geschlagen wurde und dennoch Wien belagert und in
Man sieht ihn nicht, nur seine
Schönbrunn residiert.
auf die Bühne wirft. Im
Schatten, die er
junges Paar, dessen seltsam
Vordergrund
verschnörkelter Liebesroman von den historischen
Vorgängen verschlungen wird. Eine dramatische
das
Historie nennt Schnitzler sein Werk,
trotz starken Kürzungen noch immer fünf Stunden
Spieldauer erfordert und in nicht weniger als siebzehn
Bilder zerfällt. Weshalb dramatische Historie und
nicht historisches Drama? Die Umstellung der beiben
Worte erfolgte wohl nur aus Verlegenheit und weil
der Verfasser das bestimmte Gesühl hatte, kein
schlossenes Drama erreicht zu haben. Schnitzler wollte
eben zu viel auf einmal und es erging ihm dabei,
wie jenem Sonntagsjäger, der mehrere Hirsche zugleich
erlegen wollte, sich mit seinem Stutzen nach rechts
und links, nach vorne und rückwärts wandte und
schließlich ohne Beute heimkehren mußte.
Man ahnt schon, was Schnitzler wollte. Eine
große Zeitbewegung wollte er in bunten Bühnen¬
bildern einfangen, und um die dramatische Form
seines epischen Beginnens zu rechtfertigen, brauchte er
ein Einzelschicksal, das die losen Bilder verknüpft.
Dieses Einzelschicksal ist da, verkörpert im jungen
Medardus, dem Helden des Spektakels. Auch ein
dramatisch brauchbarer Handlungskern wäre da, sogar
ein sehr interessanter. Wie dieser junge Medardus
ausging, Napoleon zu töten, und sein Retter wird,
weil die, die ihm den Dolch in die Hand gedrückt, ihm
als Maitresse des gehaßten Eroberers verleumdet wird
und seine Eisersucht nun Rache und Vergeltung
an dem Korsen, daraus
an ihr übt, stait
hätte sich mehr, viel mehr machen lassen. Bei
Schnitzler huscht alles, was nach dramatischer Ge¬
staltung schreit, anekdotisch vorüber und vor lauter
Schauen und Hören kommt man nicht zum Erleben.
Auf das Miterleben aber kommt es einzig bei einem
wirklichen Drama an, nicht auf das Schauen und
Hören. Wolkte man Kunde davon geben, was man
im „Jungen Medardus“ zu schauen und hören be¬
kommt, käme man nicht zu Rande oder man müßte
einen Roman schreiben, wie ja auch Schnitzlers Stück,
genau besehen, nur ein dialogisierter Roman ist. Im
zweiten Bild schon werden zwei Leichen ans Land ge¬
schwemmt, im dritten wohnen wir einer Beerdigung
bei, dann stirbt ein Kind, von einem Bombensplitter
getroffen, zwei Männer werden füsiliert, Kanonen
donnern, Dolche blitzen und Häscher spionieren aller¬
orten.
Angesichts einer solchen Fülle von Geschehnissen
tut man besser, man verzichtet auf die Wiedergabe der
Vorgänge und bescheidet sich, den künstlerischen Grund¬
iirtum aufzusuchen. Dieser scheint mir bei Schnitzler
in der falschen Auffassung der Aufgabe des Historischen
im Drama zu liegen. Was gemeinhin als historisches
Drama bezeichnet wird, ist in den seltensten Fällen
ein solches. Zumeist dienen historische Begebenheiten
auf der Bühne nur dazu, um ein Charakter= oder
Ideendrama der Gegenwart zu entrücken, weil der
Wirklichkeitssinn eine umständlichere Schilderung des
gegenwärtigen Milieus erfordern und diese Schilde¬
rung den Dichter in der freien Gestaltung seiner Idee
nur behindern würde. Man denke sich die Tragödie
des Ehrgeizes nicht an Wallenstein demonstriert, son¬
dern an einem kleinen Bezirkspolitiker, und man wird
begreifen, warum die Dichter, die ein Allgemein¬
Menschliches von bleibender poetischer Wahrheit dar¬
stellen wollen, lieber in die Vergangenheit flüchten, die
der Kontrolle unseres Wirklichkeitssinnes nicht mehr
unterliegt. Schnitzler war es in seinem Werke weder
um eine Idee, noch um einen Charakter zu tun, son¬
dern hauptsächlich um das Milien, also um das
Sekundäre im Drama, und es ist vielleicht nichts so
bezeichnend für die Hinfälligkeit seiner Bezeich¬
nung „Dramatische Historie", als daß gerade die
Personen, die darin die Handlung bestreiten,
erfunden, also unhistorisch sind. Das Burgtheater hat
die ungemein schwierigen szenischen Aufgaben, welche
dieses Schaustück der Bühne stellt, in geradezu be¬
wunderungswürdiger Weise gelöst und alle Kräfte —
der Theaterzettel verzeichnet 75 Personen — mobili¬
siert — um neben schönen Bildern auch wirksame
Szenen zu bieten. Daß diese sich zu keinem dramati¬
schen Gesamteindruck zusammenschließen wollten, lag
nicht an der Darstellung, aus der Herr Hartmann in
der Rolle des blinden Herzogs von Valois als letzte
Säule des alten Burgtheaters emporragte. Schnitzler
wurde wiederholt und leuhaft vor die Rampe gerufen.
Telephen 11.801.
„ODSERTER
1. Joterr. bohördl. konz. Unterachmen für Zaltunge-Auoscheltte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertreiungen
In Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christlanta,
Oeuf, Kopenhagen, London, Madrid, Malland, Minneapolls,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Gsehenangabe obne Dew lw7.
Ausschnitt aus:
Neues Pester Journat
vom 26. HUNEHSEATOTO
MMNr arae M
Das große Theaterereigniß der Woche Wer
Schnitzler's
„Der junge Medardus“. Uieber Werth
pek Unwerth des vielbesprochenen Stückes sind die
Meinungen sehr verschieden. Ein Schaustück ist #n
jedenfalls, das die Massen anziehen wird. Man sieht
zum ersten Male von den gesammten vierundachtzig
Solisten des Burgtheaters dreiundachtzig an einem
Abend beschäftigt.
Das Stück war schon im vorigen Jahre besetzt.
Von nennenswerthen Rollen mußte nur die der
Herrn Gregori umbesetzt werden. Herr Gregori ist als
Intendant nach Mannheim gegangen. Ein so trockeiser,
slangweiliger Schauspfeler er war, verstand er es in
Wien, als Vorleser, Professor, dilettirender Schrift¬
steller und Privatmann sich viel Anhang zu soassen.
Man durfte es kaum aussprechen, daß er ein mäßiger
Schauspieler ist. Und als er abging, wurde sehr ernst
won einer großen Lücke gesprochen, die er im Reuar¬
stoire zurückließ. Auf den Proben des „jungen Medar¬
Dus“ kam man wieder darauf zu sprechen, Baron
Berger, der immer zur richtigen Zeit das richtige Wort
findet, nickte ernst und sagte:
„Gregori hat eine Lücke hinterlassen, die ihn
fast ersetzt.“
Man sieht ihn nicht, nur seine
Schönbrunn residiert.
auf die Bühne wirft. Im
Schatten, die er
junges Paar, dessen seltsam
Vordergrund
verschnörkelter Liebesroman von den historischen
Vorgängen verschlungen wird. Eine dramatische
das
Historie nennt Schnitzler sein Werk,
trotz starken Kürzungen noch immer fünf Stunden
Spieldauer erfordert und in nicht weniger als siebzehn
Bilder zerfällt. Weshalb dramatische Historie und
nicht historisches Drama? Die Umstellung der beiben
Worte erfolgte wohl nur aus Verlegenheit und weil
der Verfasser das bestimmte Gesühl hatte, kein
schlossenes Drama erreicht zu haben. Schnitzler wollte
eben zu viel auf einmal und es erging ihm dabei,
wie jenem Sonntagsjäger, der mehrere Hirsche zugleich
erlegen wollte, sich mit seinem Stutzen nach rechts
und links, nach vorne und rückwärts wandte und
schließlich ohne Beute heimkehren mußte.
Man ahnt schon, was Schnitzler wollte. Eine
große Zeitbewegung wollte er in bunten Bühnen¬
bildern einfangen, und um die dramatische Form
seines epischen Beginnens zu rechtfertigen, brauchte er
ein Einzelschicksal, das die losen Bilder verknüpft.
Dieses Einzelschicksal ist da, verkörpert im jungen
Medardus, dem Helden des Spektakels. Auch ein
dramatisch brauchbarer Handlungskern wäre da, sogar
ein sehr interessanter. Wie dieser junge Medardus
ausging, Napoleon zu töten, und sein Retter wird,
weil die, die ihm den Dolch in die Hand gedrückt, ihm
als Maitresse des gehaßten Eroberers verleumdet wird
und seine Eisersucht nun Rache und Vergeltung
an dem Korsen, daraus
an ihr übt, stait
hätte sich mehr, viel mehr machen lassen. Bei
Schnitzler huscht alles, was nach dramatischer Ge¬
staltung schreit, anekdotisch vorüber und vor lauter
Schauen und Hören kommt man nicht zum Erleben.
Auf das Miterleben aber kommt es einzig bei einem
wirklichen Drama an, nicht auf das Schauen und
Hören. Wolkte man Kunde davon geben, was man
im „Jungen Medardus“ zu schauen und hören be¬
kommt, käme man nicht zu Rande oder man müßte
einen Roman schreiben, wie ja auch Schnitzlers Stück,
genau besehen, nur ein dialogisierter Roman ist. Im
zweiten Bild schon werden zwei Leichen ans Land ge¬
schwemmt, im dritten wohnen wir einer Beerdigung
bei, dann stirbt ein Kind, von einem Bombensplitter
getroffen, zwei Männer werden füsiliert, Kanonen
donnern, Dolche blitzen und Häscher spionieren aller¬
orten.
Angesichts einer solchen Fülle von Geschehnissen
tut man besser, man verzichtet auf die Wiedergabe der
Vorgänge und bescheidet sich, den künstlerischen Grund¬
iirtum aufzusuchen. Dieser scheint mir bei Schnitzler
in der falschen Auffassung der Aufgabe des Historischen
im Drama zu liegen. Was gemeinhin als historisches
Drama bezeichnet wird, ist in den seltensten Fällen
ein solches. Zumeist dienen historische Begebenheiten
auf der Bühne nur dazu, um ein Charakter= oder
Ideendrama der Gegenwart zu entrücken, weil der
Wirklichkeitssinn eine umständlichere Schilderung des
gegenwärtigen Milieus erfordern und diese Schilde¬
rung den Dichter in der freien Gestaltung seiner Idee
nur behindern würde. Man denke sich die Tragödie
des Ehrgeizes nicht an Wallenstein demonstriert, son¬
dern an einem kleinen Bezirkspolitiker, und man wird
begreifen, warum die Dichter, die ein Allgemein¬
Menschliches von bleibender poetischer Wahrheit dar¬
stellen wollen, lieber in die Vergangenheit flüchten, die
der Kontrolle unseres Wirklichkeitssinnes nicht mehr
unterliegt. Schnitzler war es in seinem Werke weder
um eine Idee, noch um einen Charakter zu tun, son¬
dern hauptsächlich um das Milien, also um das
Sekundäre im Drama, und es ist vielleicht nichts so
bezeichnend für die Hinfälligkeit seiner Bezeich¬
nung „Dramatische Historie", als daß gerade die
Personen, die darin die Handlung bestreiten,
erfunden, also unhistorisch sind. Das Burgtheater hat
die ungemein schwierigen szenischen Aufgaben, welche
dieses Schaustück der Bühne stellt, in geradezu be¬
wunderungswürdiger Weise gelöst und alle Kräfte —
der Theaterzettel verzeichnet 75 Personen — mobili¬
siert — um neben schönen Bildern auch wirksame
Szenen zu bieten. Daß diese sich zu keinem dramati¬
schen Gesamteindruck zusammenschließen wollten, lag
nicht an der Darstellung, aus der Herr Hartmann in
der Rolle des blinden Herzogs von Valois als letzte
Säule des alten Burgtheaters emporragte. Schnitzler
wurde wiederholt und leuhaft vor die Rampe gerufen.
Telephen 11.801.
„ODSERTER
1. Joterr. bohördl. konz. Unterachmen für Zaltunge-Auoscheltte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertreiungen
In Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christlanta,
Oeuf, Kopenhagen, London, Madrid, Malland, Minneapolls,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Gsehenangabe obne Dew lw7.
Ausschnitt aus:
Neues Pester Journat
vom 26. HUNEHSEATOTO
MMNr arae M
Das große Theaterereigniß der Woche Wer
Schnitzler's
„Der junge Medardus“. Uieber Werth
pek Unwerth des vielbesprochenen Stückes sind die
Meinungen sehr verschieden. Ein Schaustück ist #n
jedenfalls, das die Massen anziehen wird. Man sieht
zum ersten Male von den gesammten vierundachtzig
Solisten des Burgtheaters dreiundachtzig an einem
Abend beschäftigt.
Das Stück war schon im vorigen Jahre besetzt.
Von nennenswerthen Rollen mußte nur die der
Herrn Gregori umbesetzt werden. Herr Gregori ist als
Intendant nach Mannheim gegangen. Ein so trockeiser,
slangweiliger Schauspfeler er war, verstand er es in
Wien, als Vorleser, Professor, dilettirender Schrift¬
steller und Privatmann sich viel Anhang zu soassen.
Man durfte es kaum aussprechen, daß er ein mäßiger
Schauspieler ist. Und als er abging, wurde sehr ernst
won einer großen Lücke gesprochen, die er im Reuar¬
stoire zurückließ. Auf den Proben des „jungen Medar¬
Dus“ kam man wieder darauf zu sprechen, Baron
Berger, der immer zur richtigen Zeit das richtige Wort
findet, nickte ernst und sagte:
„Gregori hat eine Lücke hinterlassen, die ihn
fast ersetzt.“