II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 154

arre Haltung, er beklagt nur das Unglück. Er läßt sich
ur Mutter des armen Mädchens führen, denn „Es geziemt
elephen 12.301.
ich, Madame, daß ich mich Ihnen vorstelle.“ Seine Tochter
elene (Frl. Wolgemuth) ist die stolzeste ihres Ge¬
chlechtes; sie ist dem Begräbnis fern geblieben. Man erin¬
iert sich fast an die Worte, die Napoleon über die Herzogin
ange-Aueschaltte
von Angouleme sprach: „Sie ist der einzige Mann in der
Familie!“
Erst später, als sie den Friedhof verlassen wähnt,
land, Christinenn,
kommt sie mit ihrem Kammermädchen Nerima, um auf das
nd, Minnenpolle,
Grab des Bruders Blumen zu streuen. Sie trifft dort Me¬
tholm, St. Petess¬
dardus, der hingesunken war und nun aufspringt und ihr
zuruft:
„Die Blumen fort — oder ich zertrete sie!“
Helene (sie aufnehmend): Wahrhaftig, das wäre ein
zu gemeines Schicksal!
Worauf Medardus voll Hohn erwidert: „Nun sind
gblatt, Czernow
sie einem Würdigeren aufbewahrt: zu verwelken in den mör¬
derischen Fingern einer Valois!“
Dieser Schimpf soll in Blut gesühnt werden. Der
Marquis von Valois Ce Devrient) der zu dieser
ern
Szene hinzutritt, erhält ### der Prinzessin, um die er wirbt,
den Auftrag, den Beleidiger zu töten; dann erst wolle sie
. 25. November.
ihn erhören! In drei Stunden soll nun beim Forsthause in
der Prinzingerau das Duell zwischen beiden stattfinden.
dus
In diplomatische Jergänge, die wohl dem Leser des
24. Nonember.
Buches, kaum aber dem Zuhörer beim ersten Male völlig
klar werden, führt uns der weitere Verlauf der Handlung.
1,5. November.
Am Hofe des blinden Herzogs erscheint ein Abge¬
er Tagblatt“.]
sandter, um den jungen Herzoa heimlich nach Frankreich zu
führen. Er gibt sich für einen Getreuen aus, ist jedoch in
theater das neue
hrung, jenes Stück,
Wahrheit ein Anhänger des Grafen von Lilli und will
Francois ins Verderben führen.
spannungsvoller
seitungen hat „Der
Dieser ist — wie wir wissen — schon früher dem tra¬
letzten Augenblicke
gischen Geschicke verfallen. Helene ist jetzt die Hoffnung
gestrichen werden,
von Valois. Wenn sie den Marquis heiratet und ihm ei¬
Gedanken in den
nen Erben schenkt, wird dieser den Thron besteigen. Sie
harrt auf die Nuchrichten, die endlich aus der Prinzingerau
n. Das Buch ent¬
kommen.
Werke, das bereits
war, mußte das
Der Marquis hat einen Degenstich in den Arm be¬
kommen u. Medardus erhielt einen Stich nahe am Herzen.
das Wiener Burg¬
Anforderungen das
Helene übergibt ihrer Kammerfrau jene Blumen, die
aus der trockenen
Medardus vor kurzem verschmähte, mit dem Auftrage, sie
Personen darin be¬
dem jungen Mann, der wohl gestorben sein dürfte, aufs
fast jede einzelne Kissen zu legen.
und auch — wie
„Und wenn er noch lebt?“ fragt Nerima, „Wus soll
ich dann tun?“
hrstellung fand.
„Das gleiche“, erwidert Helene
belt, sicherlich aber
lufgabe zu bewälti¬
Und Medardus lebt. Nerima überbringt im zweiten
Akt ihrer Herrin seine Botschaft, er wolle sich persönlich für
ß das ganze Burg¬
Intentionen gerecht
die Blumen bedanken. In den Garten wolle er kommen
und über die Mauer steigen, wenn kein Pförtchen offen sei.
us einem Vorspiel
Zornig wirft Helene den Schlüssel zur Gartenpforte in den
Teich. Schon denkt sie nicht mehr — so scheint es —
fzug auf der Burg¬
Medardus. Hochfliegende Pläne erfüllen ihr Herz und ihre
enz, denn an jener
eater. Der letzte
Gedanken. Heute reicht sie dem Marquis die Hand und
von Schönbrunn
am Hochzeitstage, ehe der Gatte noch ihre Fingerspitzen ge¬
küßt, soll er sich statt des toten Francois nach Frankreich
lcher der Leipziger
begeben, um seine Getreuen um sich zu scharen.
attentat auf Na¬
In der Verlobungsnacht eilt Helene in den Garten.
der Parade her¬
Sie hat Medardus nicht vergessen. Es treibt sie zu sehen,
ung des Buchhänd¬
ob er seinen wahnwitzigen Vorsatz ausgeführt hat. Medar¬
dus war, als er den Garten verschlossen fand, zum Ent¬
rischer Episoden je¬
dramatischer Frei¬
setzen der Kammerzofe über die Mauer geklettert und, vor
Anstrengung und Blutverlust erschöpft, ohnmächtig zu Bo¬
e gestaltet, das ge¬
den gesunken.
rdus Klaehr (Herr
Helene denkt daran, den Marquis zu rufen. „Wenn
em Stücke, ist der
(Frau Bleib¬
ich wüßte, daß sein Degen am Abend sicherer träfe als bei
Pater starb, als er
Tage!“ Medardus küßt ihr die Hand und bittet um ein
Wiedersehen. Sie sträubt sich, doch nun droht Gefahr, der
als die Franzosen
Garten soll durchsucht werden. Von Angst um ihn erfaßt,
älten mußte. Jetzt
gibt Helene der Kammerzofe den Auftrag: „Führe ihn in
Armes des Erzher¬
dein Zimmer“. Und als das Mädchen dies für unmöglich
ung aus der Frau
erklärt, sagt sie entschlossen: „Dann führe ihn in meines!“..
jens ist der Marsch
Am geauenden Morgen kommt Medardus aus dem
Wiens wellen den
onau feiern. Im Schloss. und trifft seinen Freund, der die ganze Nacht über
(Herr Balajty) dem Bruder der Frau Klaehr, gefunden.
und er wird erschossen.
Bei Medardus erscheint die Zofe der Prinzessin, jetzi¬
gen Marquise von Valois, und ladet ihn ein, nachts zu
ihrer Herrin zu kommen. Sie will in der Hochzeitsnacht,
da ihr Gatte fern von ihr weilt, Medardus zu ihrem Werk¬
zeug dingen und will ihn sich ganz zu eigen machen. Und
als er kommt, ruft sie ihm zu: „Die Stunde ist unser, ich
vergesse, was war und was sein wird, — ich liebe dich, Me¬
dardus!“
Ist es der Trick der politischer Intrigantin, ist es der
Aufschrei des verliebten Weibes? Sie ist es sich dessen
selbst nicht bewußt.
Der vierte Akt, der mit Rücksicht auf die Zeitdauer,
dem Rotstift zum Opfer fiel, führt uns zu dem Grabe
Eschenbachers. Was sich hier abspielte, erfährt der Zuhörer
viel später als der Leser des Buches, und die Plastik des
Wortes verman nur schwer die Plastik der Handlung zu
ersetzen. Medardus, am Grabe seines Oheims, trägt sich
mit denselben Gedanken, die Helene in ihrem Busen birgt:
er will Napoleon töten.
Doch „die Waffe, die er zum edlen Rachewerke bereit
hält, wird ihm aus der Hand gewunden und in den Kot
geschleudert"; denn Helene drängt ihn zur Tat und ver¬
heißt ihm königliche Belohnung, wenn sie dereinst Königin
von Frankreich wird. Doch Medardus will nicht ein gedun¬
gener Mörder sein und er stößt Helene von sich.
„Sollte es nun euch aufbewahrt sein, hochmütig mör¬
derische Finger?“ fragt sie nun, indem sie mit seltsamen
Blicken ihre Hände betrachtet.
Der letzte Akt bringt den Valois die herbste Enttäu¬
schung. Helene war beim Kaiser, und er hat ihr erklärt, daß
er alle ihre geheimsten Pläne kenne und alle Fäden der
Verschwörung in der Hand halte. Nun ist sie zu der Tat
entschlossen, zu der sie vergebens Medardus aufgefordert
hatte. Dieser aber erfuhr, Helene sei die Geliebte Napole¬
ons. Und als sie die Freitreppe emporsteigt, um zum Kaiser
zu gehen, stürzt er ihr nach und ersticht sie.
So ward der junge Medardus der Retter Napoleons.
General Rapp erscheint im Gefängnisse. Medardus ruft;
„Nicht retten wollte ich ihn, ich wollte ihn ermorden!" Und
als ihm Napoleon die Freiheit zusichern läßt, wenn er ver¬
spreche, gegen den Kaiser nichts zu unternehmen, weist er
dies (gleich dem historischen Staps) ab und stirbt den Tod
an der Mauer.
Aber nicht gleich den anderen wird er in einer Grube
verscharrt, denn — und mit diesen Worten schließt das
Drama. — „Es ist der Wille des Kaisers, daß Medardus
Klaehr mit allen Ehren und in geweihter Erde begraben
werde als dieses Krieges letzter und seltsamster Held.
Dies ist in knappen Zügen der Inhalt der bramatischen
Historie, ein Schattenriß, der es versucht, von einem farben¬
prächtigen Gemälde die äußeren Konturen vor Augen zu führen.
Das Publikum stand den ganzen Abend unter dem Banne
der großen Dichtung, die uns einen neuen Schnitzler brachte.
Er, der zuerst mit tändelnder Miene und leichten Scherz¬
worten die Bühne betrat, hat uns nun ein Werk geschenkt,
das einen Markstein nicht nur der österreichischen, sondern
auch der deutschen Literaturgeschichte bedeutet.
Diese Erkenntnis gab das Publikum durch stürmischen
Beifall Ausdrun. Vom II. Akt an wurde der Dichter nach
jedem Fallen des Vorhanges vor die Rampe gerufen.
Ein Zwischenakt wurde gänzlich durchgeklatscht; erst beim
Aufziehen des Vorhanges legte Ich der Beifall. Insbesondere
die Bastei=Szene übte eine mächeige Wirkung aus. Ob¬
wohl das Stück von halb 7 Uhr abends bis halb 12 Uhr
nachts dauerte, zeigte sich das Publikum bis zum Schlusse
vollkommen aufnahmsfähig.
Sämtliche Blätter besprechen heute die gestrige Urauf¬
führung und bezeichnen dieselbe als ein sensationellet litera¬
risches Ereignis.