vielleicht weil er die Prinzessin nicht ver¬
gessen kann, vielleicht weil er seiner selbst überdrüssig gewor¬
den ist. Uns ergeht es mit ihm nicht viel besser. Wir können
ihn nie ernstnehmen, nie ganz mit ihm sympathisieren, obschon
der Autor offenbar ihn bei aller Schwäche durchaus tiebens¬
würdig gestalten wollte.
Aber die ein wenig tolportagemäßige Haupihandlung ist
nicht die Stärke des Stückes, das Schnitzler selbst nicht ein
Drama, sondern dramatische Historie genannt hat.
Sein Vorzug ist das Bild des Wiener Spießbürger¬
tums vom Jahre 1809. Da zeigt Schnitzler seine ganze
Kunst als Satirikor und Bildner. Von den 68 namentlich
aufgeführten Figuren ist bis auf den verunglückten Medar¬
dus jede einzelne mit wenigen Strichen gekennzeichnet und
—
bühnenwirksam gemacht. Das Spiel ermüdet auch trotz seiner
Länge keineswegs, weil man sich für die hochtragischen Sze¬
nen immer wieder an den humoristischen Genrebildchen schad¬
los hält.
Freilich kann nur das Burgtheater solche: Bilder
siellen. In der Aufführung ragten durch ganz besondere Lei¬
stungen Frau Pleibtreu als Mutter Klähr, Herr Ba¬
lajthy als Eschenbacher und Herr Hartmann als blin¬
der Herzog hervor. Die Rolle des Medardus war mit Herrn
M
Sn
Gerasch erträglich, aber keineswegs siegreich besetzt. Ein
sieghafter junger Held und Liebhaber fehlt derzeit überhaupt
31
1 am Burgtheater.