II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 193

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22. benjungdardus
uspiel) hat immer so säuerlich=wohl= meistens die ins Schnitzlersche Werk verflochtene Historie.
se Pointen. Da ist ein alter Arzt, der Rein illustrativ. Bildbeilagen zum Schauspiel. Diese Szenen
ehmütiges, schneidend humorvolles Hadern stehen im Stück wie Steine in einem Strom. Das
weil der, kommt ihm die Laune, Kinder Drama fließt um sie in langgewundenen flachen
ben läßt, und weil überhaupt das Leben Schleifen
herum, statt daß es durch sie ein
voll von mephitischem Jammer bis an stärkeres Gefälle bekäme. Zeitkolorit und =Stimmung
die Ballade mit ihren vielen Einlagen ist wohl da. Aber das hätte sich mit weit geringerem
keint mir nicht die wertvollste Substanz Aufwand an Menschen, Episoden und Szenenbilder er¬
Werkes.
zielen lassen müssen. Einzig der Napoleon, der im Hinter¬
lischen, in der Komödie voll Spannung, grunde wetterleuchtet, macht die Atmosphäre des Stücks
kraschung liegt meines Erachtens der gefährlich, gespannt. Aber auch das bewirkt nicht des
ungen Medardus“. Szenen von kräf= Dichters Kunst, sondern die Assoziationen, die der Name
n (die erste Friedhofsszene, die Zähmung im Bewußtsein des Hörers frei macht.
dus durch die Prinzessin, die Schlu߬
Ein paar starke Eindrücke trägt man von der langen
ne des Eschenbacher und manches andere) romantischen Historie davon. „Lebensmitte" „Mannes¬
eder das erschlaffende Interesse. Mit alter“: das spürt man als die primäre Zelle der ganzen
sind die dramatischen Wege der Haupt= Empfindungswelt dieses Werkes. Zwischen zweierlei Angst
mit der äußersten Straffheit, gewisser= ist es eingebettet. Zwischen der Angst vor den Ungewi߬
ftlinie, spannen sich die Fäden von heiten und dem Un=Sinn des willenden, wollenden Lebens —
ksal. Ausgezeichnet der kleine Auftritt und der Angst vor dem Sinn und der Gewißheit seines
t in seiner Ruhe, Klugheit und Noblesse, Endens. Zwischen Jugendsehnsucht und Todesgrauen liegt es.
ernde Einfachheit der Szene zu Beginn
Ein stark romantischer Zug waltet vor. Ein trotziger,
bunte Szene vor dem Schönbrunner
ohnmächtiger Trieb zur Selbstgestaltung des eigenen
kuellend von Aktion und Affekt. Alles, Schicksals. Ein Versuch, über Tod und Leben, Größe und
n „Jungen Medardus“, scheint hoch Kleinheit, Wollen und Können, das aufhebende Zeichen
eines fatalistischen Lächelns zu setzen. Der Stärke wird
lich ist die Historie geraten. Sie wird gehuldigt, dem Bewußtsein eigenen Wertes, als der einzigen
der Fläche entfaltet. Ein künstlich be= Möglichkeit, sein Leben zu leben und den Tod zu dulden.
on Menschen ohne natürliche Strömung, Die schrullenhafte Ordnung, in der irdisches Geschehen
Die Bastei=Szene ist ganz armselig. abrollt, wird gezeigt, die sonderbar verzwickten Rössel¬
zeht, benimmt sich furchtsam oder lächer=Isprünge von Ursache zur Wirkung, die „die Hand des
; aber alles so gleichgiltig=typisch, ohne Verhängnisses“ schlingt, und die erst historisches Betrachten
Zeichnung, ohne Lebhaftigkeit in der, künftiger Geschlechter oder genial=perspektivisches Sehen
esprochene Text ist durchaus belanglos,
eines Dichter=Auges auflöst.
egbleiben. In der bildhaften Wirkung
Das scheinen, in gedrängtester Kürze, die abstrakten
ganze Zauber. Und so wirkt ausch Grundlinien im neuen Schnitzler=Drama. Es ist
Auch schauspielerisch. aus der Fülle der Gestalten!
Meisterwerk; aber das Werk eines Autors, der
un
e, die bester
„erzhaft=genau fühlt, wie die Meisterschaft aussehen bewahrt man im Gedächtnis: Hartmanns edlen Thron¬
te; und nach besten Kräften Annäherungswerte gibt. prätendenten, Balajthys trefflichen, saftigen Eschen¬
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Beste Referenzen!
Das Riesenkind der Schnitzlerschen Muse wurde im bacher, der Frau Blejbtreu starke, unzaghafte Mütter¬
Bgtheater wahrhaft fürstlich herausstaffiert. Eine lange lichkeit, der Frau Medelsky rührendes Agathchen,
Rehe zierlicher, intimer, vornehmer, farbenfroher Szenen=[Straßnis gespenstisch=frohen uralten Herrn, Heines
bilder rollte ohne Stockung ab, und der Spielereien für meisterhaft kühlen und klugen, Schicksal spielenden Arzt,
Erwachsene gibt es eine weihnachtliche Fülle. Manches, Treßlers empfindungstiefen, in Ton und Gebärde sol
so die Bastei=Szene, sieht allzu niedlich und geschleckt aus. nobel sparsamen Freund des Medardus (für mein Empfinden
Man hat da wirklich die Empfindung: Riesenspielzeug. eine ganz leere, verunglückte, zu Recht hinkende Figur),
Nach Schluß der Szene wird alles, inklusive Herrn Gerasch, Arndts bitter=ironischen Arzt, Fräulein Hofteufels¬
leichtfüßige, immer wie von Lebenslust gekitzelte, in den
in eine große Schachtel gepackt und auf den Kasten
Unfug verliebte Zofe u. s. w.
gestellt.
Protagonisten: Herr Gerasch und Fräulein Wol¬
Das Nebeneinander kriegerisch=unsentimentaler und
gemuth. Ich glaube, man hat diesmal beiden ein
schwelgerisch=empfindsamer Stimmungen wirkt als appetit¬
reizender Kontrast; ebenso das harte Nebeneinander der bißchen unrecht getan. Flamme, an der man sich wärmen
bürgerlichen und der hocharistokratischen Welt, der könnte, war nie Herrn Gerasch' Sache. Aber er hat als
Medardus doch ein sehr schönes Tempo, hat Schwung
hemmungslos=expansiven, nach außen schlagenden, und der
und Leidenschaft und manchmal, wie auf der Schön¬
höfisch=gebundenen, nach innen brennenden Temperamente.
brunner Treppe, einen großen Augenblick, in dem
Höchst bemerkenswert auch die Geschicklichkeit, mit der das
man sogar aus seinen Erregungen das Sturm¬
Drama abwechselnd Einzel=Schicksale und Schicksale der
Trommeln eines revoltierenden Herzens zu hören meint.
Allgemeinheit in den Mittelpunkt des Interesses lanciert:
durch den
Fräulein Wolgemuth, imponierend
Wo der Dichter unbedeutend wird, tritt irgendeine welt¬
Adel ihrer Erscheinung, wird vielleicht ein wenig über¬
geschichtliche Bedeutung, die Szene füllend, in den Vorder¬
überschätzt. Noblesse, Kühle, Unnahbarkeit, Verachtung
grund und deckt den Dichter.
Kriegerisch=prunkstrotzende, förmlich schmetternde mimt sie unübertrefflich gut. Wo es auf mehr an¬
Kostüme und die steif=lyrischen Trachten des Jahrhundert= kommt, auf das Durchschimmern der inneren, nur ge¬
anfangs, prangend in zartesten sentimentalen Farben, er= drosselten, nicht verlöschten Flammen, auf Botschaft
freuen das Auge. Auch das Ohr kommt nicht zu kurz. aus den Tiefen dieser spiegelglatten Prinzessinnen=Seele,
da fehlten die rechten Lichter und Klänge. Ob Fräulein
Man schießt mit Kanonen, mit Flinten, mit Revolvern.
Wolgemuth eine wirklich bedeutende Künstlerin ist, wird
Man schießt rechts und links, Granätlein explodieren
sich noch erweisen. Im „Jungen Medardus“ merkte man
zierlich, und zwischen Feuer und Schall verstreicht eine
nur, daß sie über die schönsten Mittel verfügt, um Be¬
höchst naturalistische kleine Pause. Für die Aufführung des
a. p.
„Medardus“ hat das Burgtheater wirklich sein ganzes deutung zu markieren.
Pulver verschossen.