1080
Medardus ist aber endlich das unerschütterliche Heldentum erwacht.
Er verweigert auch diese Zusage, er gibt dem großen Kaiser keinen
Pardon, und wird einige Minuten später an der gegenüberliegenden
Mauer erschossen. Seine letzte große Lüge wird das Werkzeug zum
indirekten Selbstmord. Zum direkten hatteder Held den Mut nicht.
Die Tragödie des jungen Medardus spielte sich auf dem
Hintergrunde der großen Ereignisse ab, die um jene Zeit das Leben
der Wienerstadt ganz erfüllten. Schnitzler hat das Wiener Milien der
Franzosenzeit mit allen seinen Zügen von Oberflächlichkeit, Banausentum,
Gesinnungslosigkeit, Feigheit, und geschwätziger Renomierlust geschildert.
Ganz Wien ein einziger junger Medardus, und das Burgtheater hat
dieses breitspurig geschäftige und auch widerlich sinnlose Treiben des
Wiener Bürgertums mit allen Mitteln raffinierter Regie, mit einem
Massenaufgebot aller verfügbaren Kräfte und mit den größten Opfern
an Zeit und Geld, zum Bühnenleben erweckt.
Wir wollen uns aber nicht zunächst an das Burgtheater sondern
an den Dichter Artur Schnitzler wenden u. z. mit einer ernsten Frage:
was soll mit dem „Jungen Medardus“ gesagt sein? Schnitzler ist
doch gewiß nicht Einer von Jenen, die einen derartigen Riesen¬
apparat in Bewegung setzen, bloß um einen rein äußerlichen Sensations¬
erfolg zu eringen. Das hat Schnitzler nicht notwendig; was also
wollte er? Wollte er das Schicksal eines Menschen zeigen, der an der
inneren Lüge zugrunde geht, der mit seiner kleinen Nichtigteit un¬
frieden sich in ein Heldentum hineinlügt, von dem er nur die ange¬
nehmen Begleiterscheinungen nicht aber die schwere Last und Verant¬
wortung zu tragen vermag? Das wäre gewiß ein moderner tragischer
Vorwurf, denn unser öffentliches und privates Leben krankt an nichts
so schwer als an der inneren Lüge und an dem vorgetäuschten Heldentum.
Aber die Art wie Schnitzler dieses Problem entwickelt und löst ist alles
eher als dramatisch. Sie ist durch und durch romanhaft, subjektiv=epischsich
entwickelnd, das Hauptproblem in der historischen Untermalung er¬
tränkend. In Stendhals =Rouge et noire wird ein ähnliches Problem
und noch dazu in ähnlichem Milien behandelt u. z. meisterhaft in der
Form des Romanes. Der „junge Medardus“ kommt mir wie eine
ins Wienerische übersetzte Dramatisierung jenes Meisterromanes vor.
Schnitzler scheint sich der dramatischen Schwäche seines Werkes selbst
bewußt zu sein, da er es „eine dramatische Historie“ nennt. Aber
solche literarische. Rechtsverwahrungen nützen bekanntlich, wie man
von „Nathan“, „Don Carlos“ und „Faust“ her weiß, nichts. Die
dramatische Form verpflichtet, und wenn man gar das Stück auf die
Bühne bringt, macht man diese Rechtsverwahrung ganz unwirksam.
Wollte Schnitzler eine Satyre aus den Wienertum und seine politische
Unreife schreiben, dann hätte er dazu eine andere Form als die
dramatische oder einen anderen Stoff als den historischen wählen
müssen; die Satyre lebt vom Mut und von der Offenheit und verkriecht
sich nicht ins historische Kostüm, am allwenigsten ins biedermaiersche.
Es ist ja wahr, die Wiener haben ihre Tyrannen, weil sie sie dulden
und hätscheln. Aber diese Feigheit wird man nicht kurieren, indem man
den gewissen Radetzkymarsch=Patriotismus kitzelt. Es ist uns also durch¬
aus nicht klar, weshalb der Dichter seine ernsten Absichten, die wir ihm
unter allen Umständen zutrauen, in einem Wirbel von Milieuszenen
ertränkt die offen gesagt weder dramatisch wirken, noch kulturhistorisch
besonders charakteristisch sind.
Wie es dem Stück an der Einheit und Karheit des künstlerischen
Wollens fehlt, so auch an jeder Einheit und Gliederung des Aufbaues.
Szenen, von oft gesuchter äußerer Wirkung, lose aneinandergereiht,
durch die vielen Kürzungen noch mehr jedes organischen Bandes be¬
raubt, wälzen sich wie ein Riesenwurm stundenlang über die Bühne.
Das Publikum wird müde, dem wirren Faden der inneren Entwicklung
zu folgen, das Kostüm, die Dekoration, die Episode erdrückt die ja
bloßen Ausstattungskomödie herab. Dementsprechend war auch der
Erfolg der Uraufführung ein rein äußerlicher, wenn nicht gar ein
bloßer Freundschaftserfolg. Freilich gute Freunde sind das nicht, die
einen Dichter auf der falfchen Bahn ermuntern. Vor allem hat
Direktor Berger dem Dichter keinen Dienst erwiesen, indem er das
von seinem Vorgänger zurückgewiesene Stück mit einem noch nie da¬
gewesenen Aufgebot von Kräften zur Darstellung brachte. Er hat
damit Schnitzler nicht genützt und noch weniger sich. Denn Schnitzler
hat seine Erfolge, Direktor Berger muß sie aber erst erringen. Er
braucht sie dringend. Auf dem Gebiete äußerer Sensationen wird er
sie aber hoffentlich nicht suchen, dem Verfasser „seiner“ Hamburgischen
Dramaturgie.
Medardus ist aber endlich das unerschütterliche Heldentum erwacht.
Er verweigert auch diese Zusage, er gibt dem großen Kaiser keinen
Pardon, und wird einige Minuten später an der gegenüberliegenden
Mauer erschossen. Seine letzte große Lüge wird das Werkzeug zum
indirekten Selbstmord. Zum direkten hatteder Held den Mut nicht.
Die Tragödie des jungen Medardus spielte sich auf dem
Hintergrunde der großen Ereignisse ab, die um jene Zeit das Leben
der Wienerstadt ganz erfüllten. Schnitzler hat das Wiener Milien der
Franzosenzeit mit allen seinen Zügen von Oberflächlichkeit, Banausentum,
Gesinnungslosigkeit, Feigheit, und geschwätziger Renomierlust geschildert.
Ganz Wien ein einziger junger Medardus, und das Burgtheater hat
dieses breitspurig geschäftige und auch widerlich sinnlose Treiben des
Wiener Bürgertums mit allen Mitteln raffinierter Regie, mit einem
Massenaufgebot aller verfügbaren Kräfte und mit den größten Opfern
an Zeit und Geld, zum Bühnenleben erweckt.
Wir wollen uns aber nicht zunächst an das Burgtheater sondern
an den Dichter Artur Schnitzler wenden u. z. mit einer ernsten Frage:
was soll mit dem „Jungen Medardus“ gesagt sein? Schnitzler ist
doch gewiß nicht Einer von Jenen, die einen derartigen Riesen¬
apparat in Bewegung setzen, bloß um einen rein äußerlichen Sensations¬
erfolg zu eringen. Das hat Schnitzler nicht notwendig; was also
wollte er? Wollte er das Schicksal eines Menschen zeigen, der an der
inneren Lüge zugrunde geht, der mit seiner kleinen Nichtigteit un¬
frieden sich in ein Heldentum hineinlügt, von dem er nur die ange¬
nehmen Begleiterscheinungen nicht aber die schwere Last und Verant¬
wortung zu tragen vermag? Das wäre gewiß ein moderner tragischer
Vorwurf, denn unser öffentliches und privates Leben krankt an nichts
so schwer als an der inneren Lüge und an dem vorgetäuschten Heldentum.
Aber die Art wie Schnitzler dieses Problem entwickelt und löst ist alles
eher als dramatisch. Sie ist durch und durch romanhaft, subjektiv=epischsich
entwickelnd, das Hauptproblem in der historischen Untermalung er¬
tränkend. In Stendhals =Rouge et noire wird ein ähnliches Problem
und noch dazu in ähnlichem Milien behandelt u. z. meisterhaft in der
Form des Romanes. Der „junge Medardus“ kommt mir wie eine
ins Wienerische übersetzte Dramatisierung jenes Meisterromanes vor.
Schnitzler scheint sich der dramatischen Schwäche seines Werkes selbst
bewußt zu sein, da er es „eine dramatische Historie“ nennt. Aber
solche literarische. Rechtsverwahrungen nützen bekanntlich, wie man
von „Nathan“, „Don Carlos“ und „Faust“ her weiß, nichts. Die
dramatische Form verpflichtet, und wenn man gar das Stück auf die
Bühne bringt, macht man diese Rechtsverwahrung ganz unwirksam.
Wollte Schnitzler eine Satyre aus den Wienertum und seine politische
Unreife schreiben, dann hätte er dazu eine andere Form als die
dramatische oder einen anderen Stoff als den historischen wählen
müssen; die Satyre lebt vom Mut und von der Offenheit und verkriecht
sich nicht ins historische Kostüm, am allwenigsten ins biedermaiersche.
Es ist ja wahr, die Wiener haben ihre Tyrannen, weil sie sie dulden
und hätscheln. Aber diese Feigheit wird man nicht kurieren, indem man
den gewissen Radetzkymarsch=Patriotismus kitzelt. Es ist uns also durch¬
aus nicht klar, weshalb der Dichter seine ernsten Absichten, die wir ihm
unter allen Umständen zutrauen, in einem Wirbel von Milieuszenen
ertränkt die offen gesagt weder dramatisch wirken, noch kulturhistorisch
besonders charakteristisch sind.
Wie es dem Stück an der Einheit und Karheit des künstlerischen
Wollens fehlt, so auch an jeder Einheit und Gliederung des Aufbaues.
Szenen, von oft gesuchter äußerer Wirkung, lose aneinandergereiht,
durch die vielen Kürzungen noch mehr jedes organischen Bandes be¬
raubt, wälzen sich wie ein Riesenwurm stundenlang über die Bühne.
Das Publikum wird müde, dem wirren Faden der inneren Entwicklung
zu folgen, das Kostüm, die Dekoration, die Episode erdrückt die ja
bloßen Ausstattungskomödie herab. Dementsprechend war auch der
Erfolg der Uraufführung ein rein äußerlicher, wenn nicht gar ein
bloßer Freundschaftserfolg. Freilich gute Freunde sind das nicht, die
einen Dichter auf der falfchen Bahn ermuntern. Vor allem hat
Direktor Berger dem Dichter keinen Dienst erwiesen, indem er das
von seinem Vorgänger zurückgewiesene Stück mit einem noch nie da¬
gewesenen Aufgebot von Kräften zur Darstellung brachte. Er hat
damit Schnitzler nicht genützt und noch weniger sich. Denn Schnitzler
hat seine Erfolge, Direktor Berger muß sie aber erst erringen. Er
braucht sie dringend. Auf dem Gebiete äußerer Sensationen wird er
sie aber hoffentlich nicht suchen, dem Verfasser „seiner“ Hamburgischen
Dramaturgie.