II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 173

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22. Der junge Medandus
„OBSERVER“
I. öeterr. behördl.
konzessiemrtes
Bureau
Pr Peitungsnachrichten
27 HUNLRSCR IS1O
Wien, I.
Konkordiaplatz 4
National Zeitung, Berlin
nimmt ihn nur leicht wie einen frivosen Zeitvertreib, in ihm lodern
— Vsten.
die Flammen. Seine Mission als Vaterlandsretter hat er ver¬
gessen, ist ganz seinem ungebändigten Herzen untertan. Da rüttelt
„Der junge Medardus.“
ihn die Hinrichtung eines Oheims auf. Der Sattlermeister
h. Man schreibt uns aus Wien: Es war eine Sensations¬
Eschenbacher ist dieser Oheim, von dem die Geschichte erzählt, daß
premiere. Was für die Wiener etwas Gewöhnliches und Selbst¬
er in seinem Hofe zwei Kanonen vergraben hatte (im Stück sind es
verständliches sein müßte: daß einer ihrer feinsten und angesehen¬
nur zwei verbotene Landkarten). Medardus nimmt sich eine er¬
sten Dichter im Burgtheater eine Uraufführung erlebt, wird ihnen
lösende Tat für das Vaterland vor: er will Napoleon ermorden.
zur Sensation., Seit Jahren ging kein neues Stück von Arthur
Dies ist auch der Plan der Prinzessin, die den Valois den Thron
[Schnitz leajum ersten Male über Wiener Bretter. So sehr
Frankreichs retten will. Im Solde der Valois wäre die Tat jedoch
ist das Burgthater, ist Wien ins Hintertreffen gerückt. Nun aber
Eine
unrein, und Medardus läßt seine kühne Absicht fahren.
erwartet manzja eine sogenannte neue Aera, erwartet sie aller¬
neue Judith, begibt sich die Prinzessin zu Napoleon, um ihn in
dings nicht ohse Mißtrauen nach den hilflosen Anfängen des Frei¬
einer Liebesnacht zu töten. Medardus hört, daß sie des Kaisers
herrn von Berger. Da war die Aufführung von Schnitzlers dra¬
Geliebte geworden sei, und sticht sie auf ihrem Wege nieder. Ins
matischer Historie „Der junge Medardus“ eine Tat. Sie
Gefängnis geschleppt, soll er Gnade finden, denn er hat den
war auch eine Notwendigkeit, die nicht versäumt werden durfte.
Mordplan der Prinzessin durch seine eigene Bluttat verhindert.
Repräsentative Bühnen haben eben ihre Verpflichtungen. „Der
Medardus aber nimmt diese Gnade nicht an, beschuldigt sich selbst
junge Medardus“ ist ein österreichisches Stück, ist so durch seine
der Mordabsicht auf den Kaiser, und so wird er schließlich ge¬
ganze Atmosphäre an Wien gebunden, daß man seine Wirkungen
richtet.
früher nicht anderswo ausprobieren durfte, als hier.
An diesem Reichtum der Vorgänge, die zu hart aufeinander
Schnitzler ist leider auf dem Wege weitergeschritten, den er
prallen, um eine feelische Vertiefung und eine beziehungsvollere
im „Ruf des Lebens“ betrat. Um dramatisch und kraftvoll zu wir¬
Ausbreitung zu gestatten, krankt das Stück. Die Figuren sind ja
ken, häuft er gewalttätige Szenen. Begräbnisse, Duelle, Morde
äußerst lebendig und mit sublimen Abtönungen hingestellt, die
und kriegerisches Toben drängen sich betäubend aneinander. Man
Stimmungen, die aus den altwiener Interieurs, aus den Ve¬
ist im Wien des Jahres 1809, in dem Napoleon die Stadt bela¬
dutten von Basteien, Schönbrunn und Donaulände steigen, die
gerte und nahm. Medardus ist der junge Sohn einer Buchhänd¬
Details, die feinnervig und geistvoll den Dialog färben, bezeugen
lerswitwe, der als Freiwilliger gegen die Franzosen ziehen will,
die künstlerische Hand Arthur Schnitzlers. Doch sind nur kaleido¬
ein stürmischer Held, aber nur ein Held von Hamleis Natur.
skovische Bilder entstanden, die einander jagen und nur kultur¬
Seine Schwester Agathe ward vom Prinzen von Valois geliebt und
historisch und durch alle Einzeltypen interessant sind; es fehlt die¬
verführt. Der Prinz fühnte sein Vergehen, indem er mit dem
ser Fülle die Geschlossenheit, die zusammenraffende, starke, nur
Mädchen in den Fluten der Donau untering. Beim Begräbnis
durch die Psychologie zu ermöglichende innere Einheit. Wie immer
des Paares begegnet Medardus der Prinzessin von Valois auf dem
in Schnitzlers Stücken wohnen auch hier Erotik und Tod bei¬
Friedhof, und treibt sie, von Schmerz und Rache durchwühlt, vom
sammen, durchdringen einander, mischen sich und sind ein recht per¬
Grabe weg, auf dem sie Blumen niederlegen wollte. Den Schimpf,
verser, hochgetriebener Rausch. Nicht Liebe spielt die große Rolle,
den er ihn angetan, soll er im Duell mit ihrem Vetter, dem Mar¬
sondern eben die Erotik, und das Publikum vermißt instinktiv eine
quis von Valois büßen. Medardus wird im Zweikampf verwundet.
ideale Tendenz. Es gewinnt für Medardus, den finnlich flackern¬
Und während er mit der Wunde niederliegt, erhält er von der
den und leidenschaftlichen, nicht die Sympathie, die ihm zufliegen
Prinzessin die für das Grab bestimmten Blumen. Da wacht in
würde, wenn er ein etwas weniger neurasthenischer und edlerer
ihm der verteufelt Gedanke auf, die Prinzessin, von der er jetzt
Jüngling wäre, und die ihm der Dichter wünscht.
weiß, daß seine männliche Tapferkeit und brausende Jugend ihr
Herz so jäh betört haben, obwohl sic dem Marquis verlobt ist, zu!
Mit dem Aufgebot seines ganzen Ensembles inszenierte das
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entehren und dann der öffentlichen Schande preiszugeben. So
Burgtheater Schnitzlers Drama und ließ die zahlreichen Bilder auf
glaubt er seine Schwester am besten zu rächen. Denn dieser Jüng¬
der Drehbühne wechseln. Der immer noch glänzende Arvarat
ling wird sich nicht klar darüber, daß des Prinzen Tod längst jede
funktionierte vortrefflich, die Mischung von Historie und Phantasie
Rache ausschließt, und die Valois ebenso trauern, wie seine Mut¬
spiegelte sich wundersam in den Regiekünsten. Herr Gerasch
ter und er. Seine Leidenschaftlichkeit, die von keinem festen Wil¬
ersetzte persönliche Farbe durch temperamentvolle Jugendlichkeit,
len gelenkt wird, jagt ihn in sein Unglück. In der Umarmung der
Fräulein Wohlgemuth war eine ganz delikate, noble Prin¬
Prinzessin erlischt sein Zorn und schlägt in Verliebtheit um. Sie1zessin, und so blieb der Beisall immer in nicht aus. da man sich
ja auch freute, Schnitzler wieder einmal vor diese Rampe rufen zu

können.