II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 188

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22. Derjunge Medandus
ASTR
der das sechzigste Lebensjahr (1891!) bereits überschritten
geweut worden ist.!
wird über das Stück gespr
Nun erst, im Zwischenalt, haben wir Gelegenheit, es
mièren gibt es Unterschiede. In Deutschland sagt man
einige andere Dinge, über
näher zu betrachten, aufs Detail einzugehen, und aufs
„Erstaufführung" oder noch sachlicher: „Uraufführung",
jüngsten Neuigkeiten, die G
Detail kommt es eigentlich an, hier wie überall. Die
und da ist es etwas ganz anderes, ein rein sachliches
Frauen. Es gibt da Premierg
Herren setzen denn auch, kaum daß der Zwischenakts¬
Ereignis, dem nur in Fachkreisen eine gewisse Bedeutung
freilich der Autor nichts erfi
vorhang niedergegangen ist, ihren Operngucker in Be¬
zukommt. In Paris hinwieder lügt das Wort, da ist die
loch im Vorhang hinaussche
wegung, diesmal in umgekehrter Richtung, mit dem
Première ja eigentlich die zweite Aufführung, die erste ist
der bekanntesten Persönlich
Rücken gegen die Bühne, und lassen ihn herumgehen, da
die gleichfalls öffentliche Generaiprobe. Bei uns aber er¬
Meinungskampf lebhaft mit
und dort bei einem liebenswürdigen Detail zärtlich ver¬
gießt sich der Strom der Neugierigen in ein Becken,
er sicher, die Herren streiten
weilend. Man sieht viel schöne und anmutige Frauen bei
und darum sind unsere Premièren mehr noch als die
seines Dramas, und in Berli
einer solchen Wiener Première, die bekannten alkredi¬
Pariser gesellschaftliche Ereignisse. Wozu noch kommt, daß
Aber in Wien ist es imme
tierten Gesichter und zuweilen auch unbekannte, die wie ein
sie in Paris die Institution der sogenannten eieganten
Meinungsverschiedenheit dur
Geheimnis locken. Im allgemeinen freilich ändert das
Abende haben. Jus Français, in die Große Oper, geht
(
geschmückten Silberhelm
Premierenpublikum seine wesentliche Zusammensetzung
man nur an einem bestimmten Tag der Woche, an den
ersten Rangloge, der allgen
kaum und findet in gewissen Intervallen sich immer wie¬
anderen ist es nicht chie. Dieser Snobismus ist dem
gerufen wurde. Was ander
der vollzählig zusammen. Es sind die Neugierigen von
Wiener Publikum gottlob noch fremd. Aber eben darum
Melancholie ist: da gibt ein
Beruf und Neigung, die Spitzen, die Mondainen, die
Tiesstes, den Rahm seiner
herrscht bei uns ein solcher Andrang zu Premièren, weil
Weitverbreiteten und die bekannten Namen, insoferne sie
es zugleich die eleganten Abende sind. In Berlin ist
her, und wozu? Um in
nicht bereits so bekannt sind, daß sie die Einsamkeit vor¬
es eine Seltenheit, wenn eine Première ausverkauft ist,
Frau Gelegenheit zu geben,
ziehen. Viele wollen sich zeigen, andere bloß dabei gewesen
in Wien ist dies die Regel. Die Theaterdirektoren wissen
sehen zu erregen. Indes
sein, aber die meisten bindet denn doch ein gemeinsames
das und tragen dem Umstand Rechnung. Wien ist nicht
Molière war ein Genie,“ n
künstlerisches Interesse aneinander. In Schauspielerkreisen
Bergerac so hübsch sagt. M
die theaterreichste, aber sicher die premierenreichste Gro߬
wird das Premierepublikum oft indolent, blasiert und
eigenen Augen gesehen hab
stadt der Welt. .
gleichgiltig gescholten. Aber das ist kaum richtig, ebenso¬
schuldigen.
Zwischenakt! Der Vorhang zieht sich zusammen, Bei¬
wenig, wie es richtig ist, daß die Schauspieler bei der
fall strömt plätschernd nieder, noch eine kleine Respekts¬
Uebrigens werden im
Première schlechter spielen als bei den späteren Auf¬
pause, und zwischen den Plüschvorhängen, die sich jetzt wie
tigere Kämpfe ausgesochten,
führungen. Zumindest gilt dies nur für die schlechten und
Segel blähen, erscheint der Dichter, erscheint wieder und
wenig mit dem Thema des
mittelmäßiger Schauspieler, denn ein guter Akteur ist
wieder, von seiner Verehrergemeinde gerufen. Man hat
wird in den Aktpausen
um so besser, je größer die Verantwortung, unter der er
schon viel disputiert, bei uns und anderwärts, über diese
werden Bekanntschaften
spielt, und die Verantwortung ist bei der Première größer,
Unsitte des Hervorrufens. Die Dichter haben sich fast
befriedigt, kokettiert, medi
weil das Publikum ja doch trotz seiner mondainen Visage
sämtlich dagegen ausgesprochen, aber sie kommen sast alle,
Komödien der Gesellschaft
das maßgebendere ist.
wenn man sie ruft. . .. Der Unbeteiligte findet, es ge¬
zur Aufführung gebracht.
Freilich, man kann maßgebend sein ohne Pedanterie,
hört dazu. Uebrigens mag es wirklich eine Unsitte sein.
Snobismus besucht, trachtet
und man muß nicht unbedingt die Stirne in kritische
Nichtsdestoweniger liegt ihr ein richtiger Gedanke zu
Mittelgang zu zeigen. Denn
Sorgenfalten legen, um ein Urteil zu formulieren. Das
Grunde. Denn es ist keineswegs vollkommen gleichgiltig,
allen Logen, und hier müt
versteht das Wiener Publikum und ganz besonders das
wie ein Künstler aussieht, und schon gar nicht in Wien.
Meinungen. Im Mittelgang
Burgtheaterpublikum, das ja wirklich einen gesellschaft¬
Der Wiener liebt es, sich von Personen, mit denen er
gegen das Stück gemacht,
lichen Organismus darstellt, besser als jedes andere. Es
geistig verkehrt, ein Bild auch ihres körperlichen Wesens
Interessen heraus, denn die
läßt ein Stück abfallen, ohne sich dabei aufzuregen, und
zu machen. Es liebt in allen Fällen das Bild, das
einem Dichter Gerechtigkeit widerfahren, ohne deshalb licher Motive fähig. Hier sir
farben= und formenfreudige Wiener Auge. Darum ist auch
gleich den Verstand zu verlieren. In den Zwischenakten der Première anzutreffen: 7
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die Premiere bei uns regelmäßig ein so hübsches Bild.