II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 184

m utalet und
brntaler Unmittelbarkeit und Seloniverstandlichteit, sekundenweise, wie
etwas persönlich Empfundenes, so daß er unwillkürlich die erzählende Form
mit dem Monolog verrauschen muß. Nur ein solcher Mensch kann auch
so vertraut sein mit den Wirkungen, die, oft ohne daß wir's selber
wissen, die Gewitzheit, daß wir über kurz oder lang sterben müssen,
auf unser ganzes Seelenleben übt, nur er durchschaut, daß der Ge¬
danke an die nahe, unausweichliche Vernichtung unseren Lebensbrung
zum höchsten Grade steigert, daß der Tod die geheime Quelle der
Genußsucht ist, wie schon in der Bibel zu lesen: „Lasset uus essen
ist
und frinken und fröhlich sein, denn morgen sind wir tot.“
in sich Wider¬
also keineswegs etwas Abnormes oder gar
sprechendes, daß dieser Dichter des Todes zugleich mit einem Voecnecio
oder Pietro Nretino in erotischer Kühnheit wetteifert. Der Zeugungs¬
akt und das Sterben verhalten sich nun einmal zueinander wie Kom¬
plementärfarben; wer die eine stark empfindet, muß, ob er will oder
die ero¬
nicht, auch die andere stark empfinden. Dadurch aber sind
tischen Dichtungen Schnitzlers auch weit mehr als Nuditäten; der
dunkle Hintergrund des großen Mysteriums, vor dem sie sich ab¬
spielen und dessen unheimliche Nähe man bei Schnitzler immer fühlt,
auch wo er seinen Humor leuchten läßt, adelt sie — beinahe zur Poesie.
Und dann weiter:
Immer wieder wird an Schnibler von der Kritik die Aufforde¬
rung gerichtet, sich dem sozialen Lustspiel großen Stils zuzuwenden.
Er hat ihr bisher nicht entsprochen, obwohl in Wien ein wahrer
Ueberftuß an Lustspielstoff angehäuft ist. Weshalb wohl? Zunächst viel¬
leicht, weil er zu sehr Poct und Lyriker ist. um ganz Satiriker sein zu
können. Die Melancholie, das Erbteil aller tieferen und feineren
Geister in dem angeblich so fröhlichen und gemütlichen Wien, um¬
spinmt auch ihn. Aber um ein Lustspiel, wie man es von ihm
erwartet, schreiben zu können, müste er vor allem für viele,
sehr viele Dinge und Zustände Sinn und Interesse haben, die ihn
oder doch den Dichter in ihm ganz kalt lassen. Erscheint Auge und Herz
zu haben nur für drei Dinge: fürs Lieben, fürs Sterben und fürs
Komödiespielen. Bei allem Rassinement der Kultur ist er in dieser
Hinsicht fast wie ein Poet des Vormärz. Deshalb, glaube ich, läßt er
die Satiren, die man ihm zutraut, ungedichtet; aber vielleicht ist es
die schärfste und diskreteste Satire auf die geistige Kultur Wiens,
daß ein Kopf wie Schnitzler in einem Zeitalter wie dieses uns von
nichts zu erzählen weiß als vom „süßen Mädel“, vom Sterben und
von der Iunsion in allen Formen.“
Und seither hat Schnitzler seinen „Jungen Medardus“ ge¬
schrieben und Baron Berger hat ihn aufgeführt.
Wir haben in den letzten Seiten des Buches geblättert,
kehren wir zu den ersten zurück. Erinnerungen an den Vater
Baron Bergers, an Johann Nepomuk Berger, das Mitglied des
Bürgerministeriums. Eine köstliche, ungemein charakteristische
Reminiszenz an J. N. Vergers scharse Malice.
„Als Graf Taaffe Ministerpräsident wurde, verfaßte“ erzählt
Baron Alfred Berger, „mein Vater eine Parodie des Goetheschen
„Erlkönig“ die pielleicht
ich erinnere mich nicht genau
im „Figaro“ anonym erschienen ist. Trotz einiger mutwilliger
Wendungen, die ich nicht mildern darf, sei sie als Stimmungsbild
aus jenen Tagen hier mitgeteilt:
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist Graf Benst mit seinem Kind;
Er hat den Taasse wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?
Siehst, Vater, du den Giskra nicht?
Den Giskra mit wallendem Phrasenschweif?
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.
„Du liebes Kind, komm', geh' mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
In polnische Augen streuen wir Sand,
Und drücken die Tschechen hübsch an die Wand.“
Mein Vater, mein Vater, und hörest dn nicht,
Was Giskra mir alles leise verspricht? —
Warum du dich ängstlich, mein Kind, entfärbst?
Im dürren Hasner säuselt der Herbst. —
„Willst, seiner Knabe, du mit mir geh'n?
Mein Prästdium wird dich nasführen schon,
Gewaltig leit' ich den mächtigen Reih'n,
Potocki und Berger, die singen dich ein.
Mein Vater, mein Vater und stehst du nicht dort
Giskras Gehilfen am düster'n Ort?
Ich sehe den Brestel, den Plener genan,
Es scheinen die alten Kerle so grau.
„Ich liebe dich, mich reizt beine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.“
Mein Vater, mein Vaser, jetzt faßt er mich an!
Giskra hat mir ein Leids getan!
Den Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den „Hof“ ohne Müh am End';
In seinen Armen das Kind war Präsident.
Dann wieder die Erinnerungen an Pater Greuter, den
klerikalen Kampfhahn, der trotz seiner Grobheit das Herz am
rechten Fleck hatte.