II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 163

22. Denjunge Medandus
#rnache der Prinzessin von Valois seiner
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Sehnsucht Erfüllung zu suchen. Diese Szenen
muten an wie ein verjüngter Sardon, aber auch
wie ein vertiefter. In den letzten Szenen erst
(andoe fornenten
kommt das Stück auf seinen wahren historischen
Man seht die Not Wiens unter der
Sinn.
Herrschaft des Korsen an den braven Bürgern,
mtten.
die ohne Federlesens zur Richtstätte geführt
werden, weil Landkarten bei ihnen gefunden
wurden, die sie hätten ausliefern sollen, und
ähnlicher Verbrechen willen. Man sieht den
Ein neuer Schnltlel.
Schauder und das Grauen der Wiener über
„Der junge Medardüs“
solche Untaten, und sieht dieselben Wiener gleich
Historische Trapödie von Arthur Schnitzler.
Haufen nach Schönbrunn zu laufen,
um Napoleon zu sehen, wie er die Parade ab¬
Uraufführung im Wiener Burgtheater.
nimmt. Auch der junge Medardus ist kein Held,
Wien, 25. November.
kaum Soldat, er ist nur der Mann seines Schick¬
(Privat=Telegramm.)
sals. Glaubt immer, etwas Großes vorzuhaben,
und kann nur mit Worten kramen. Endlich soll
Schnitzlers neueste Tragödie ist mit
die große Tat kommen: die Befreiung des
allen Anzeichen einer großen Sensation auf die
Vaterlandes vom Tyrannen. Er tötet auch wirk¬
Bühne gekommen. Wochen vorher schon sprach
lich — aber nicht Napokeon, nur die Prinzessin
man in den Zeitungen vom dem Stücke, von
von Valois aus Eifersucht, weil er gehört hat,
seiner ungewöhnlichen Länge, von der außer¬
sie sei die Geliebte Napoleons. So ist dieser!
ordentlichen Personenzahl, die es erforbert, von
Jüngling bis aus Ende nur der Hohn seiner
dem mannigfachen Szenenroechsel und von all
großen Gedanken. Ganz zuletzt findet er sich
den Dingen, die sonst nur den Regisseur und die
endlich, indem er es ablehnt, sein Wort zu ver¬
Schauspieler hinter den Kulissen beschäftigen und
pfänden, daß er gegen Napoleon nichts weiter
angehen. Es schien fast, als hätte man sich an
unternehmen werde. Dafür erleidet er den Tod,
Rostands „Chantecler“ in Paris ein Beispiel ge¬
und so erschütternd die Szene auch ist, möchte
nommen, der vor der Aufführung auch mehr be¬
man sich wohl versucht fühlen, einfach zu sagen:
redet worden ist, als nach ihr. Hoffentlich wird
„Schade um den armen Jungen, er hätte vom
es dem „jungen Medardus“ nicht gleicherweise
Schicksal nicht in so ernste Zeiten versetzt werden
ist ein Drama in gewöhnlicher
ergehen.
sollen!“
Art, es meidet die Heerstraße, die die gang¬
Was der „junge Medardus“ für die deutsche
baren Regeln und große Beispiele vorgezeichnet
Bühne bedeuten, welchen praktischen Wert er
ist nicht modern im Sinne Ibsens
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haben,
für das Theater gewinnen wird, das läßt si
und Hauptmanns, nicht romantisch in der Art
von der Erfahrung in Wien nicht einfach ablesen.
früherer Klassiker. Es gemahnt an kein Vor¬
Nicht jedes Theater wird gewillt oder auch
bild, nicht einmal an ein Schnitzlersches. Es ist
fähig sein, für das Stück den großartigen szeni¬
ganz eigen in seiner Art. Ein Roman in sech¬
schen Apparat, die mühevolle Arbeit an Studium
zehn Bildern oder so etwas. Manches der Bil¬
und Zeit, das außerordentliche Aufgebot an
der ist eine Tragödie für sich. Nur ist der Zu¬
schauspielerischen Kräften aufzuwenden, wie
sammenhang etwas locker. Zuweilen ist man in
Baron Ber¬
das Burg=Theater getan hat.
Gefahr, ihn ganz zu verlieren. Was Handlung
ger hat das erste große Probestück seiner glän¬
darin ist, spielt sich im Jahre 1809 in Wien ab,
zenden Inszenierungskunst gezeigt, und damit
vor und nach dem Einrücken Napoleons. Das
den Ruf, den er von Hamburg hergebracht,
Wiener Volk hat eine Hauptrolle. Es gibt sich!
Die Dar¬
glänzend gerechtfertig
so echt, so gutmütig in seiner Art, aber auch
stellung war in allen Teilen voll Kraft und
zuweilen so erbärmlich klein, wie eben ein Dich¬
ist nichts Kleines, ein gro߬
Nachdruck.
ter es seinen Landsleuten zu sagen sich getraut.
städtisches Publikum fünf Stunden lang i
Dabei ist nichts aufgetragen, es geht alles
ernster Spannung und künstlerischer Erregung zu
zu, wie es im Leben geht, und fast ist zu fürch¬
halten, und dies wurde tatsächlich zustande ge¬
ten, daß die Getroffenen es nicht einmal ver¬
bracht. Prächtige Künstler, wie Ernst Hart¬
stehen werden, daß sie gemeint sind. Die ersten
mann,
Georg Reimers,
Hedwig
drei Bilder sind eine Familientragödie für sich.
Bleibtren setzten sich gewaltig für das
Die Schwester des jungen Medardus steht in
Stück ein, und ihnen sekundierte wacker di
einem Liebesverhältnis zu einem französischen
junge Garde, als deren würdigste Repräsentan¬
Emigranten, Francois von Valois. Sein Vater,
ten sich Herr Gerasch als Medardus, und
der sich als Prätendent auf den Thron Frank¬
Fräulein Wohlgemuth als Prinzessin von
reichs betrachtet, will es nicht dulden. Die bei¬
Valois, diese ganz besonders vorzüglich, be¬
Das
den jungen Leute geben in die Donau.
währten.
Begräbnis der beiden gibt eine der packendsten
Szenen des Stückes ab: eine Szene voll bitte¬
ie Uraufführung des „Medardus“
rer, aufrichtiger Wahrheit, voll Sarkasmus und
deutete für Wien eine Bühnensensation großen
Stils.
Hohn auf die Stimmung sogenannter Trauer¬
Sie dauerte fünf Stunden, hielt aber
das Interesse der Zuschauer bis zum Ende wach.
gemeinden. Nur Maupassant konnte dergleichen
Schnitzter wurde nach jedem Bilde oft gerufen.
machen. Dann folgt eine Reihe von Bildern,
glbt ihrer nicht weniger als sechzeon in die¬
die uns eine Art romantischer Liebesgeschichten
vorgankein. Ter junge Medardus, dieserfser bunten Chronik des Jahres 1809, die wohl
schlichte Wiener Buchhändlerssohn, verwandelt! kein geschlossenes Drama bildet, aber mit dich¬
einen galanten Helden, der nächtlicher=#terischer Kraft eine große Zeit gleichsam in klei¬
Winternitz.
welle über „Gartenmauern kleitert, um imenem Spiegel auffängt.